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Title: Barthli der Korber

Date of first publication: 1852

Author: Albert Bitzius (as Jeremias Gotthelf) (1797-1854)

Date first posted: Oct. 27, 2023

Date last updated: Oct. 27, 2023

Faded Page eBook #20231040

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Im rueßigen Graben am südlichen Abhang hing ein kleines Häuschen. Man begriff nicht, warum es noch da hing und nicht längst den Graben hinuntergerutscht, denn es machte akkurat die Figur eines Menschen, der in vollem Lauf einen Berg hinuntergesprungen, plötzlich die Beine verstellt, stillhalten will und nicht recht kann. Wenn man das Dach betrachtete, so kam es einem vor, als höre man den Wind pfeifen, als kriege man Stöße. Es sah aus wie der Sack eines Bettlers, der das Flicken übel nötig hätte, jedoch bei allem Flicken immer ein Bettlersack bleiben wird. Die kleinen Türen zu Ställchen und Tenn stunden alle schief nach einem ganz eigenen Baustil. Hinter dem Hause fand man, wenn er nämlich nicht gerade zu Nutzen angelegt war, einen kleinen Düngerhaufen ungefähr von Gestalt und Größe eines ansehnlichen Zuckerstockes. Vor dem Hause war ein Gärtchen, in welchem eilf Mangoldstauden ihre breiten, ausdruckslosen Gesichter sonneten, sieben Bohnenstauden kühn an gebrechlichen Stecken hingen, zwischen denen zwei blühende Rosenstöcke gar freundlich hervorblickten. Um dasselbe lagen im Frieden die Gerüste eines ehemaligen Zaunes, harrend einer helfenden Hand zum Auferstehen.

Im Häuschen wohnten hinten eine Ziege und ihr Zieglein. Es war eine stattliche Ziege. Achtunggebietend trug sie ihr Haupt, und in glänzendem, zottigem Felle ging sie würdigen Schrittes einher, während hinter ihr her, gleichsam der Hanswurst, das Töchterlein graziöse, lustige Sprünge machte. Vornen wohnten ebenfalls zwei Personen, ein alter, lahmer Korber oder Korbmacher und sein nicht lahmes Töchterlein. Der Alte hätte wirklich, was Anstand und Würde in Gang und Haltung betraf, viel von seiner Ziege lernen können, in beidem stund er ihr beträchtlich nach. Indessen der gute Alte war kaum mehr bildungsfähig, wenigstens sah man an ihm weder entschiedenen noch unentschiedenen Fortschritt, sondern gar keinen. Dagegen, wir gestehen es aufrichtig, gefiele uns das Töchterlein viel besser als das junge Geißlein. Dasselbe ist gar so anmütig und lieblich, kann auch springen leicht und hoch, daß es uns lieber wäre als zehn Geißlein, und wenn man uns die Wahl gelassen hätte, hinten oder vornen in dem Häuschen zu wohnen, so hätten wir ungeachtet der Würdigkeit der alten Ziege unbedenklich dem vordern Teile den Vorzug gegeben, wohlverstanden nicht von wegen dem alten, lahmen Korber, sondern wegen seinem schönen Töchterlein. Dasselbe wußte nicht einmal, wie hübsch es war, und das war nicht das mindeste an ihm. Wenn es sich auch im Spiegel besah, kam es doch nicht zur umfassenden Einsicht, denn erstlich bestund sein Spiegel nur aus einem dreieckigen Scherben, zweitens durfte es sich bloß am Sonntag mit Muße waschen so recht um und um, und bis am Dienstag, vielleicht schon am Montag hatte es bereits vergessen, wie es gestaltet war, andere Leute brachten es ihm auch nicht in Erinnerung.

Im rueßigen Graben machten die Leute sich selten Komplimente. Zudem war Züseli nicht besonders nach ihrem Geschmack; wenn es einen halben Zentner schwerer gewesen wäre, es hätte ihnen unendlich besser gefallen. Wärs in Östreich gewesen, es wäre ihm eine Arsenikkur angeraten worden. Arsenikfressen macht nämlich fett, wie man sagt. Wird aber mit Verstand geschehen müssen, sonst könnts fehlen. Es war nicht bloß ein liebliches, sondern auch ein liebes, emsiges Kind, das von früh bis spät nach dem Willen des Vaters tat und nie unwillig und ebenfalls vom Werte dieser Eigenschaften keine Ahnung hatte, viel weniger mit Geräusch sie geltend machte. Oder, um gebildet zu reden, es war ohne alle Ansprüche. Eigentlich ist dieses ein dumm Wort, hat aber dennoch einen tiefen Sinn. Die eigentliche Anspruchslosigkeit ist nichts anderes als der demütige, kindliche Sinn, dem, wie Christus selbst sagt, das Himmelreich gehört, der keiner Verdienste sich bewußt ist, aber ein inniges Danken hat für jede Gabe, jedes Zeichen der Liebe, nichts sehnlicher wünscht, an nichts größere Freude hat, als lieb zu sein Gott und Menschen, Gott und Menschen es recht zu machen. Die harmlosen, bescheidenen Naturen sind nicht moderne Naturen.

Der alte Korber war dagegen nichts weniger als liebenswürdig, weder innen noch außen; man konnte eigentlich nicht begreifen, besonders am Sonntag nicht, wo Züseli um und um gewaschen war, wie die beiden zusammenkamen und noch dazu als Vater und Tochter. Der alte Barthli war hässig und häßlich, Sauersehen seine Freundlichkeit, gute Worte gab er nicht für Geld, geschweige umsonst, und dennoch galt er etwas in der Welt, denn er war etwas, eine Persönlichkeit, ein Charakter, würde man heutzutage sagen. Er war ein ausgezeichneter Korber, sehr ehrlich auf seine Weise, hielt Wort. Ja, da ist es einem Menschen wohl erlaubt, saugrob zu sein. Er war überdies noch sehr arbeitsam und sehr sparsam. Wenn er sich recht rühmen wollte, so sagte er, er hätte noch niemanden plaget, die Gemeinde nicht und andere Leute auch nicht. Das war wirklich viel gemacht in unserer Zeit, wo viele meinen, sie schenken der Gemeinde etwas, wenn sie ihre Hülfe nicht in Anspruch nehmen; einer so reichen und geduldigen Person was schenken, sei ja dumm. Barthlis Verdienst war nicht groß, aber er besaß das Ehrgefühl eines Mannes; er begriff, daß, wer selbständig sein wolle, vor allem imstande sein müsse, sich und die Seinigen selbst zu erhalten mit Gottes Hülfe. Es wäre gut, dieses Ehrgefühl wäre im Zu- statt im Abnehmen, dann wäre der Friede größer in der Welt; es wäre gut, wenn mancher Schöne und manche Schöne den wüsten Barthli zum Exempel nehmen würden und nichts begehrten, was man nicht selbst verdienen kann, keiner fliegen wollte, der keine Flügel hat.

Das Häuschen hatte er von seinem Vater geerbt und so viel Land dazu, daß er etwas pflanzen und zwei Ziegen halten konnte, wenn er die Zäune seiner Nachbaren nicht schonte und die Tiere lange Hälse hatten, um über die Zäune hinüber im jenseitigen Grase hospitieren zu können. Mit Reparaturen an der Hütte hatte er sich nie abgegeben. Ihm sei sie gut so; wenn sie ihn nur aushalte, hernach könnten die sehen, wo nachkämen, sagte er. Er galt für sehr ehrlich, obgleich er sich in dieser Beziehung bedenkliche Freiheiten herausnahm, nämlich mit den Weidenruten, welche er zu seinen Körben brauchte. Eine bedeutende Zeit des Jahres brachte er bei Bauern auf sogenannten Stören zu, wo er ihnen Körbe flocht und ausbesserte. Indessen machte er auch Körbe auf den Kauf, und namentlich sein Meitschi machte solche, denn dieses nahm er auf die Stören nicht mit, es mußte daheim zu Haus und Hof sehen. Die Ruten nun zu diesen Körben nahm er, wo er sie fand, unbekümmert darum, wem die Weiden gehörten, an denen sie gewachsen waren. Er trieb dieses nicht im verborgenen mit äußerster Vorsicht, um nicht gesehen zu werden, er sagte offenherzig, sein Vater und sein Großvater seien Korber gewesen, hätten aber nie einen Kreuzer für Ruten ausgegeben, sondern die Wydli genommen, wie sie gewachsen, ein Bauer würde sich geschämt haben, einem armen Mannli einen Kreuzer dafür abzunehmen. Körbe habe man ihnen gemacht, alte plätzet, öppe wohlfeil genug, damit seien beide Teile wohlzufrieden gewesen. Jetzt sollte man ihnen jedes Wydli übergülden, dazu noch grusam danken, daß man fast um den Atem komme, und obendrein machten sie alle Weidenstöcke aus, nur hie und da ein alter Bauer lasse noch einen stehen zum Andenken, und damit die Kinder wüßten, wie so ein Weidstock gewesen. Dann könnten die Bauern seinetwegen Körbe flechten lassen aus den Schmachtzotteln, welche ihre Töchter über die Stirne herabzwängten mit Tüfelsgewalt. Trotzdem kam Barthli nie in Verlegenheit, keine Strenge, kein Verbot ward gegen ihn angewendet. Wohl hob hie und da ein Bauer die Hand drohend auf und sagte: »Barthli, Barthli, du machst es mir wohl gut, nimm dich in acht, sonst mache ich dir den Marsch. Ich habe bald nicht mehr Wydli für ein Erdäpfelkörbchen, und selb ist mir doch dann nicht anständig.« »Warum gönnst mir das Maul nicht und sagst, wenn du Körbe mangelst? Mir kann es nicht in Sinn kommen, und d’Wydli muß man nehmen, wenn es Zeit ist, und hausieren damit wirst du kaum wollen«, so antwortete Barthli keck. Und sanftmütig redete der Bauer mit ihm eine Stör ab, sagte bloß: »D’Wydli bringst dann mit. Ein andermal wollte ich sie dann doch lieber selbst hauen.« »Warum nicht!« antwortete Barthli, »die Mühe mag ich dir wohl gönnen, aber machs zur rechten Zeit, sonst fahre ich zu.« »Aber frage doch dann zuerst!« meinte der Bauer. »Man kanns machen, wenn mans nicht vergißt«, entgegnete Bartlhi. »Fragen«, setzte er hinzu, »ist auch so eine neue Mode vom Tüfel. Man sagt, Fragen schade nichts, jawolle, nichts schaden! Ich habs erfahren. Frage um nichts mehr mein Lebtag, wenn es nicht sein muß und es ungefragt auch zu machen ist.«

Diese Schonung kam aus dem gleichen Grunde, aus welchem Barthli seine Rechte nahm, es war auch so eine Art von Grundrecht, entstanden aus uralter Gewohnheit, welches man ihm noch stillschweigend zugestand, trotz der neuen Sitte, aus allem soviel Geld als möglich zu machen, welche man gegen alle andern mit aller Strenge in Anwendung brachte.

In diesem Punkte ist allerdings eine bedenkliche Änderung erfolgt, welche man bei Beurteilung des Verhältnisses unterer Klassen nicht außer acht lassen darf. In früheren Zeiten war viel wildes, viel fast herrenloses Land; was auf solchem Lande wuchs, war Beutepreis, und arme Leute hatten da eine reiche Fundgrube von allerlei, welches sie entweder selbst brauchen oder zu Geld machen konnten. Viele Handwerker, Rechenmacher, Küfer, Korber, Besenbinder und andere, selbst Wagner hatten gleichsam Hoheitsrechte auf solchem Lande, sie nahmen, was ihnen beliebte, und zwar unentgeltlich und ungefragt. In solchem Lande weideten die armen Leute den Sommer über Schafe und Ziegen, sammelten für den Winter Streu und Futter. Das ist anders geworden. Viel Land ist urbar gemacht, und herrenloses Land wird rar sein im Lande Kanaan. Was nicht Privaten angehört, hat der Staat an sich genommen, und wo dem Staate sieben magere Gräslein wachsen an einer Straße magerem Rande, verpachtet er sie, und um zu soliden Pächtern zu kommen, werden Steigerungen abgehalten, ganz splendide. So machen es auch die Privaten, und was einen Kreuzer giltet, verwerten sie in ihrem Nutzen. Sie haben vollkommen das Recht dazu, aber — aber jedenfalls sollte ob dem Kreuzer der Nächste nie vergessen werden.

Mit den Körben, welche Barthli zu Hause machte, schickte er Züsi hausieren oder ging selbsten mit. Obgleich er kaum zwei Stunden von Bern entfernt wohnte, ging er doch selten dahin und ungern. Er möge mit den Stadtweibern nichts zu tun haben, sagte er, die hätten keinen Verstand von der Sache. Die bildeten sich ein, die müßten bei allen Dingen markten bis zum Schwitzen, das sei die Hauptsache beim Handeln. Schätze er ihnen einen Korb um sieben Batzen, so böten sie ihm fünf Batzen, und schätze er ihnen ein andermal den gleichen Korb für vier Batzen, so seien sie imstande, ihm zwei Batzen zu bieten, so viel Verstand hätten sie. »Aber Barthli, da ist ja gut helfen«, sagte man ihm oft. »Schätze deine Körbe alle um neun Batzen, dann hast du ja immer sieben richtig.« Das wollte aber Barthli nicht. Jede Sache habe ihr Maß, sagte er, darüberaus fahre er nicht. Er wolle nicht, daß es heiße, der Barthli im rueßigen Graben sei ein Narr geworden. Sie könnten seinethalben in der Stadt sehen, wo sie ihre Körbe herbekämen, den seinen käme er sonstwo ab, wo die Leute Verstand hätten.

Sein Töchterlein hatte es umgekehrt. Tage in der Stadt waren ihm ganz andere als die übrigen Tage, Tage, wie die Juden sie sich im Tausendjährigen Reiche dachten, wo die Sonne siebenmal größer ist und die Stadttore zu Jerusalem aus Diamanten und Rubinen gemacht, alle Bäume voll der süßesten Früchte, die Zäune voll Weintrauben, jede ungefähr so groß wie Goliath und die Beeren wie Kürbisse.

Man denke aber auch: die schönen Herren und Damen, die Läden voll Gold, Silber und freßbarer Herrlichkeiten, Schweinefleisch, daß es eine helle Pracht war, Brot und Brötchen von allen Sorten, und Bänder und Sachen unter Glas und hinter Glas, denen es keinen Namen wußte, sondern dabei denken mußte, die kämen geradenwegs vom Himmel her! Man sieht oft Kinder in der Stadt, die offenbar nicht mehr wissen, sind sie über der Erde oder unter der Erde. Sie sperren Augen, Nase, Mund auf, daß das ganze Gesicht nur ein Loch ist, durch das die guten Kinder alle die Herrlichkeiten in sich hineinziehen möchten. Man kann sie stoßen, treten, sie merken es kaum, ja, es ist zweifelhaft, ob sie es merken würden, wenn man sie zertreten täte. Manchmal hängt so ein Kind mit einer Hand an der Rocktasche des Vaters oder am Kittel der Mutter. Wie Schleppdampfschiffe segeln die Alten voraus, bewußtlos wird das Kind nachgezogen mit den aufgesperrten Löchern, und glücklich ist der Vater, wenn das Kind ihm noch am Rocke hängt, wenn er landet in einer Wirtschaft oder endlich hinaussegelt aus den Toren ins Weite. Dann macht das Kind das Gesicht zu. Das Chaos der Eindrücke beginnt sich zu ordnen, die einen schwinden, andere treten bestimmter hervor, prägen sich aus; Fragen, Erzählen beginnt, und sind die Menschen zu Bette, geht das Träumen an, eine neue Welt ist entstanden, ein bewegtes Leben reget sich, manchmal bleibts, manchmal stirbts wieder. Das eine, das bleibt, wächst auf zu des Herrn Freude, anderes gestaltet sich zum Distelfelde, auf dem vor allem der Neid wächst und Begehrlichkeiten von allen Arten.

Bei Barthlis Töchterlein ging es nicht so schlimm. Die Herrlichkeiten alle stunden so weit außerhalb seines Lebens, daß es an keinen Besitz dachte, sondern eine reine Freude daran hatte, sie zu betrachten. Nun, ein Evatöchterchen war Züsi sicher auch, wie sie alle sind, aber es fehlte die Schlange. Der alte Barthli hatte keine Anlagen, die Schlange zu machen, er war eher zum Michael geeignet, der Weibern die Mücken austreibt, und mit niemanden als dem Vater lief es in der Stadt herum.

Aber es war noch eins, was das Meitschi in die Stadt zog. Wenn Barthli hinein mußte, so wollte er darin auch wohlleben, nahm in einer Wirtschaft für einen halben Batzen Branntenwein, und dem Meitschi ließ er für einen Kreuzer Suppe geben, dazu aßen sie das Brot oder schnitten es ein, welches sie von Hause gebracht, und einmal erhielt Züseli von der Wirtin geschenkt eine Küchelschnitte und ein ander Mal ein kreuzeriges Bernerweggli, welches ein Gast übriggelassen. Und das war allemal eine Suppe, von welcher man im rueßigen Graben gar keinen Begriff hatte, ja, wo man gar keine Ahnung hatte, daß so was Gutes in der Welt sein könnte. Oh, arme Leute haben auch ein großes Wohlleben, zu welchem viele Reiche nie kommen und um so weniger, je besser sie leben wollen; denn darauf kömmt es nicht an, was man genießt, und wie viel es kostet, sondern wie es schmeckt. Für seinen Kreuzer lebte Züseli viel besser als mancher Große, wenn er es sich hundert Louisdors kosten läßt.

An Barthli ging die Zeit scheinbar machtlos vorüber, er achtete sich ihrer bloß, wenn die Weiden grünten und die Wydli reif zum Schneiden waren, und wenn die Wydstöcke wieder gemindert hatten, seine Ernte wieder geringer ausfiel und mühsamer zusammengebracht werden mußte. Dann fluchte er über die böse Zeit und sagte, es nehme ihn doch wunder, wie das am Ende kommen solle? Wenn es so fortgehe, so gebe es am Ende gar keine Wydli mehr. Dann was machen? Das möchte er wissen, das solle ihm doch einer sagen!

Daß sein Töchterlein größer wurde, aus einem Kinde ein erwachsen Meitschi, das merkte Barthli lange nicht, und als man es ihm zu merken gab, wollte er es erst nicht glauben. Züsi blieb wirklich wundersam lang ein anspruchloses Mädchen und plagte den Vater nicht mit Begehrlichkeiten, wie viele Mädchen alsbald damit anfangen, sobald sie entwöhnt sind. Es kam ganz spöttisch schlecht daher, sein dünnes Kitteli war manchmal einen halben Fuß und mehr zu kurz, denn das Mädchen wuchs, vom übrigen Firlefanz war keine Rede, und das Meitschi plagte den Vater nicht damit. Sie seien gar grusam arm, der Vater vermöge das nicht, pflegte es zu sagen, wenn eine Gespielin ihns fragte, ob es dieses und jenes nicht anschaffen wolle? Mit den Kleidern zum ersten Abendmahl, wo sonst so gerne der Teufel sich einmischt und Streit stiftet, wo gerade der Friede anfangen soll, hatte eine Gotte nachgeholfen und Züsi mit einem alten Kittel und einem neuen Halstuch glücklich gemacht.

Was das Schönste an Züsi war, es schämte sich seines Vaters nie. Man sollte nicht glauben, daß dieses als etwas Besonderes anzuführen wäre, denn warum sollten sich Kinder ihrer Eltern schämen, wenn sie nichts Schlechtes machen, welches den Kindern Schande bringt? Aber man würde sich sehr irren, wenn man es so meinte, denn nur zu viele Kinder schämen sich der Eltern, haben keine Ursache dazu, sondern wegen Dummheiten und ganz besonders wegen ihrer eigenen Dummheit. Sie schämen sich derselben, weil sie altväterisch gekleidet sind, altväterisch reden, altväterisch denken, sich gebärden; aber wäre es denn schön, wenn die Alten die Jungen spielen, jung sich kleiden, jung sich gebärden wollten? Sie schämen sich ihrer, weil sie alt sind und nicht mehr jung, aber ist das gescheut oder dumm, und was hat man für ein Mittel, nicht alt zu werden, als sich jung zu hängen? Eine holdselige Erscheinung war der alte Barthli jedenfalls nicht, und eben anmutig tat er nicht, aber Züsi wußte nichts anderes, als daß einmal der Vater so war und so tat, und ging neben ihm und saß neben ihm und aß neben ihm jetzt, als es größer war, um einen halben Batzen Suppe, und alles unbeschwert.

Es fing eher umgekehrt an zu fehlen. Ein hübsches Meitschi ward zu jeder Zeit bemerkt, es ist ein Ding, das nie außer Kurs kam und nie außer Kurs kommen wird. Man sah Züseli an, man sprach es an, und wenn Barthli mit ihm nach Bern ging, hatte das Tüfelwerk kein Ende. Da ein Küher sagte: »Meitschi, ttst ryte, hock uf e Karre, ih zieh dih.« Dort sagte einer, es solle die Körbe auflegen, sie seien ein gar unkommod Tragen. Und wenn Barthli in eine Wirtschaft kam, wollte man es dem Meitschi bringen, rühmte, wie hübsch es sei, fragte, ob es einen Schatz habe oder vielleicht schon zwei? Das trieb den Alten fast aus der Haut. Und dann noch das Meitschi obendrein, wie das ihn zornig machte! Wenn man es ihm brachte, so trank es, und wenn man von einem Schatz sprach, so plärrete es nicht, es lachte eher. Es sei, wie wenn der Teufel in ihns gefahren, klagte er. Das Meitschi hätte sich ganz g’änderet. Das sei jetzt daheim ein Waschen und Strählen, es hätte keine Art. Ehedem sei es genug gewesen, wenn es, wie üblich und brüchlich, es alle Wochen gemacht, jetzt geschehe das in der Woche, es wisse kein Mensch, wie oft; fast allemal, wenn es von Hause gehe, müsse das Spiel angehen mit Strählen und Waschen, und dazu hätte es einen Trieb von Haus weg, er hätte das nie erlebt. Statt daß es ihm z’wider sein sollte, wenn er ihns irgendwohin schicke, lächere es ihns schier. Und mit den Kleidern fange es auch an, ihn zu plagen, und rede von Fürtüchern und Hemderen und meine, er solle neue machen lassen. Oh, selb einmal noch nicht, oben im Trögli sei noch manches Stück von seiner Alten selig, das müsse erst gebraucht sein, ehe er Neues machen lasse. Er wüßte nicht, wo das Geld nehmen dazu, er möchte jetzt schon fast gar nit g’fahre, und alle Jahre böse es noch.

Züsi konnte dem Vater nichts mehr recht machen, es hatte bös bei ihm, die Leute hatten recht Erbarmen mit ihm. Er schäme sich des Meitschis, sagte der Alte, er dürfe nirgends mehr hingehen mit ihm; wenn auf hundert Stunden herum ein Mannsvolk sei, so lache das einander an, und es sei ein Tschäder, er hätte es nie so gehört. Zu seiner Zeit sei das nicht so gewesen, er habe erst vierzehn Tage nach seiner Hochzeit z’grechtem angefangen mit seiner Frau zu reden. Wenn ers vermöchte, er ließe vor dem rueßigen Graben einen Gatter machen hundert Schuh hoch, und dahinter müßte ihm das Meitschi bleiben und könne dann seinethalb lachen, wenn ein paar Mannshosen von weitem vorbeigingen. Er tat vor den Leuten wüst mit dem Meitschi und putzte es in öffentlichen Wirtschaften aus, wenn ihns ein Mannsbild angesehen oder in einem geantwortet hatte. Das hatte Folgen, man kann es sich denken. Es gab Leute, besonders Weiber, die bedauerten das Mädchen aufrichtig und sagten es ihm auch. »Du kannst mich erbarmen,« sagten sie, »du armes Tröpfli, was du bist; er ist ein rechter Unflat gegen dich. Ich blieb nicht bei ihm, ich lief ihm fort, so gequält wollte ich nicht sein. Ein Meitschi wie du findet Platz überall, macht schönen Lohn, kommt zu Kleidern.« Es wisse in Gottes Namen nicht, was es dem Vater z’widerdienet, jammerte es dann. Es habe mit keinem Buben nichts, es lueg nebe ume soviel möglich, wenn einer daherkomme, aber daß sie es anluegten und ein Wort mit ihm redeten, dessen vermöge es sich doch weiß Gott nichts, es könne ihnen das nicht verbieten. Der Vater solle es verbieten, wenn er könne, ihm sei’s recht. Daheim könne es nicht fort. Wer wollte die Sache machen, pflanzen, melken, den Hühnern die Eier greifen und finden, wo sie legen, von dem verstehe der Vater hell nichts. Aber er sei seit einiger Zeit so grusam wunderlich, es müsse ihn jemand aufweisen, aber, wer es sei, darüber könne es nicht kommen. Aber lieber sterben wolle es, als immer so dabeisein; und dazu weinte es bitterlich, und das Weinen stund ihm gar tusigs wohl an, zehnmal besser oder hundertmal als einer alten Frau das Lachen.

Etwas anderes war aber noch viel schlimmer. Eine bekannte Sache ist, daß, sobald jemand etwas Besonders haßt und dieses Hassen auf eine auffallende oder komische Weise an Tag gibt, es allen bösen Buben ein Herrenfressen ist, diesem Menschen zu machen, was er haßt, wie Schuljungen alle Hunde reizen, welche ihnen tapfer nachbellen. Es gibt immerhin einen schönen Spektakel und kostet nicht viel als allfällig ein Loch in die Hosen.

Sobald merkbar wurde, wie der alte Korber grimmig werde, wenn man sein Züsi ansehe oder mit ihm rede oder gar Miene machte, irgendwie mit ihm zu schätzelen, so wars, als seien alle bösen Geister los. Es schien dem Alten, als wolle alles mit Züsi reden. Sein Lebtag hatten sich nie so viel Leute auf dem Wege gestellt und ein Gespräch angefangen von Sonne, Mond und Sternen oder sonst von nichts und wieder nichts und dann von Tanzen, Kiltern usw. Und Züsi weinte nicht dazu, sprang nicht über die Zäune, ja, blieb manchmal sogar ebenfalls stehen, man denke! Ja, die Bursche kamen sogar bis in den rueßigen Graben, klopften an Züsis Fensterchen und baten um Einlaß. Es fehlte nicht viel, so fuhr der Alte wie eine Büchsenkugel aus dem Laufe aus der Haut durchs Fensterchen den Burschen an Kopf. Wohl, die würden gegangen sein, anders als vor des Alten Drohungen mit Schießen, Hauen und Stechen, welche weidlich verlacht wurden!

Ja, er erlebte sogar, daß er einen, als er von einer Stör heimkam abends, vor seiner Küchentüre traf, und die war nota bene offen, ganz offen, und inwendig der Türe stand sein sauberes Züsi und sprach nicht bloß mit dem Burschen, sondern sie hatten beide gelacht, er hatte es selbst gehört, und zwar mit eigenen Ohren. Wohl, das gab ein Donnerwetter von den mehbessern, und der Bursche erschrak nicht einmal schrecklich, stob nicht davon wie auf den Flügeln des Sturmwindes, sondern sagte ziemlich kaltblütig: »Alter, tue nicht so wüst! Das ist dumm, damit erschreckst mich nicht. Ich habs nicht gehört verlesen, daß es verboten sei, mit deinem Meitschi zu reden und noch dazu am heiterhellen Tage. Das Meitschi gefällt mir, und dich fürchte ich nicht, und das wirst du dir müssen gefallen lassen.« Der Alte spie Feuer, aber was halfs? Trotzig und unversehrt ging der Bursche endlich. Es war dazu nur ein Knechtlein auf einem benachbarten Hofe, aber ein gutes, wie sie rar sind in diesen Zeiten.

Man kann sich vorstellen, was das dem Alten für einen Verdruß machte, daß er die Möglichkeit erlebt, wie in seiner Abwesenheit Bursche zum Hause kommen konnten zu Züsi, und wie das mit ihnen rede und sogar lache, statt mit Ofengabeln und mutzen Besen gegen sie zu agieren. Was halfs ihm nun, wenn er des Nachts schon wachte besser als der beste Haushund, wenn sie des Tags kamen, während er auf der Stör war? Da hatte er jetzt eine Qual, welche er mit sich herumschleppen mußte, wohin er ging, daß er denken mußte: ›Ist wohl aber einer vor der Türe und lachet mit ihm? Ja, und so eine ist nüt z’gut dafür, er geyt noch einist innefür. U de?‹ Wie konnte er davor sein, was dagegen machen? Auf die Stören mußte er, das Meitschi einschließen konnte er auch nicht, in der Stube konnte es nicht pflanzen, mit auf die Stören nehmen ging wiederum nicht wegen der Geiß und dem Gitzi, und die auch mitnehmen auf die Stör, wäre den Bauern kaum anständig gewesen; wenn er mit dem sämtlichen Haus- und Viehstand aufgezogen wäre, die Hühner noch hinterdrein, sie hätten kuriose Gesichter gemacht.

Und wenn er dann sein Elend Leuten klagte, so fand er weder Mitleiden noch Trost. »Barthli,« hieß es, »tue nit dumm und schick dich drein, du wirst die Welt nit anders machen, und Weibervolk und Mannevolk kam immer zusammen und gehört zusammen, sonst hätte unser Herrgott sie nicht so erschaffen. Und wenn schon dein Meitschi mit einem Mannsbild redet, so ist das lange noch nichts Schlechtes, und g’setzt, es nähme einen Mann, und dann? Nahmst du nicht auch eine Frau? Du wirst es dem Meitschi nicht erwehren. Mach den Weltlauf anders, wenn du kannst!«

Das beelendete Barthli noch mehr, Religion sei keine mehr in der Welt und keine brave Manne. Er könne klagen, wie er wolle, so lache man dazu, wolle d’Sach mit Verlachen machen, statt wie ehemals mit Plärren und Beten. So komme es nicht gut, er wünsche nichts, als daß sie das gleiche an ihren Meitschene erleben müßten, es nähme ihn wunder, ob sie es dann auch nur mit Lachen machen wollten. Das gehe mit den braven Leuten akkurat wie mit den Wydleni, je weniger diesere, desto weniger auch o äyre.

Dem Meitschi war nichts vorzuwerfen, aber allgemach begann es ihm zu gehen wie der Eva im Paradies, denn jetzt waren Schlangen gekommen und als Hauptschlange gerade der Vater. Was war natürlicher, als daß, wenn der Vater über das Mannsvolk schimpfte, als ob es aus lauter Ufläte und Uhünge bestünde, es sich achtete, ob es dann wirklich so sei, genauer es ansah? Und da fand es, daß der Vater wirklich übertreibe, daß es gar nicht so übel aussehe, und als es genauer hinsah, fand es sogar recht hübsche Bursche darunter, die ihm immer besser gefielen und namentlich das Knechtlein, von dem schon früher die Rede war. Zudem hörte es gerade über diesen noch recht viel Gutes, und daß er gar kein Hudel sei und seine alte Mutter nicht vergesse. Da mußte es diesen doch wiederum ansehen, ob das wohl wahr sein könne oder etwa erlogen. Und da schien es ihm — je länger, je mehr —, erlogen könne das nicht sein, denn so b’sunderbar ein lieblich Gesicht habe es noch nie gesehen. Wenn es sich zutragen sollte, daß es ein Kind haben müßte und sogar einen Buben, so möchte es einen gerade mit einem solchen Gesicht, von wegen es wüßte dann, Vater und Mutter hätten sich seiner z’trösten im Alter.

Natürlich waren noch viele Schlangen und Schlänglein, die es lockten, zu laufen und zu reutern im Lande herum, wo es lustig zuging, oder z’leerem auf breiter Straße einem guten Schick nach. Ach Gott, und der gute Schick dieser armen, verblendeten Tröpflein, worin besteht dann der? Wir wollen es euch sagen, ihr armen Tröpflein. Der besteht darin, einen Mann zu kriegen oder vielmehr zu pressen in Ängsten und Nöten, der nichts besitzt als eine Tabakspfeife, einen großen Zottel an der Kappe, viel Himmeldonner im Maul und namhaft Schulden beim Krämer, keine Meisterfrau zu haben, die des Morgens aufjagt und den Tag über oft sagt: »Mach! Mach!«, des Abends niederzukönnen mit den Hühnern und z’Mittag kochen zu können alles, was man hat, auf einmal, ohne sich mit dem dummen Abteilen quälen zu müssen, plauderen zu können stehenden Fußes, von einer Tagheitere zur andern, unbekümmert, wer d’Sach mache. Das ist die Herrlichkeit drei Tage oder drei Wochen lang, dann kommt das Elend: immer mehr Kinder, immer weniger Brot, immer schlechtere Kleider und bösere Worte von Mann und Kindern sechs Tage lang, am Sonntag Schläge zum Trinkgeld, schließlich das Betteln, halb nackt, Sommer und Winter, das Liegen auf schlechtem Laubsack, das schreckliche Frieren Tag und Nacht, nie mehr erwarmen können, bis der Tod kömmt, der ganz kalt macht, aber dann spürt mans doch nicht, muß nicht mehr höpperlen auf den hartgefrornen Straßen in bösen Schuhen und Strümpfen den dünnen Brotrinden nach. Das sind die Herrlichkeiten, welche auf den Heerstraßen die mannssüchtigen Mädchen erreutern, errennen.

Nun, Züseli erzwang das Reutern nicht, lief seinem Alten nicht davon. Aber wenn es des Sonntags im rueßigen Graben saß, auf der Küchenschwelle den Hühnern zusah und die Geißen weidete, so mußte es doch denken, wie es lustiger zugehen werde in der Welt als hier im rueßigen Graben. Mitzumachen begehre es nicht, dachte es, nur zusehen von weitem möchte es, um zu sehen, um zu wissen, wie es eigentlich auch ginge. Es juckte ihns wirklich manchmal, wenn der Alte schlief oder wenn er den Wydliwuchs beaugenscheinigte in seinen Revieren, drauszulaufen und sich das Ding recht zu besehen, besonders da, wo Tanz war oder sonst berühmte Lustbarkeiten. Aber es traute sich doch nicht, Schläge hätte es bar gehabt, und es fiel ihm gar nicht ein, den Vater nicht für den Vater zu halten. Es liebte ihn eigentlich; wenn er gestorben wäre, so hätte es sich kaum trösten lassen. Und auch der Vater liebte sein Töchterlein, wenn er es schon selbst nicht wußte, es war sein Schatz und sein Kleinod, seine Plackereien eigentlich nichts als Eifersucht und Angst, es möchte ihm jemand denselben rauben oder denselben mit ihm teilen wollen. Wie der rechte Geizhals, dem das Geld sein Gott ist, sich dessen nicht rühmt und groß damit tut, sondern sich arm stellt und wegen Armut jammert, ungefähr so hatte es Barthli mit seinem Töchterlein und umgekehrt wie die Väter und besonders die Mütter mit ihren Töchtern, denen sie gerne los wären, gerne sie glücklich machen, das heißt, an Mann bringen würden. Sie hatten aber auch ein ähnlich Schicksal, den umgekehrten Kummer, Barthli, es wolle ihm jeder sein Meitschi nehmen, die anderen, die ihren wolle keiner; und denn was man am nötlichsten sucht, findet man nicht, sondern das Gegenteil.

Barthli mußte einmal wieder z’Märit nach Bern, denn es gibt Zeiten im Jahr, wo man auf dem Lande keine Körbe absetzt. Züsi mußte mit, er hatte viele Körbe; und nahm ers mit, hatte er es wenigstens unter Augen. Daheim hütete es ihm niemand, denn eine Nachbarin, welche sonst ein Auge auf ihns haben sollte, ging auch z’Märit. Züsi ging auch gerne. Wenn es schon nicht mehr so in Entzücken versank, so sah es doch vieles, an welches es denken konnte in seiner Einsamkeit, und wenn ihm die Suppe auch nicht mehr so vorkam wie eine Speise von den Tafeln aus dem Tausendjährigen Reiche, so lebte es doch wohl daran, und wenn sie guten Verkauf hatten, ließ der Vater wohl auch ein Stücklein Fleisch und etwas, sah aus wie Wein, aufmarschieren. Er gab hie und da einen schwachen Schimmer von sich, als dürfe er sich etwas mehr gönnen als früher, aber bemerkte es jemand, so tat er auf lange kümmerlicher als je.

Wer an einem großen Markttage an einer Hauptstraße steht, findet Stoff zu mancher gottseligen Betrachtung, zu mancher Predigt, er sieht sichtbarlich vor sich die Lebensstraße. Es rennen die einen dem Getriebe des Marktes zu, wie unwillkürlich durch einen Magnet oder einen Strudel angezogen. Es wandern andere besonnen und behaglich dahin, meiden die Steine, suchen den besten Weg, verkürzen sich den Weg mit Plaudern, haben vergnügliche Gesichter und zuversichtliche, daß ihnen was Gutes nicht fehlen werde. Es karren und trappen die dritten mühsam daher, möchten auch eilen, aber es geht nicht, sie kommen hintenher durch dick und dünn, haben Angst, sie kämen zu spät zu den guten Dingen, und kommen doch nicht vorwärts. Wie die den vorübersprengenden Fuhrwerken nachsehen, die einen schmerzlich, die andern zornig! »Fahr nur, so stark du magst, so kommst desto früher zum Lumpentürli; dann kannst wieder mit mir laufen, wenn du noch laufen magst! Ich sprengte auch und mochte nicht warten, bis ich in einem Gasthof saß. Jetzt weiß ich wieder, wie das Laufen ist, und wäre zufrieden, wenn ich einen Batzen hätte und zu einem Schluck Branntenwein käme.« So führt mancher Selbstgespräche, hängt jedem dahineilenden Fuhrwerke eine Lebensskizze der darin Sitzenden an samt etwelchen frommen Wünschen und Weissagungen. Humpelt aber noch einer mit ihm, so führen sie zusammen erbauliche Gespräche, machen sich vertrauliche Mitteilungen über ihre Nächsten und streiten sich darüber, ob diese sich seinerzeit selbst hängen oder ob sie gehängt werden würden, und was sie noch alles darüberaus verdient.

Barthli und Züseli gehörten unter die Karrenden, doch nicht unter die Unglücklichen und von Grund aus Mißvergnügten. Barthli wäre für heut mit der Welt zufrieden gewesen, wenn nur gar kein Mannsbild auf der Straße gewesen wäre, und Züseli sah ganz vergnügt aus. Sie kamen früh in die Stadt, so wurde am besten der gefährlichste Teil des Volkes gemieden, der junge. Manchen Ärger über die Stadtweiber hatte Barthli auszustehen, sorgte aber, soweit billig, für Entschädigung.

Züseli machte indessen noch bessere Geschäfte, denn mit ihm machte man lieber Geschäfte als mit dem rueßigen Alten, und als Trinkgeld obendrein bekam es nicht selten die Bemerkung: »Es scharmants Meitschi! Wäre das recht angezogen, so machte das Puff.« »Mach nur nicht, daß es das hört!« sagte dann wohl eine Begleiterin. »Es wäre imstande, es käme in die Stadt. Wohl, das würde ein sauber Dirnlein abgeben!« Wer weiß, was die Rednerin selbst abgegeben hätte, wenn sie hübsch gewesen wäre, wovor sie aber Gott bewahrt hatte! Wird seine Gründe gehabt haben, der liebe Gott.

Neben dem Ärger über die Stadtfrauen hatte Barthli noch großen Zorn zu verwerchen über die Gendarmes. Er könne nicht glauben, daß der liebe Gott die ganze Welt erschaffen, sagte er. Der liebe Gott sei ein weiser Mann. Zweier Gattig Kreaturen hätte er nicht gemacht, Kröten und Gendarmes (Wenns noch Landjäger wären, er wollte nicht soviel sagen.) Von denen wisse er nicht, und kein Mensch habe es ihm sagen können, für was die gut seien, und allen Leuten gruse es drob. »Wohl, Barthli,« sagte ihm ein Kamerad, »das kann ich dir sagen. Lue e Krott oder e Gendarm recht a, und dann wirst du Gott danken, daß er es geordnet, daß du der Barthli geworden und nit e Krott oder e Gendarm. Dafür hat er sie gemacht.« »Ja sieh,« sagte Barthli, »das ist das nichtsnutzigst Volk auf Gottes Erdboden; gerade das, wo sie wehren sollen, machen sie selbst. Sie sollen heute machen, daß der Weg nicht gesperrt sei, sondern jedermann passieren könne, und gerade sie stehen dem ganzen Volk im Weg. Unsereiner sollte nirgends sein; wenn sie ein alt Mannli sehen, so kujonieren sie es, es ist nie am rechten Ort, schon dreimal hat mich heute einer angeflucht um nichts und wieder nichts. Und die Obrigkeit wird ihm doch nicht den Lohn geben, daß er die Leute das Fluchen lehre und wie man umgehen müsse mit alten Leuten. Dagegen steht der Aff da vor meinem Meitli, es weiß kein Mensch, wie lang, verstopft den Leuten das Loch, hält dem Meitschi die Kunden ab, macht ihm den Kopf groß, das steht ihm immer am rechten Ort. Das muß gehen, sich zu waschen, von wegen ich habe immer gehört, wenn ein Gendarm ein Meitschi lang ansehe, so werde es krätzig oder bekomme aufs wenigste eine Haut, wie eine vierhundertjährige Eiche Rinde habe. Dem Hagel darf ich nichts machen, nicht einmal was sagen, aber ich will es der Obrigkeit eintreiben; wenn ich der was zuleide tun kann, so will ich es gewiß nicht sparen.«

Natürlich mußte es einstweilen das Meitschi entgelten, dem er kein gutes Wort gab und im Wirtshaus es so kurz als möglich abspeiste, daß es recht hungrig blieb und Augenwasser bekam vor Elend. Wenn es nur schon daheim wäre, dachte es, so könnte es doch den Hunger g’stellen. Wenn sie nur schon daheim wären, dachte der Alte, dann müsse ihm das Meitschi nicht bald wieder z’Märit, daß es ein Gendarm nach dem andern angrännen könne. Da es ihnen beiden pressierte, kamen sie also auch aus der Stadt, aber viele Worte gönnten sie einander nicht.

An einem Markttage geht es lustig zu, überall sind die Geigen los, und wo ein Schild an einem Häuschen hängt, da stehen die Fenster offen, damit Geigen und Trampeln das Häuschen nicht versprengen. An diesen allen müssen die Heimkehrenden vorbei, haben so die Musik umsonst. Für Mädchen, die nicht einkehren dürfen, sondern auf der Straße bleiben müssen, ist es eine Art von Spießrutenlaufen, besonders wenn sie weite Herzen haben, für viele Platz darin, und nun denken, hier innen kann ein Schatz sein und dort wieder einer und so fort. Züseli war noch nie auf einem Tanzboden gewesen. Es könne nicht tanzen, sagte es, und könnts nie lernen und begehre sonst nicht zu gehen. Wohl, der Vater würde ihm, sagte es. Es dachte nicht daran, daß es viele Mädchen mit dem Tanzen haben wie junge Hunde mit dem Schwimmen. Man werfe nur einen ins Wasser, so kann man sehen, wie er das erste Mal schon munter fortkömmt. Züsi tat es also nicht weh im Herzen, wenn es an einem zitternden Häuschen voll Geigen vorbeiging, etwas kürzer wurden wohl seine Schritte, die Musik gefiel ihm.

Schon mehr als halbwegs waren sie und eben fast wieder an einem Wirtshause vorbei, als ein Bursche zur Türe ausstürzte, Züsi packte, »jetzt mußt du kommen und einen mit mir haben!« schrie und mit ihm fahren wollte dem Wirtshause zu, wie es üblich und bräuchlich ist. Das Meitschi wehrte sich, der Alte brüllte: »Willst mir das Meitschi sein lassen, du Uhung du?« und faßte auf der andern Seite und riß auch. Sie rissen und brüllten; es war ein Mordspektakel, wäre jedoch kaum beachtet worden, wenns bloß gewöhnlicher Schryß gewesen wäre. Ein Mädchen hat Schryß, heißt soviel als: es ist fetiert, gesucht. Es sollen nämlich die Mädchen, wenn Bursche sie zu Wein und Tanz führen wollen, sich erst tapfer wehren, tuns jedoch nicht alle, wenigstens nicht nötlich, aus Furcht, die Burschen könnten nicht recht anwenden, zögen gerne den kürzern und ließen ab. Nun geschieht es auch, daß zwei Bursche an einem Mädchen zerren, bis Kleider und Arme fast vom Leibe gehen, oder wenn ein Mädchen im Ernst heimwill, sie es förmlich zurückschleppen, daß ein Fremder meinen würde, sie hätten Befehl erhalten, das Mensch tot oder lebendig einzubringen. Diesmal schien es mehr oder weniger eine abgeredete Sache zu sein, Züsi mal ins Wirtshaus zu bringen, dem Alten z’Hohn und z’Trotz, denn aus den Fenstern brüllte es: »Benz, wehr dich, Benz, setz nicht ab, zieh brav, bist e Leide, daß du der Alt nit magst!« So mußte Benz alle seine Kraft anwenden und schwor dazu alle Zeichen, sie möchten sich wehren, wie sie wollten, Züsi müsse einmal ins Wirtshaus, das sei fertig; und er schleppte sie beide wirklich hinter sich her zur Burgerlust der Zuschauer. »Alter, setz ab, heute zwängst du nichts, du reißest ja deinem Meitschi den Arm aus dem Leibe. Komm mit, z’trinke mußt haben, soviel du magst.« »Benz, zieh recht, und wenn du nicht fahren magst, so wollen wir kommen und dir helfen!« so scholl es aus den Fenstern. »Nit nötig!« rief Benz, tat frisch einen mächtigen Ruck, daß der Alte das Mädchen lassen mußte und Benz samt dem Mädchen bei einem Haar überpurzelt wäre. Ein furchtbar Gelächter erscholl. Desto schneller machte sich Benz mit dem förmlich eroberten Mädchen ins Haus.

Drunten blieb der Alte fluchend stehen und wünschte der mutwilligen Jugend alle Hagelwetter auf den Hals, schalt sie Räuber, Mörder und merkte nicht, daß er da eine Komödie aufführe, und dazu noch unentgeltlich, zum Ergötzen des Publikums. Endlich kam die Wirtin, eine resolute kuraschierte Frau mit gutem Herzen. »Das ist öppe nüt Witzigs von euch, ein alt Mannli so z’plage, wollt so vornehme Bauernsöhne sein! Hätte geglaubt, zu einem solchen Lümmelstückli wäret ihr zu stolz. Und für was seid ihr denn da?« schnauzte sie gegen einen Gendarm. »Unglücksmacher seid ihr, wenn man euch brauchen könnte, sieht man euch nicht, und wo ihr abwehren solltet, da helft ihr noch. Komm, Barthli, hinauf, trink, was sie dir ja angeboten, laß das Meitschi es paar halten, dann müssen sie es dir lassen, wann du willst, ich bin dir gut dafür. Ich will schon Ordnung machen, ich! Dazu brauche ich niemanden, und wenn er eine Montur anhätte und ein Säbeli am Hintern.«

Als Barthli hinaufkam mit der Wirtin, da war Züsi, zum großen Ärger des Alten, bereits mitten im Tanzen. Es war ihm wirklich zu seinem eigenen Erstaunen gegangen wie, doch per se nicht zusammengezählt, einem jungen Hunde, und seine Beine bewegten sich ung’sinnet und ungeheißen, wie der Geiger es aufmachte. Gar freundlich wurde Barthli oben empfangen, mit Wein und Speisen reich regaliert, Gläser von allen Seiten ihm dargestreckt, man wollte ihn versäumen, mit Wein zudecken, daß er Pressieren und Heimgehen vergesse.

Aber Barthli war nicht erst gestern auf die Welt gekommen und von Natur nicht dumm. Ein Glas Wein, wenn es ihn nichts kostete, trank er nicht ungern, er teilte diese Schwachheit mit noch ganz anderen Leuten, aber das Spiel mit sich treiben ließ er nicht gerne, den Posten, anderer Narr zu sein, liebte er nicht, auch wenn er was eintrug und er, Barthli, geizig war. Er nahm, bis es ihn dünkte, er hätte genug, und drei Tänze sollten getanzt sein. Da wollte er sein Meitschi haben und fort, aber man lachte ihn aus, und der Spektakel ging von neuem an. Das Meitschi hörte es, und obgleich es ihm beim Tanzen war, als sei es halb selig, so stellte es doch dasselbe ein, wollte keinen Fuß mehr versetzen, sondern mit dem Vater heim. Aber Benz wollte es nicht gehen lassen, sondern zerrte immer frisch an ihm. Da kam die Wirtin wieder und sagte: »Jetzt laßt mir das Meitschi, ich versprach es dem Alten, und er soll es haben, und wer es nur noch anrührt, den treffe ich, und wenn es an einem Mal nicht genug ist, zweimal. Es nimmt mich wunder, ob in meinem Hause die Leute nicht ein- und ausgehen dürfen, wie sie wollen.« »Aber, Wirtin, hätte geglaubt, du hättest mehr Verstand als so. Seit wann ists Sitte, mit einem Mädchen zu tanzen und es so z’trocknem laufen zu lassen? Das tut dir kein rechter Bursche, einmal wenn er noch einen Kreuzer Geld im Sacke hat«, hieß es von allen Seiten. »Mir wärs manchmal lieber gewesen, z’trocknem zu gehen, als so einem Schnürfli ein Glas abzunehmen«, antwortete die Wirtin. »Aber meinetwegen! Soll ich eine Halbe bringen?«

Als die Halbe getrunken war, fing die Geschichte wieder von vornen an. Benz wollte das Meitschi nicht lassen, erst jetzt habe er recht Mut zum Tanzen, und mit dem Trinken sei es nicht gemacht, es müsse gegessen auch sein, die Wirtschaft solle aufwarten mit dem, wo zu haben sei, heute müsse was gehen, er setze nicht ab. Das Mädchen weinte, und der Alte war fuchswild. Benz schimpfte ihn mit allen möglichen Ehrentiteln aus und fing den Schryß wieder an.

Da erschien die Wirtin, warf Benz mit ihrem mächtigen Arm in die lachenden Zuschauer hinein, daß er davonfuhr wie ein Kegel, von gewaltiger Kugel getroffen. »Jetzt, Alter, nimm das Meitschi und mach, daß du mit ihm fortkommst; und daß mir sie keiner anrühre oder plage, sonst treffe ich ihn, daß er weiß, daß er getroffen ist!« so rief das zornige Weib.

Und unangetastet im Frieden zog der Alte mit seinem Kleinod ab. Man glaubt nicht, was so eine mutige Wirtin für eine Herrschaft übt. Der Wirt ist immer nur ein Fösel dagegen.

Der Alte fuhr wie ein großer Feuerteufel oder feuerspeiender Berg dahin, schimpfte über alles im Himmel und auf Erden und nicht am wenigsten über sein Töchterlein, daß das einen Fuß zum Tanzen aufgehoben, gab wie das sagte, es hätte nicht anders können, es hätte sich ja gewehrt, bis z’ußerist use. »Zum Schein, du Täschli!« polterte der Alte, »wenn es dir ernst gewesen, du hättest dich g’stabelig gemacht wie ein buchenes Scheit, daß der Tüfel g’hört hätt, mit dir z’tanze, jawolle!«

Ja, so ein alter Barthli, ein sechzigjährig Kudermannli hat gut reden; so einer, der von Natur g’stabelig ist wie ein Garbenknebel, der weiß nicht, was das Ung’hürigs war für ein achtzehnjährig Meitschi, wenn es sich g’stabelig machen sollte, wenn der Geiger einen recht Lustigen aufmacht und ein Benz mit ihm tanzen will. Dem Meitschi gings ganz wunderlich im Kopf herum, bitter und süß durcheinander. Das Schelten des Alten tat ihm weh. Das Wüsttun von Benz plagte ihns. Daß er so einer sei, so wüst tun könnte, hätte es keiner sterblichen Seele geglaubt, dachte es, und zu diesen Gedanken machte der Geiger lustig auf, die Töne zuckten ihm durch den ganzen Leib, die Füße trippelten im Takt. Es war in dem seltsamen Zustand, wo man oben weint und unten tanzt, Füße und Augen allen Rapport zueinander verloren haben.

So kamen sie heim, und d’s Meitschi sollte die Haushaltung machen, und zwar hinten und vornen im Hause. Wie die Ziegen mit ihrem Traktament zufrieden waren, wissen wir nicht, Klagen darüber kamen uns keine zu Ohren, aber über das seine schimpfte Barthli ungemessen, und zwar hatte er etwas recht, wir müssen es sagen. Der Kaffee war ganz ohne Sinn und Verstand, das Meitschi hatte das Pulver vergessen, er kam ganz weiß aus der Kanne. Die Erdäpfelrösti war schwarz wie ein Wollhut, ungesalzen und ungeschmalzen. Die Milch war ein unerhört, nie erlebt Getränke, denn im Verschuß hatte Züseli Salz und Butter in die Milch getan statt in die Rösti. Man kann sich denken, was das für den hungrigen Barthli für ein Herrenleben war! Er war drauf und dran, was er sonst nie machte, ins Wirtshaus zu gehen und nachzubessern und den Leuten zu klagen, wie es ihm ergangen und was er für ein Meitschi habe. Zu gutem Glück fiel ihm noch zu rechter Zeit ein, der Teufel sei von je ein Schelm gewesen, es wäre sehr möglich, daß er es jetzt noch wäre und Benz und Züseli zusammenführen könnte, so oder so. Er besserte sein Hundefressen mit einem Stück Käs aus, trank frische Geißmilch dazu und paßte scharf auf Züseli, in welcher Richtung dessen Augen gingen, ob es wohl jemanden erwarte oder nicht. Und als es ihm sagte, es wolle zu Bette, es sei müde und schläferig, da ward ihm die Sache erst recht verdächtig. »Aber wart, du Täschli, du bist mir noch lange z’wenig, Barthli ist dir und andern schlau genug, du Täsche! Wart bis morgen, dann will ich dir die Schlauheit auflegen, daß du sie faustdick am Leibe greifen kannst!« brummelte der Schlaue.

Nun machte es der Alte schlau. Er stellte sich in die sieben Bohnenstecken, von denen aus er die Zugänge zum Häuschen übersah und namentlich die Fensterchen allzumal, die blinden und die halbblinden. Da lauerte er wie die Katze auf die Maus und dachte: ›Wartet nur, der alte Barthli ist euch schlau genug, der tut euch Pulver in die Kanne und Salz in die Rösti.‹ Er machte sich g’stabelig wie ein buchenes Scheit in seinen Bohnenstecken, und das war ihm keine Kunst, denn er war von Natur schon fast so, und spitzte die Ohren wie ein Has in einem Kabisplätz. Er hörte immer etwas, bald hinten, bald vornen, bald links, bald rechts, es knisterte was im Laube, es trappete auf der Straße, es schlich etwas, es hustete, kurz, er hörte alles mögliche, aber es kam niemand. Es fror ihn, es fiel ihm ein, der Kerl könnte schon drinnen sein, er hörte drinnen was. Richtig, da redete es. Barthli schlich wie eine Spinne, wenn sie eine Fliege um ihr Netz surren hört, gegen seiner Tochter Bett, stand stille und wollte wissen, wer da spräche, und was, und wenns Benz sei, ihn prügeln nicht für Spaß. Aber er verstand sich nicht auf die Töne, bis er dicht vor dem Bette stund. Da hörte er, wie Züseli brummte: »Drli drli, drli drli, drlum drlum, drlum, drlurili drlurili.« Das gute Meitschi tanzte im Schlaf und machte den Geiger dazu und war sicherlich selig in seiner Freude. Es fehlte aber nicht viel, der Alte hätte sie ihm rauh vertrieben und ihm zugemessen, was er Benz zugedacht. Hart rüttelte er das Meitschi auf und gab ihm einen väterlichen Zuspruch nicht bloß aus dem Salz, sondern aus dem Pfeffer, der aber dennoch nicht tief ging, denn kaum stand der Alte wieder in seinen Bohnenstecken, so summste es im Stübchen wieder: »Drlü drlü, drli drli«, und lustig gings in des Mädchens Seele zu, während draußen der Alte fror und fluchte und alles umsonst.

Benz kam nicht, aber kommen hatte er wirklich wollen, der Geist wäre willig gewesen, aber das Fleisch war zu schwach. Er war hart betrunken, fand den Weg nicht, fand überhaupt keinen Weg mehr, und wie und wann er nach Hause kam, darüber gehen verschiedene Gerede. Als Benz wieder zu ordentlicher Besinnung kam, da ward sein Gewissen beschwert durch die Art und Weise, wie er Barthli behandelt und tituliert hatte. Das Meitschi stak ihm im Herzen und d’s Hüsli im Kopf, und beide tief. Das Meitschi gefiel ihm wohl, es war eingezogen, flink und fleißig, hübsch genug für ihn, wie er sagte, aber es chömm nit alles uf d’Hübschi a, sondern d’s meiste uf’s Ordelitue, und dann könne er einmal noch ein ganzes (die Löcher im Dache rechnete Benz für nichts) Hüsli erben, da brauche man keinen Hauszins, könne pflanzen, ja, das wäre ein schöner Anfang und viel gewonnen. Wenn man ein Meitschi gerne möchte, so schien es Benz denn doch nicht als zweckmäßige Präliminarien, den künftigen Schwäher zu mißhandeln, er erachtete, der Schaden müsse ausgebessert werden, aber das Wie, das gab ihm lang zu sinnen. Endlich fiel ihm was ein. Er stahl seiner Meisterfrau einige alte, zerrissene Körbe und machte sich nach dem Feierabend mit denselben dem rueßigen Graben zu. Er fand den Alten auf dem Bänkli vor dem Häuschen. Das Meitschi saß neben ihm auf dem Tritt der Stege, die ins Obergaden führte.

Die Meisterfrau schicke ihn, sagte Benz, er hätte da einige alte Körbe zum Flicken, wenn es sich der Mühe lohne, er solle sie g’schauen, und somit saß er ohne weitere Komplimente neben den Alten auf das Bänkli ab. Der Alte hatte alsbald die Trümmer der Körbe zur Hand genommen und geriet in schauerlichen Zorn. Er ließ ihn zuerst los über die Bauernweiber, wie die immer hundshäriger würden, wüst Gythüng. Da solle er Körbe flicken; fordere er mehr als zwei Kreuzer für einen, so sage sie ihm wüst, und habe er mit demselben doch mehr zu tun als mit einem neuen, dreibatzigen. So gehe man mit armen Leuten um; nachdem man sie blutt gemacht, wolle man sie noch schinden.

Nachdem er alles gemustert, wandte sich sein Zorn. »Los, Bub,« sagte er, »mit solchem Zeug schickt dich keine Bäurin, wenn sie recht im Kopf ist, und das ist deine, das ist eine rechte Frau. Du Lumpenkerli willst anfangen, wo du es gelassen, ich soll dein Narr sein, aber du bist am Lätzen, stell einen hölzernen an, wenn du einen Narren haben mußt, oder sei ihn selbst, aber den Barthli laß ruhig, der zeigt dir sonst den Weg unsauber. Nimm den Zeug und packe dich, und daß du mir nicht mehr unter das Dach kömmst, sonst mache ich, was gut ist.«

Benz blieb sitzen und sagte ruhig: »Etwas recht hast und etwas nicht. D’Meisterfrau hat mir in der Tat diesen Zeug nicht gegeben, sondern ich kam aus mir selbst, und weißt, warum? Ich wollte schon am Märitabend kommen, es war aber besser, ich kam nicht, ich war z’volle, mein Lebtag nie so, wie ein Kalb, sag ich dir. Nachher kams mir, ich sei wohl grob mit dir umgegangen, und es war mir leid, von wegen sieh, es geschah nicht aus Absicht oder gar aus Bosheit, sondern wegen der Bekanntschaft. Sieh, ich will es dir gradusesäge, dein Meitschi g’fallt mir, es dünkt mich, es schicke sich niemand besser zueinander als ich und es. Wir sind beide jung und hübsch genug füreinander, können beide wohl verdienen, es bekömmt ein Hüsli und ich keins, es hat einen Ätti und ich ein Müetti, beide alt, wegen der Hübschi haben sie einander nichts vorzuhalten. Wenn du und es einander heirateten, so brauchte ich für d’s Müetti keinen Hauszins mehr, es könnte die Haushaltung machen und d’s Meitschi desto besser verdienen, und wenn denn da alles zusammenkäme, so hätten wir bald Geld z’weg und könnten entweder mehr Land kaufen oder das Hüsli neu unterziehen lassen, es mangelt dasselbe grusam. Wenn du mir d’s Meitschi gä wottsch, es hat nichts dawider, ich wüßt nicht, was es wett ha, so b’sinn dih nit lang und sägs, daß ih mih rangieren cha! Mit Werche mag mich keiner, und sparsam bin ich auch. Daß ich mich vollgesoffen letzthin, daran stoß dich nicht, das geschieht des Jahrs nicht manchmal, und selb macht nichts, sagt man. Die Mutter ist huslich, für Schmutzigs z’spare i d’Suppe, i d’s Krut u sust, kratzet sie alle Egge us. Die erspart dir manche Krone des Jahrs. Lue, du bist afe alt, und lang wirst es nicht mehr machen, aber du sollst deine Sache haben, wie recht und brüchlich, für einen Hund sollst nicht gehalten werden, wie es an manchem vornehmen Orte der Brauch ist, wir wollen dich für e Ätti ha, seiest wunderlich oder nicht, krank oder g’sund. Ich habe gedacht, du werdest froh sein, wenn dein Meitschi einen habe, ehe du davon müssest. Da habe ich gedacht, du gebest mir die Tochter, sie machts auf my armi türi besser mit mir als mit einem, der manch tausend Gulden hat, daneben dann aber ein Hudel ist, und dann ists auch nicht, daß ich ganz nichts hätte. Oder was meinst, Barthli, nicht wahr, du gibst mir d’Tochter?«

»Ja, ja, ja, einem solchen Lausbub wie du die Tochter geben, ja, ja, ja, das wäre es witzigs Stückli vo Barthli, einem, wo nichts als plagen kann und damit anfängt, mich zum Narren halten zu wollen. Ich glaube, du möchtest gern es Hüsli und dazu noch mir deine Alte, die wüste Schnupfdrucke, anhängen, so was käme noch manchem Narr in Sinn. Mein Meitschi mangelt keinen Mann, wir mögen die Sache, welche wir pflanzen, selbst fressen, brauchen keinen Schmarotzer und Unflat dazu. Und jetzt mach, daß du fortkömmst, und das Gnist, wo du gebracht, nimm mit, oder ich schlage es dir ums Gesicht.«

Benz wollte frisch ansetzen, versuchte, Barthli darzutun, wie kommod in alle Spiel ein Tochtermann wäre, wie er doch einen haben müsse, und viel besser täte, einen zu nehmen, der am Tag komme, als einen, den ihm das Meitschi z’Nacht zucheschleipfe. Er sollte nur das Meitschi fragen, ob es ihn wolle oder nicht. Aber Barthli fragte das Meitschi nit: ›Wottsch oder wottsch nit?‹ Benz hatte seine Sache nur schlimmer gemacht, den Verdacht geheimen Einverständnisses erweckt und jetzt wirklich Zeit zu gehen, wenn er nicht fremde Hände am Kopf haben wollte. »Sag,« rief ihm Barthli nach, »deinem alten Kratte, wenn sie einen Mann wolle, solle sie sich einen kuderigen machen lassen, andern bekomme sie keinen!« Da drehte sich Benz um und sagte: »Jetzt schweig, Alter, und wart du nur, es kömmt einmal die Zeit, wo du froh über Benz wärest, aber dann kannst du lange pfeifen, du alte Wydlimuser du, was d’bist!«

Züseli war bei der ganzen Verhandlung gewesen, aber nicht gefragt, hatte es auch nichts dazu gesagt. Der Alte fragte ihns auch nachher nicht, ob er es ihm recht gemacht, sondern behandelte es als Mitschuldige. E Dirne, e wüsts Bubemeitschi sei’s, nit trocke hinter den Ohren und schon einen Mann wollen, pfy Tüfel! Kabiswasser saufen muß es ihm, bis solche Mücken vergangen seien. Daß es ihm nicht d’s Herrgotts sei, mehr einen anzusehen, sonst wolle er ihm die Augen schon vermachen mit Harz oder Schnupf, was er zuerst bei der Hand habe. Er wolle ihm das Gaffen und Liebäugeln vertreiben! Es sei nichts besser dafür als eine Drucke voll Schnupf i d’s G’fräß. Er möchte doch wissen, was sie da mit einem Tochtermann, mit so emene Gränni machen sollten in dem kleinen Hüsli, wo sie kaum selbst Platz hätten. Es sei jetzt mehr als zehn Jahre, daß seine Alte gestorben, sie hätten es seither machen können ohne Tochtermann, er wüßte gar nicht, warum sie jetzt auf einmal einen nötig haben sollten, son e Kerli, wo freß für zwei, Platz versperr und nichts könne, als die andern versäumen! »Wir mangeln keinen Tochtermann, wir können es alleine, gibt die Geiß ja längs Stück für uns kaum oder gar nicht Milch, verschweige dann für ein groß Kalb.«

Von diesem Standpunkt aus sah Barthli die Sache an. Es wird sicher niemanden und namentlich keiner lieben Leserin unerwartet kommen, wenn wir sagen, daß Züseli nicht von diesem Gesichtspunkte aus die Lage der Dinge betrachtete. Das Tanzen und der Tochtermann hatten in seinem Köpfchen sich Platz gemacht und drehten sich darin miteinander herum, daß ihm fast alles Sinnen und Denken verging. Kaum achtzehn Jahre alt und hätte schon einen Mann haben können, und ist manche schon siebenzig Jahre alt und hat noch keinen! Dann hätte es mit ihm z’Märit gehen können und beim Heimgehen tanzen, drli, drlü. Und wenn der Alte nicht dabei war, so probierte Züseli richtig, ob es es noch könne.

Man sieht, Züseli hätte mit einem Tochtermann seines Vaters schon was anzufangen gewußt. Aber es sollte ihn ja nicht haben, sollte keinen Mann haben, denn der Alte wollte ja keinen Tochtermann, nie mit einem vom Märit heimgehen und mit ihm tanzen! Das kam ihm fast übers Herz, es mußte weinen, es mochte wollen oder nicht, es mußte an Benz denken. Der hätte sich doch so wohl geschickt, fand es je länger je mehr; die Mutter hätte es eben auch nicht begehrt, aber ihn wohl, und zu brauchen wäre er sicher auch gewesen, was er nicht gekonnt beim Korben, hätte man ihn b’richten können.

Bis jetzt hatte Barthli mit Recht nicht über Züseli klagen können, sondern Ursache gehabt, dem lieben Gott für das Meitschi zu danken, denn es war nicht bloß die Stütze, sondern auch die Blume seines Alters. Nun begann es zu ändern. Böses machte, soviel wir wissen, das Meitschi nichts, aber mit seinen Sinnen und Gedanken war dasselbe nicht mehr da, wo es sein sollte, sie flogen ihm davon, es wußte selbst kaum, wohin. Das eine vergaß es, das andere machte es verkehrt, daß der Alte wirklich manchmal schlimm daran war. Bald war nicht gekocht, bald nicht gemolken, die beiden Handhaben an einem Korbe auf der nämlichen Seite, oder gar feuerte es mit Korbwydlene an.

Dazu begann das Meitschi schlecht auszusehen, müde zu werden, plärrete viel, daß der Alte wirklich ans Krankwerden dachte und eine alte Nachbarin zu Rate zog. Die tröstete ihn. Das sei nicht anders bei jungen Mädchen, sagte sie, das gebe es oft und werde schon bessern. Da sei nichts besser dafür, als ab Bocksbart zu trinken, der sei b’sunderbar gut i sellige Umständen. Zu all seinem Elend mußte nun Züseli ab Bocksbart trinken, der schmeckte ihm aber grundschlecht, und man sah gar nichts, daß er ihm anschlug, eher das Gegenteil. Je weniger er aber anschlug, desto böser wurde der Alte mit Züseli. »Du sufst ume z’wenig,« sagte er, »es würde sonst schon bessern, der ist ja expreß gut dafür. Wottsch sufe oder nit?« Wegem Bocksbart konnte erfragen: »Wottsch oder wottsch nit?«; hätte er wegem Tochtermann so gefragt, es hätte vielleicht besser angeschlagen.

Ob Züseli in dieser Zeit Benz nie gesehen, nie gesprochen, wissen wir nicht, wir haben Ursache zu glauben, daß sie sich gesehen haben. Wenigstens wollte es eine Nachbarin behaupten, nicht daß sie dieselben beieinander gesehen, aber Züseli suche das Futter für die Geißen und den Bocksbart gar oft am nämlichen Orte und an einem Orte, wo nüt Aparts für die Geißen wachse, und der Verstand gebe es doch mit, daß am nämlichen Orte nicht stets etwas zu finden sei. Aber von dort sehe man den Hof, wo Benz diene, und von dorther gehe man herunter ins Dorf, das komme ihr sehr kurios vor. Uns dagegen gar nicht, denn jedem achtzehnjährigen Meitschi ist bekannt, daß ein solches Mädchen in einem Zimmer, wo drei Fenster sind, von denen eins gegen das Haus seines Schatzes sieht, sich immer an dieses Fenster setzt, auch wenn es gar keine Hoffnung hat, mit dem Schatz hinter den Fenstern zusammenzutreffen. Es ist immer Hoffnung, vielleicht ein Bein oder einen Kuttenfecken des Geliebten zu sehen, jedenfalls hat man einen sichern Haltpunkt für seine Gedanken, und schaden kann es ja doch nicht viel!

Wir wollen nicht entscheiden, wie es sich verhielt; das wissen wir, daß am zweiten Sonntag im August vergangenen Jahres Züseli daheim vor dem Häuschen saß und grusam Langeweile hatte und ein Blangen dazu, daß es ihm sein kleines Herz fast versprengen wollte.

Die Bewohner des rueßigen Grabens meinten nicht, daß sie alle Sonntage zur Kirche müßten. Wenn man die Sonntagskleider alle Sonntage anziehen wollte, man wäre ja alsbald fertig damit, meinten sie. Barthli ging noch zuweilen, und manchmal nur, damit das Meitschi daheim bleiben müsse, um zu hüten, denn das sah er sehr ungern gehen und legte ihm, wenn es einmal gehen wollte, Hindernisse in Weg, wie er nur konnte und mochte. Ledigen Leuten sollte man d’s Chilchegah ganz verbiete, meinte er. Es sei ihnen doch nie wegen Gottes Wort, sondern nur, daß ein Löhl den andern angaffen könne, und daraus entstünden böse Sachen, wie man Exempel genug hätte. Mit Lesen gab Züseli sich auch nicht besonders ab, und Barthli gab ihm das Beispiel nicht. Sie hatten wohl eine Bibel, aber nicht großen Appetit dazu. Hier ist das Sprichwort besonders wahr: ›Der Appetit kömmt überm Essen.‹ Man muß früh anfangen zu lesen und gut lesen, nicht bloß halb buchstabieren können, wenn man Freude am Lesen bekommen soll. Der Sonntagsmorgen ging noch an. Es hatte für Menschen und Vieh zu sorgen, sich recht zu waschen und zu kämmen; statt Kartoffeln machte es einen Eiertätsch oder ein Eierbrot. Fleisch hatten sie des Jahres nicht oft auf dem Tisch. Diese Mahlzeit wurde schon um eilf Uhr eingenommen, lang vor zwölfe war man mit allem fertig, mit Essen und Abwaschen, und jetzt? Nun, manchmal ging Züseli beeren im Walde. Erd-, Heidel-, Him- und Brombeeren fanden sich zur Genüge. Wohl flocht es auch niedliche Körbchen mit allerlei Kunstwerken für sich, denn eigentliche Arbeit duldete der alte Korber am Sonntag nicht. Das sei das beste Zeichen, um wie viel die Menschen geschlechtet hätten und nichtsnutziger geworden seien, ehedem hätten sie arbeiten können in sechs Tagen, daß sie sieben Tage zu leben gehabt, jetzt schafften viele sieben Tag und brächten es nicht z’weg, daß sie sich des Bettelns erwehren könnten, behauptete er.

Aber auf die Straße, ins Dorf hinunter, wo Wirtshäuser waren, dahin ließ es der Alte nicht, von wegen er war da nicht mit der Schnupfdrucke bei der Hand, um zur rechten Zeit vor allfälligem Schaden sein zu können. Da gab es lange Sonntagnachmittage und viel Seufzens.

So war es eben an jenem genannten Sonntagnachmittag. Die Ziege mäckerte im Stalle, und der Alte sagte, es sei ihm in den Gliedern, es nehme ihn wunder, ob es ein Wetter geben würde? Er wolle hinaustrappen auf die Egg, dort sehe man am besten, was werden wolle. Es finge sich fast an zu fürchten, sagte Züseli. Vor acht Tagen hätte es so grusam Unglück gegeben vom Wasser, und man sage, es gebe gern zwei Wassergrößen hintereinander, und die zweite sei größer als die erste. Es wollte, er bliebe da, oder es wolle mit ihm kommen.

»Dumm!« sagte Barthli, »es muß jemand daheim sein, um Bescheid zu geben; wenn es schon ein wenig Wasser gibt — und daß es gibt, ist noch lange nicht gesagt, das will ich eben gehen zu gucken — so wird dir doch hier oben die Emme nichts tun und die Aare nichts, und wenn es wäre, könnte ich dir doch nichts helfen, und die Sündflut war nicht mehr weit.« »Man kann nie wissen«, sagte Züseli kläglich. »Dumm!« sagte Barthli und ging langsam der Egg zu.

Wenn es doch dann an einem Sonntag von Hause weg sein müßte, so sei es doch überall der Brauch, daß die Jungen gingen und nicht die Alten, dachte Züseli traurig. Aber es sei ein armes Tröpfli, es wollte bald lieber sterben als so dabei sein, keine Freude, keine Gesellschaft, von Lustbarkeit wolle es nicht einmal reden. Es setzte sich aufs Bänklein und hätte wahrscheinlich geweint, wenn es nicht Gesellschaft bekommen hätte. Seine Hühner kamen daher, nicht des Fressens wegen, sondern als ob sie bei ihm Schutz suchen wollten. Es wird ein Vogel in der Nähe sein, dachte es. Aber die Hühner wollten nicht wieder von ihm weg, wie sie sonst tun, wenn sie den Vogel weitergeflogen glauben. Wie halb krank stunden sie um ihns herum und versetzten keinen Fuß, um Futter zu suchen. Warum nur die Hühner so mudrig seien? dachte es. Wenn sie nur nicht was Böses gefressen, ihm nur nicht draufgingen, es ginge ihm viel zu übel. Der Vater wolle kein Fleisch kaufen und Brot so wenig als möglich; wenn es nicht zuweilen was von Eiern machen könnte, so hätten sie d’s Jahr ein, d’s Jahr aus nichts als Kaffee und Erdäpfel, und selb war denn doch gar zu lantwylig.

Es donnerte dumpf, das Meitschi wußte nicht, von welcher Seite her. Es wurde dunkler, es sei fast, als ob es Nacht werden wollte, kein Wunder, daß die Hühner gekommen, sie würden gemeint haben, es sei schon Zeit z’Sädel zu gehen, meinte es. Es fürchte sich schier; »wenn nur d’r tusig Gottswille d’r Ätti wieder da wär!« sagte es zu sich selbst.

Es stund vor das Dach hinaus, und über sich sah es den Himmel schwarz wie ein ungeheures schwarzes Grab. »So habe ich es nie gesehen,« sagte es zu seinen Hühnern, »wenn doch nur der Ätti käme, was braucht doch der seine G’wundernase auf die Egg hinaufzutragen!«

Still war es auch wie im Grabe, kein Vogel zeigte sich mehr, von ferne hörte man ein Gerolle: es war, als wenn ein gewaltiger Totengräber Erde würfe auf einen eben versenkten Sarg. Schwere Tropfen fielen.

Eine Nachbarin stand zu Züseli und sagte: »Es ist mir so angst, ich bekomme fast den Atem nicht, ich weiß nicht, was es geben will.« »Ja,« sagte Züseli, »und Ätti ist noch nicht heim, wollte auf der Egg nach dem Wetter sehen, und wenn er nur das täte, so dünkt mich, er sollte heimkommen, aber er wird sich mit Klappern versäumen.«

»Sieh, dort kömmt er, und es pressiert ihm!« sagte die Nachbarin. »Hätte nicht geglaubt, daß Barthli noch so schnelle Beine hätte.« Da flammte es vor ihren Augen, als ob Feuer vom Himmel falle, daß beide die Hände vor die Augen schlugen, ein entsetzlicher Donner betäubte die Menschen, die Erde erzitterte, und ehe sie noch zueinander gesagt: ›Gott, mein Gott!‹, brachen Wasserströme aus den Tiefen des Himmels, der schwarze Sarg war geborsten, und seine Wasser platzten zur Erde. Beide stürzten ihren Häuschen zu, einige Schritte weit, sie erreichten sie zur Not, naß bis auf die Haut, außer Atem. Kaum hatte Züseli ihn wieder, jammerte es: »Mein Gott, mein Gott, der Vater!«

Es war, als ob Gott ihn bringe, er stürzte unter Dach: »Mein Gott, mein Gott, so habe ichs noch nie erlebt«, keuchte Barthli. Sie flüchteten sich in die Küche, um den Herd stunden betäubt die Hühner, hinten im Stalle schrie wehlich die Ziege, man hörte zuweilen ihre jammervolle Stimme durch das Rauschen der Wasser, zwischen den betäubenden Donnerschlägen.

»Wenn wir nur die Geiß hier hätten,« sagte Barthli, »die hat grusam Angst, und dort ist das Dach nicht am besten.«

»Will probieren,« sagte Züseli, »sie zu holen.« Dreimal setzte das Meitschi an, um aus der Küche zu kommen, dreimal schlugen es die Wasser des Himmels — denn es war kein Regen mehr, es war ein Strom, der aus dem Himmel brach — zurück. Endlich kam es zum Ställchen, konnte die Türe öffnen, da fuhr Feuer durch die Gewässer, blendete ihm die Augen, betäubt lehnte es sich an die Wand. Als es wieder Besinnung hatte, nach wenigen Sekunden, war die Ziege weg, das Gitzlein auch, — furchtbar brausten die Wasser, es donnerte, wie es in des Blitzes Glut gesehen, ein gewaltiger Bach durch den Graben, wo sonst nur in nassen Zeiten ein klein Wässerchen lief, das zur Not ein Rädchen trieb, wie Kinder in Bächen einzuhängen pflegen.

Züseli floh zur Küche, naß bis auf die Knochen. »Vater, d’Geiß wird da sein?« rief es. »Als ich den Stall auftat, kam der Blitz, und als ich wieder sah, war keine Geiß mehr da.«

»Sie wird in der Angst ums Häuschen sein, man muß ihr rufen,« sagte Barthli und rief ihr mit seiner rauhen Stimme: »Gybe, sä, sä! Chum, sä, sä!« Aber Barthlis Stimme war zu dünn, drang nicht durch den Donner Gottes und das Brausen der Wasser, Gybe kam nicht. Er drang in seinem Eifer vor die Türe, da sah er denn im Scheine der ununterbrochen flammenden Blitze den donnernden Bach, die Breite des Grabens füllend, höher und höher steigend, mit Gebüsch und jungen Tannen den breiten trüben Rücken bedeckt. »Oh, o Züseli, o Züseli, wir müssen sterben!« schrie Barthli und vergaß die Ziege. Sie dachten einen Augenblick an Flucht, aber wohin in den wogenden Wassern? Sie dachten an den Jüngsten Tag, und wenn der komme, so komme er ihnen auf den Bergen oder in den Tälern oder in den schäumenden Wellen. Sie beteten, was sie konnten, erwarteten zitternd das Vergehen von Himmel und Erde. Die Wasser brausten, die Hütte wankte, sie hatten sich ihrem Gott ergeben, achteten sich nicht mehr der Zeit, sie warteten auf das Öffnen der Tore der Ewigkeit.

Da ward es wieder heller, die Blitze minder feurig, die einzelnen Donnerschläge ließen sich unterscheiden, waren weniger betäubend, wurden majestätischer, die armen Sterblichen atmeten wieder, sie hofften wieder: über die Gerichteten sei aufgegangen die Sonne der Gnade.

Da kam plötzlich eine Stimme durch die Küchentüre: »Barthli, lebst noch?« »U de?« war alles, was Barthli hervorbringen konnte. »G’schwing, g’schwing komm, sonst nimmts dir d’s Hüsli weg.« Ohne weitern Übergang brachte dieser Ruf Barthli urplötzlich aus allen höheren Stimmungen heraus in die Gegenwart, er machte sich hinaus. Durch Züseli bebte es wunderbar, es hatte sich ergeben, alsbald vor Gott zu stehen, jetzt kam plötzlich Benzens Stimme zur Türe hinein. Es konnte nicht aufstehen, der Atem fehlte ihm, die Glieder waren wie gelähmt, Ströme fluteten um sein Herz, die Ströme ums Hüsli vergaß es.

Bedenklich sah es um das letztere aus, schon war eine Ecke untergraben, und die Wasser mehrten sich noch. Aber Benz tat klug und kühn das Nötigste, den Strom zu brechen, den Zorn desselben abzuleiten. Barthli schleppte Material herbei, ihr wehlicher Ruf um Beistand scholl weithin, brachte Helfende herbei, und das Häuschen ward zur Not aufrecht erhalten; aber es war die höchste Zeit gewesen, daß dazu getan wurde, in wenigen Minuten wäre es verschlungen gewesen.

Nun ward es durch gemeinsame Anstrengungen außer Gefahr gestellt, die Wasser begannen zu mindern glücklicherweise, ihren Lauf konnte man wieder meistern, die nachhaltige Kraft der Menschen siegte über die rasch verbrausende Gewalt des Elements.

Die Angst wich aus den Herzen der Menschen, machte aber bei vielen nur dem Jammer Platz, absonderlich bei Barthli. Er gehörte, wie man gesehen haben wird, unter die Jammersüchtigen, welche immer Ursache haben zum Wehklagen, nie zum Frohlocken, über Verlorenes klagen, des Geretteten nicht gedenken, nie dankbar sind in der Glückseligkeit, aber fort und fort mit der Vorsehung hadern über jede Widerwärtigkeit. Wie ihm die Nachbarn auch sein Glück priesen, daß er, sein Kind und sein Häuschen gerettet worden, er hatte keine Ohren dafür, er jammerte nur über seine verlorenen Geißen. Wie die alte gebe es keine mehr, weder im Oberland noch im Unterland, kein Ratsherr sei so witzig wie sie gewesen, die hätte gewußt, wo das Gras melchiger sei, außer dem Zaun oder inner dem Zaun, und wo sie innerhalb hätte grasen wollen, habe es ihr kein Zaun gewehrt, und dazu sei sie wenigstens acht Taler wert gewesen. Wenn das Gitzi geworden wäre wie die Geiß, so wäre es auch acht Taler wert geworden, zusammen also sechzehn Taler, woher jetzt die nehmen? Und wenn man sie auch je wieder zusammenbrächte, wo dann Geißen finden so melchig und witzig und merkiger als key Ratsherr? Was nütze so das Hausen, wenn dann der Herrgott selbst komme und die Sache verherrge, daß es key Art und Gattig habe, man sein Lebtag sie nicht wieder z’wegbringe?

Solche Rede ärgerte die Leute stark, und während sie starke Antworten beizten, mäckerte es hinter Barthli erst grob, dann fein. Hastig sah er sich um, es waren seine Ziegen, welche ihm die Antwort brachten, hellauf und wohlbehalten, und Benz wars, der sie hielt. Da war wieder, größer als die Freude über die Geißen, der Ärger, daß Benz es war, der sie hielt. »Hieltest sie versteckt, hätten sie dir vielleicht auch gefallen?« sagte er giftig. »He,« sagte Benz ganz kaltblütig, »wie kam ich zu ihnen? Wo es so wetterte, daß man nicht wußte, bleibt etwas ganz auf dem Erdboden oder ists Matthäi am letzten, da sagte mir der Meister: ›Benz, und unsere Ware im Schürli! Die erbarmet mich, darfst es wagen und sehen, ob ihnen zu helfen ist?‹ ›Meister,‹ sagte ich, ›warum nicht! Wenns aus ist, so kömmt es in eins, bin ich hier oder draußen, und allweg ists den armen Tieren ein Trost, wenn jemand Vernünftiges bei ihnen ist.‹« Als er z’Not hinausgekommen, denn bald habe ihn der Wind genommen, bald das Wasser, habe er nebem Schürli mäckern hören und da die Geiß gefunden, die sich dahin unter Dach geflüchtet und schön Wind ab.

»Ja,« sagte Barthli, »die ist witziger als mancher Ratsherr, hab ich ja gesagt.« Er habe sie in Stall gelassen, fuhr Benz fort, und weil er sie erkannt, habe er gleich gedacht, die sei unten dem Wasser entronnen, und Barthlis könnte ein Unglück begegnet sein, und als er für das Schürlein gesorgt und gesehen, daß es demselben nichts mehr tue, sei er daher gekommen, wie, wisse er nicht, das Häuschen sei noch gestanden, aber not z’wehre, hätte es getan; wenn ihm die Geiß die Beine nicht gleitig gemacht, wer weiß, ob der Alt und das Meitschi noch am Leben wären.

»He, ja, ja, man hätte eigentlich Ursache, dir zu danken, aber was soll ich jetzt mit den Geißen anfangen, wo soll ich sie hintun? Das Ställi hanget ja in der Luft und hat keinen Boden mehr, und das Hüsli ist über Ort, was soll ich jetzt mit den Geißen, wo wir nicht wissen, wohin«, antwortete Barthli hässig.

»Barthli, du bist doch der Wüstest, hättest Ursache, dem lieben Gott zu danken, daß du mit dem Leben davongekommen, hast ja auch die Geißen wieder und tust nichts als brummen und zanken«, sagte ein Nachbar.

»Dank du, wenn es dir drum ist«, antwortete Barthli. »Jetzt noch danken für ein solches Wetter, wie nie eins erhört ist seit Noahs Zeiten!« Darin hatte Barthli recht, daß in dieser Gegend nie ein solches Gewitter erhört worden war, es mußten Wolken geborsten sein vom Druck gewaltiger Wassermassen, die dann über den Rücken und an den Seiten einer nicht hohen Hügelkette hinstürzten, wo sie nicht wie in einem Trichter sich fingen und gepreßt zu einem Loch ausmußten, sondern wo von allen Seiten Abfluß war in verschiedene Täler, verschiedenen Flüssen zu, nach Ost und nach West.

Barthlis Häuschen hing über der halben Höhe des Berges, die Wasser, welche dort hinunterbrachen, flössen in ganz kleinem Räume zusammen, und doch brachten sie über hundert Zentner schwere Steine zu Tale, trugen unter Barthlis Hütte von einem Hause einen schweren steinernen Brunnentrog weg und begruben ihn weit unten im Tale tief in den Schlamm, wo er lange nicht gefunden wurde. Als in der Tat das Ställchen unbewohnbar gefunden wurde, sagte der gutmütige Benz, den Barthlis schlechter Dank nicht gekränkt hatte: »He, weißt was, das Meitschi söll se melche, de nime ih sei üses Schürli, uf es paar Hämpfeli Futter chunnts dem Meister nit a, und es ist nit wyt, am Abe und am Morge cha das Meitschi se cho melche.«

Da sah der Barthli den Benz an mit einem unbeschreiblichen Blick. »Meinst, Bürschli, meinst«, sagte er. »Hans,« wandte er sich zu einem Nachbar, »du nimmst mir sie zu deinen, will sehen, daß ich fürs Fressen sorge.«

Die Nachbaren hatten Spaß und Ärger ob Barthli. Natürlich war Benzens Abferggete (Korb) bekannt, und wie Barthli gesagt, er wüßte nicht, für was er einen Tochtermann nötig hätte. Natürlich hielten es alle mit Benz. Die Antwort ward zum Sprichwort, und wenn man Barthli einen Streich spielen konnte, so sparte es sicherlich niemand. Er war eben eine, bei der immer größeren Abgeschliffenheit der Menschen, der immer größer werdenden Menge ohne Gepräge, immer seltener werdende Persönlichkeit, vor der man eine Art Respekt hat und doch, sooft man sie sieht, lachen muß und Lust verspürt, sie zu helken oder zum besten zu halten.

»Nein, Barthli, nein,« sagte Hans, »Platz für deine Geißen habe ich nicht, und wenn ich hätte, so schickten sie sich nicht zusammen, meine Geißen sind gar so dumm und deine ja witzig wie ein Ratsherr. Die wird gewußt haben, warum sie da hinauf zu Benze Schürli lief. Sei nicht dümmer jetzt als die Geiß und laß sie gehen mit Benz! Und daneben glaube ich, wir haben das Wetter deinetwegen leiden müssen. Unser Herrgott wird dir haben zeigen wollen, für was man einen Tochtermann brauchen kann.« »Öppis Dumms e so!« brummte Barthli, »üse Herrgott wird sih sellige Sache achte! Für e Geiß z’fa, braucht man kein Tochtermann zu sein, das kann jeder Maulaff, und für ein solch Wetter wird man, so Gott will, keine Hülf mehr brauchen, es ist genug, wenn man eins erlebt! Wie dumm wärs, deretwegen e Tochtermann anzustellen, für e Sach, die nimme chunnt, was soll me mit em ne söllige Mulaff afa?« — »Wenn Hans d’r Kolder macht, so nimmst du mir sie, Niggi, nicht wahr?« sagte Barthli zu einem andern Nachbar. »Nein, Barthli, nein, brauch Verstand, denke, was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nit scheide! Junge, fahr mit dene Geiße dr Berg uf, su hört das G’stürm uf.«

Benz begriff das, rief Züseli, das begreiflich nicht weit davon stund, zu: »Um sechsi, hörst, ist g’futteret und wird g’mulche, chast mache, daß d’ufmagst und obe bist, nachher b’schließe ih wieder u chönntisch nit yche, u jetz milch g’schwing, was noch da isch, su chann ih fahre, muß ga zur War luege.«

Züseli tat das geschwind und schweigend ab, und Benz sagte auch nicht viel, wahrscheinlich befaßten sie sich mehr mit der Zukunft als mit der Vergangenheit. Und als gemolken war, folgte stolz mit hoch emporgehobenem Haupte, wie wirklich ein Ratsherr es nicht besser gekonnt hätte, die Ziege ohne Widerstand Benz nach, als ob sie wüßte, was sie verrichtet hätte. Lustig tanzte das Gitzlein um sie herum, akkurat wie ein achtzehnjährig Meitschi, wenn es vernimmt, es gäbe nächstens eine Hochzeit, wo es Brautjungfer sein müsse und dann tanzen könne nach Herzenslust und dann vielleicht, man kann nicht wissen, einen Mann auflesen und dann wiederum eine Hochzeit und dazu eine noch lustigere, denn Braut sein ist doch lustiger als Brautjungfer sein, oder ist Bratis essen nicht besser als Bratis riechen? Wir fragen.

»Morgen wirst dich kaum verschlafen, Meitschi!« lachte Niggi. »Daneben vergiß nicht, was dein Alter mit Schein noch nicht weiß, daß, was Gott tut, wohlgetan ist. Als es anfing zu donnern und als die Wasserbäche kamen, da dachtest du nicht daran, was die Sache für einen Austrag nehmen würde.« Züseli vergaß es aber auch nicht, und selbe Nacht schlief es nicht, verschlief sich am Morgen nicht. Die ganze Nacht stund der gestrige Nachmittag vor seinen Augen als wie ein großes bewegliches Gemälde. Es dachte nicht, es schaute nur, fühlte die Angst rieseln durch Mark und Bein; es war ihm das Herz eingeklemmt, daß es oft kaum Atem hatte, und doch war ihm wohl dabei, es war ihm, als ob hinter dem Graus die Sonne stehe und bald schöner als nie scheinen werde und die Greuel verklären und alles vergehen bis an Benz und Geiß und Gitzlein und sonst noch allerlei. So lag es da und sah, was vor ihm stund, bis es ung’sinnet graute draußen. Dann machte es sich auf, leise, um den Alten nicht zu wecken, der gar tapfer schnarchte.

Der hatte auch lange nicht schlafen können, aber daran nicht so wohlgelebt, wie sein Meitschi, im Gegenteil, sehr schlecht. Er war zornig über den lieben Gott und über seine Nachbarn, rechnete seinen Schaden nach und ärgerte sich über die Schadenfreude. Er hätte nicht geglaubt, daß die Menschen so schlecht sein könnten, ihm ein solch Unglück noch zu gönnen, das G’spött mit ihm zu treiben und mit einem solchen Schnürfli gegen ihn zusammenzuspielen. Aber wohl, denen wolle er vor der Freude sein, die müßten ihn nicht auslachen! Morgen wolle er gehen und die Geiß melken, das werde kein Hexenwerk sein, und g’setzt, er brächte die Milch nicht alle heraus und die Geiß würde wüst tun, so werde das nicht alles zwingen, und sie hätten doch dann nichts zum Lachen. Er sei gestraft genug mit dem Hüsli, das er müsse platzen lassen, das Meitschi müsse ihm nicht noch heiraten obendrein, er wolle nicht zwei Unglück aufeinander, wo eins größer sei als das andere. Er wälzte Vorsätze in seinem Gemüte, groß, wild, trüb, fast wie die Wasserwogen am gestrigen Abend. Und mittendrein schlich der Schlaf, gaukelte ihm immer Wilderes vor, band ihm leise die Glieder, drückte ihm die Augen zu, entriß ihm das Bewußtsein, blies ihm die Einbildungskraft noch einmal tapfer an und ließ dann das miteinander machen; weiß Gott, wo Barthli war, in welchem Weltteil oder gar im Himmel oder der Hölle, als sein Meitschi ihm davonlief, und zwar noch lange, ehe es sechs Uhr war!

Diesmal war der Himmel nicht trüb, wie er sonst oft ist nach solch gewaltigen Ergüssen, in klarer Bahn ging die Sonne, und frisch und schön war es auf Erden, wo die Wasser gestern nicht gehauset; wo sie gewütet, war es fürchterlich. Züseli hatte Mühe, zum Wasser zu kommen, wo es gewöhnlich mit Hülfe eines alten zwilchenen Lumpens Toilette machte und dabei eine schönere Haut hervorbrachte, strahlender vom Bache kam als je eine Hochgeborne von ihrer Toilette und deren tausendfältigem Kram von Seifen, Pomaden, Essenzen, Bürsten, Kämmen, Zangen und Scheren und an derlei unnennbaren Dingen. Diesmal, vielleicht zum ersten Mal, war es Züseli dran gelegen, anzuwenden und sich so schön zu machen als möglich mit Hülfe von Wasser und dem zwilchenen Lumpen, der einer dahingegangenen Kutte des alten Barthli entstammte. Der gewöhnliche Weg zum Bach war fortgerissen, es rutschte hinunter, kam nicht bloß zum Wasser, sondern ins Wasser und weit mehr, als nötig und ihm lieb war. Überdem war das Wasser trüb und häßlich und mörderlich kalt. Desto mehr wandte Züseli an, desto kräftiger drehte es seinen Lumpen aus, fing wieder von vornen an, und als es mit Vorsicht am zerrissenen Uferrand emporstieg, erschien es oben lieblich und glänzte fast wie der Morgenstern oder wie die Morgenröte, wenn sie das Haupt der großen Jungfrau im Berner Oberlande verklärt. Davon aber wußte Züseli denn doch nichts, hatte nicht einmal einen Spiegel, um sich über den Erfolg seiner Anstrengungen zu vergewissern, dachte auch nicht daran, sondern nahm das Milchgeschirr und eilte damit den Berg auf. Es möchte sich verspäten, das war seine Sorge. Gar zu ungerne hätte es gehabt, wenn Benz geglaubt, es seie e fule Hung.

So ein Meitschi wie Züseli setzt seinen Stolz in Arbeitsamkeit und Arbeitsgeschick, es hatte keinen Begriff davon, daß man mit Klavierspielen und Affektieren zu einem Mann kommen könne. Es sucht dahin zu kommen, daß die Leute sagen: ›Der ist g’fellig, wo das bekömmt, von wegen es ist ein b’sunderbar werchbar Mensch, versteht alles wohl und dreht sich des Tags nicht bloß einmal.‹

Doch lief das Meitschi nicht in gleichem Schritte bis oben. Der müsse doch nicht meinen, daß es ihm so pressiere, daß es nicht warten möge, bis es bei ihm sei, er könnte sonst meinen, wie viel ihm an ihm gelegen sei.

Benz war schon fertig mit Melken, als Züseli daherkam. »Hast Zeit!« sagte er, »hätt nit lang meh g’wartet, bei uns steht man des Morgens auf und nicht erst mittags.«

Züseli wollte diesen Vorwurf nicht leiden, begehrte auf, da mäckerte es im Stall zweistimmig, die Tiere hatten seine Stimme erkannt, und als sie es sahen, taten sie zärtlich, daß Benz das Wasser im Munde zusammenlief. Die Alte stund an Züseli auf und leckte ihm das Gesicht, das Kleine stieß ihns mit dem Kopf und tanzte ihm um die Füße.

»Seh, gib das Melchterli!« sagte er, »so kömmst nicht ans Melken.« Aber so meinte es die Alte nicht, sie wollte ihm nicht stille halten, ihn gar nicht dulden, eines so groben Kerlis war sie nicht gewohnt, Züseli mußte sein alt Amt verrichten. Wie hätte die alte Geiß erst getan, wenn der alte Barthli an ihr hätte rupfen wollen!

Unterdessen gewann Benz des Gitzleins Freundschaft mit einigen Handvoll schönen Grases, so daß, als Züseli fertig war und dem Gitzlein auch flattieren wollte, dasselbe in große Verlegenheit kam, von wem es sich eigentlich rechtmäßig sollte flattieren lassen, und schön war es anzusehen, wie Benz und Züseli an dem verlegenen Gitzlein wetteiferten im Flattieren, jedes dem andern zeigen wollte, daß es doch am schönsten und wirksamsten flattieren könnte. Da hätte man gar nicht glauben sollen, daß eins oder das andere von ihnen pressiert sei.

Am Ende mußte es doch geschieden sein, was seine Not hatte, und zwar eigentlich wegen der Geißen, die mit Gewalt Züseli nachwollten und mit Mühe in die Trennung sich fügten.

Das freute Züseli sehr. »Siehst du,« sagte es, »sie haben mich doch noch lieber als dich! Ich habe es mit allen Tieren so, mit den Hühnern und den Katzen auch. Die Tiere wissens, wer wohlmeinig ist oder nicht, und können die Liebe erzeigen wie Menschen und d’s Gunträri auch. Aber mein Gott, was wird der Vater sagen, daß ich so lang mache, adie!«, und fort wars. Benz sah ihm nach und schüttelte den Kopf. »Ist das trumpft oder sonst g’stochen?« sagte er. »Meint es dann, die Tiere hasseten mich, weil die alte dumme Geiß mich nicht wollte melken lassen? Wohl, das will ich anders b’richten, und zwar schon diesen Abend.«

Als Züseli heimkam, war Barthli eben am Erwachen, grunzte bedenklich und hob mühsam sein struppicht Haupt aus dem Bett empor. Als er das Meitschi angezogen sah, sagte er: »Mach z’Morge, drwyle will ich gehn und melche, bis d’fertig bist, bin ich wieder da.«

»Vater, es ist g’mulche, ich bin wieder da, und wenn Ihr auf seid, ist z’Morge fertig.« Was da der Alte für ein Gesicht machte, und wie er mit dem Meitschi brüllte, was es so hätte zu pressieren gebraucht, seit wann man nach Mitternacht melke, und was die Leute sagen würden, was es für ein wüstes, mannsüchtiges Meitschi sei, man kann es sich kaum vorstellen. Züseli verteidigte sich mit der Abrede und mit der Zeit, und wie kein Mensch was Böses denken werde, sie wären ja dabeigewesen, wo man die Sache abgeredet usw. Aber das half alles nichts, denn der Alte war eine von den glücklichen Naturen, die auf keine Einrede achten, immer fortreden in einem Zuge, und antworte man oder antworte man nicht, es kommt auf eins, sie tun, als hätten sie keine Ohren; selbst der Stand der Sonne, und wäre auch der Mond neben ihr gestanden, überzeugten ihn nicht, daß er sich verschlafen habe. Es geschah ihm sonst nicht, daher hielt er es für eine Unmöglichkeit, es schien ihm viel natürlicher, daß ob dem gestrigen Wetter die Sonne sturm geworden, daher den rechten Weg verfehlt, daher sich verspätet hätte. »Es ist gut für einmal,« sagte er endlich, »zum zweiten Mal wirst du nicht melken da oben!«

Nach schöner Landessitte erscheinen bei großen Unglücksfällen, Feuersbrünsten, Überschwemmungen usw. nähere und fernere Nachbarn mit passendem Werkzeuge, schaffen den Schutt weg, machen, was not scheint, nicht bloß unentgeltlich, sondern viele bringen noch Lebensmittel mit und nicht bloß für sich, sondern auch für die Geschädigten. So geschah es auch am Montag nach dem verhängnisvollen Sonntag im rueßigen Graben.

Die ersten erschienen schon, während Barthli noch haderte mit seinem Meitschi; dadurch neugierig gemacht, vernahmen sie leicht von den nächsten Nachbarn des Haders Grund und Ursache. Es gab Stoff zum Lachen, und der arme Barthli war verkauft und verraten, keiner hielt es mit ihm, alle waren gegen ihn. Als man sich gehörig umgesehen, wurde Rat gehalten, wo anzufangen, was anzugreifen sei. Barthli redete stark von seinem Häuschen, das vor allem herzustellen sei.

»Selb meine er auch«, sagte eine Stimme hinter ihm, und als Barthli hastig sich umdrehte, stand Benz hinter ihm, hoch die Schaufel auf der Achsel, als Abgeordneter seines Meisters.

»Bist auch schon da, was hast du dein Maul dreinzuhängen, was geht das dich an?« schnauzte Barthli ihn ab. »Hättest daheim bleiben können, wirst doch nit viel verrichte.«

»E, e, Barthli,« rief ihm ein Nachbar zu, »vergiß nit, was er gestern verrichtet hat, und allweg gehts den Tochtermann was an, wie es des Schwähers Häuschen geht.« »Er ist es einmal noch nicht!« brummte Barthli und drehte Benz den Rücken zu, als ob er ihn sein Lebtag nicht mehr ansehen wolle.

Vor allem aus räumte man die Gräben und Straßen, verschaffte dem Wasser freien Lauf, kurz, schaffte da, wo ein wachsender Schade war.

Ob der fleißigen Arbeit läutete es Mittag, bald hier, bald da von einem Kirchlein her, man merkte, daß man hungrig war, denn so ein Mittagsläuten ist für die Landleute das Gläschen, welches die Städter zu sich nehmen, um sich Appetit zu machen. Man stieß die Werkhölzer in die Erde, suchte sein Säcklein mit dem Vorrat, suchte ein schattig Plätzchen, eine Küche, das eine oder das andere sich wärmen zu lassen, zum Beispiel Milch, wer sie nicht kalt vertragen konnte. Am meisten sammelte man sich um Barthlis Häuschen, welches Schattseite lag und große Bäume in der Nähe hatte. Züseli hatte vollauf zu tun mit Wärmen und Leihen von allerlei Geschirr und sollte dazu Bescheid geben auf gar allerlei Reden, grobe und feine, und daß Benz nicht weit von der Küchentüre war, versteht sich von selbst. So gabs viel Lachens, und Züseli wußte wirklich nicht, wo ihm der Kopfstund, es summste und surrete ihm in den Ohren, als ob es den mächtigsten Schwindel hätte. In Angst suchte es allen, die was wollten, zu entsprechen, hatte daher nicht Zeit, Rede zu stehen, höchstens hie und da zu einer kurzen Antwort, hörte das meiste nicht, was geredet wurde, und das gefiel den Leuten. Es sei ein recht Meitschi, sagten sie, öppe nit es uverschamts und alässigs, behülflich und gutmeinig, es gefiel ihnen am ganzen Leib besser als der alte Korber am kleinen Finger, und es wäre schade, wenn das nicht bald heiratete.

»Nimms!« hieß es dann zu Benz, »nimms, sust nimmts e andere. Öppe der hübschist Schwäher bekommst nit, aber was frägt man des Schwähers Hübschi nah, sie ist mängist noh drzu e uchummligi Sach, b’sunderbar, wenn er Witlig ist u sust e Vogel. D’s Meitschi ist allweg e Ma wert öppe wie du, d’Geiße nit gerechnet, dem Hüsli ist sih öppe nit viel z’achte.« Seh, Alte, du heißest uns dann z’Hochzeit cho, es wird doch e Niedersinget gä? U schieße wey mr, wenn d’s Pulver zahlst, daß me im Äärgäu glaubt, d’Franzose chömme.« Grob antwortete der Alte, und je gröber ers gab, desto lustiger gings.

Zum Glück ging es nachmittags wie üblich, wo Gottes Hand mächtig gewaltet über den Menschenkindern: eine große Menge von Leuten kam daher, die Verheerungen zu betrachten. Aus Neugierde kamen sie, und die meisten gingen mit Erbauung, denn auf solchen Stätten sieht der Mensch am klarsten seine Ohnmacht und des Herrn Gewalt, solche Stätten predigen am gewaltigsten: ›Ich bin der Herr und sonst keiner mehr, der ich das Licht formiere und schaffe die Finsternis, ich, der Herr, tue dieses alles.‹ Dann kommt Erbarmen in viele Herzen, und mancher schöne Batzen fließt in die Hand der Geschlagenen, und manche Gabe wird hergesandt in den folgenden Tagen.

Als es Barthli war, als sei er in einem Wespen- oder gar Hornüssennest, sah er einen alten Bauer unweit von sich stehen, der auch gekommen war, das Unglück zu sehen, und eben Barthlis Häuschen betrachtete. Er war sein Schulkamerad gewesen und, was noch mehr sagen will, mit ihm erst zum Herrn gegangen und dann zu des Herrn Tisch (in die Unterweisung, dann zum Nachtmahl). Das alte, trauliche Verhältnis war geblieben, der reiche Hans Uli war Barthlis treuster Gönner. Zu dem flüchtete sich Barthli.

»Kömmst auch, mein Unglück zu sehen?« sagte er. »Warum mußte ich das erleben und noch dazu mit dem Leben davonkommen, was soll ich mehr auf der Welt? Was habe ich als böse Leute und böse Tage!« »Nit, nit, Barthli, versündige dich nicht!« sagte der Bauer, »hast Ursache dem lieben Gott zu danken, daß es dir noch so leicht abgegangen. Aber du bist immer der gleiche, siehst immer nur, was zu klagen ist, und nie, wofür zu danken wäre, bist übrigens nicht der einzige, haben es noch viele wie du, aber das ist eben lätz.«

»Aber was habe ich dann da zu danken?« frug Barthli, »d’s Hüsli halber fort und d’s Herz voll V’rdruß und e Zorn, daß ih ne nit verwerche ma, und wenn ih hundert Jahr alt würd. Ih möcht doch de da frage, was da B’sunderbars z’danke sy sött?«

»Du bist ein wüster Barthli, weißt es nur!« sagte der Alte. »Wie leicht hättest können um das Meitschi kommen, die Geißen kriegtest auch wieder, das ist d’Hauptsach, ums Hüsli und die paar Bohnenstauden ist nicht viel g’fochte, und du weißt nit, warum danke?« »Wüßt nit, warum ich zu danken hätte, wenn man mir meine Sache ruhig läßt und mir nicht nimmt, was mein ist! Da hätte ich ja nichts zu tun, als zu danken und jedem Hund zu scharwänzeln, der mich nicht frißt. Aber z’klage habe ich, wenn mir einer, sei’s, wer es wolle, nimmt, was mein ist, und dazu muß ich mich lassen ausspotten, daß es mich vor Zorn fast versprengt. Daß es keine Frömmigkeit mehr gibt auf der Welt, sagte ich schon lange, aber daß es so schlechte Leute geben könnte, hätte ich doch nicht gedacht.«

»Was ist dir geschehen, ward dir etwa noch gestohlen?« frug der Bauer. »Aparti g’stohle nit,« antwortete Barthli, »aber mehr als g’stohle. Da ist so ein wüster Schnürfli, der will für d’s Tüfels G’walt Tochtermann werde, und d’s Meitschi, die Täsche, hets wie die andere, es hätt nichts dagegen, ich glaub gar, es wär ihm noch anständig. Und wie das unter die Leute kam, weiß ich nicht, aber da hält mir ein jeder Lausbub den Tochtermann vor, rühmt ihn an spottsweise, preisen ihn dem Meitschi an und hetzen den Lümmel ans Meitschi, und der stolpert ihm nach, und dem muß ich zusehen und wie das Meitschi keinen Verstand hat und keine Scham, es wär sonst über alle Berge, und die ersten Tage täte es niemand hier sehen. Und statt dessen bleibt es da, ja, denk, Hans Uli, gibt ihm sogar Bescheid und wartet ihm.«

»Es wird doch nicht der sein, wo die Leute sagen, er habe Euch das Leben gerettet, und die Geißen hätten ihn so gleichsam herbeigerufen?« fragte der Alte.

»Wohl, grade der ists. Meinethalb hätte er gar nicht zu kommen brauchen. Und sei es ihn, oder sei es ihn nicht, so brauche ich keinen Tochtermann, zwei Unglück aufeinander will ich nicht, es ist genug, wenn ich Kosten haben muß für das Hüsli z’plätzen und nicht weiß, wo das Geld hernehmen, ich will noch nicht auf alles hin auch einen Tochtermann, für daß er uns die Speise, wo wir längs Stück d’s Halbe mehr nähmen, vor dem Maul wegfresse. Ich sagte es ihm, ich brauche keinen Tochtermann, wir können alles selber essen, und er tut nichts darum, will es zwängen, da Uflat!« — »Es wird doch nicht der sein, welcher Euch zu Hülfe kam im Unwetter und Euch das Leben gerettet?« frug der Bauer noch einmal. »Wohl, gerade der ists,« sagte Barthli, »aber wegem Rette mag ich nichts hören, es war nicht halb so gefährlich. Es hat nicht sein sollen, darum kamen wir davon; wenn es hätte sein sollen, so würde der Kerli wenig dran haben machen können, hätte lange können brüllen. Jetzt hintendrein ists kommod, sich zu rühmen, was man alles getan.«

»Hör, Barthli, du bist ein wüster Mann und tust ungattlich, es kommt dir so nicht gut, zähl darauf! Den Burschen kenne ich wohl, er ist ein guter, z’werche, und danebe e freine Schlufi und huslich, grad einen bessern findest nicht, und wenn du mußt bauen lassen, so wirst es erfahren, wozu du einen Tochtermann brauchen kannst!«

Nun begehrte Barthli erst recht auf, was er sinne mit dem Bauen, z’wegmache z’Not, daß d’Geiß nicht erfriere, das werde sein müssen, aber von mehr sei keine Rede. »Ein Kreuzer, den du verplätzest, ist g’schändet«, sagte Hans Uli. »Geh den Bauern nach um Holz! Wenn du schon ein wunderlicher Barthli bist, daß es key Gattig hat, so hast doch gut Lüt, kriegst Holz mehr als genug, und wenn du das hast, kostet dich der Rest nicht mehr viel, hundert bis zweihundert Taler ist alle Handel, mehr als genug.« »Ja, ja, hundert bis zweihundert Taler ist bald gesagt, wenn man es hat, aber, wenn man es nicht hat, wo nehmen und nicht stehlen? Und Schulden machen will ich nicht, wer sollte sie zahlen, und, wenn ich schon wollte, wer vertraute mir einen Batzen an?«

»G’stürm!« sagte Hans Uli. »Aber hör, Barthli, weil wir einmal bei diesem Kapitel sind, muß ich doch etwas fragen, was mich schon lange wundernahm. Es gibt Leute, welche guten Verdienst haben und wenig zu brauchen scheinen, von denen man glauben sollte, sie äufneten sich, und wenn es lange währe, müßten sie notwendig reich werden. Und doch sieht man nichts davon, sie sind immer nötig oder tun nötlich, kommen nicht vorwärts, gehen oft unerwartet zugrunde. Wenn man dann untersuchte, fand man immer ein heimlich Loch, wo der Sack rann, daß es niemand merkte. Da begriff man dann bald, wo es hielt, daß es dem so ging, daß er eine Eiterbeule am Leibe hatte, welche alle guten Säfte einsog und verzehrte. Gerade so einer bist, Barthli, auch du. Verdient hast seit vielen Jahren schwer Geld.«

Potz, wie polterte Barthli da über den Verdienst und die Mißgunst der Bauern, wenn ein arm Mannli nicht Hungers verreble; und lange kam Hans Uli nicht zum Fortfahren.

»Verdient hast viel allweg und dem Schein nach wenig gebraucht. Im Wirtshaus sah man dich wunderselten, mit der Hoffart übertatest du es auch nicht, deine Leute hatten es eben nicht am besten, hattest sie nicht im Salb, hättest sie lieber ins Paradies geschickt, wo man es mit Feigenblättern wohlfeil machen konnte. Jetzt, Barthli, mußt du Geld haben, oder hast ein geheim Loch im Sack, wo es rinnt. Wo hast das, hast etwa irgendwo jemanden, dem du es anhängst? Aber es dünkt mich, in der langen Zeit wäre es dir an Tag gekommen, und ich vernahm doch nie etwas der Art von dir. Glaub, es wäre dir lieber, unser Herrgott hätte nur einer Gattig Leute erschaffen statt zweier Gattig.«

Nun begehrte Barthli wieder schrecklich auf über solche Verleumdungen und Zumutungen und wie reiche Bauern nie glauben könnten, daß arme Leute so ehrlich sein könnten als die reichen Schindhunde, und er werde ihn doch nicht, mit einem Fuß im Grabe, zu einem schlechten Mann machen wollen. Er solle es probieren, wenn er könne, aber er wolle sich wehren, wie mans nicht denken sollte.

Aber in unerschütterlicher Ruhe stund der Alte vor dem belferenden Barthli und entgegnete endlich: »Und sag mir, was du willst, so ists, wie ich sage! Ich habe zu lange gelebt, als daß ich mich so leicht anders berichten lasse. Entweder, Barthli, hast ein geheimes Loch oder lange mehr Geld, als für ein neu Hüsli nötig ist, und anders berichtest du mich nicht.«

»Los neuis!« knurrte Barthli, winkte seinem alten Kameraden und ging mit ihm weit hin auf einen freien Platz, wo weder Baum, noch Strauch, noch Graben war, daß jemand unbemerkt hätte lauschen können.

Da stund er still und sagte: »Hans Uli, du bist ein schlauer Mann, hätte es nicht geglaubt. Ja, was recht hast du, aber schlecht sollst du mich nicht machen. Du weißt, wie das Weibervolk ist; wo es an einem Orte einen Batzen schmöckt, möchte es zwei brauchen. Nit, meine Frau selig war nicht die schlechtest, und d’s Meitschi könnte auch noch schlechter sein, es laufen gottlob viele herum, die dreimal schlechter sind als es, aber wenn sie nit geng hätte müsse glaube, wir pfiffen auf dem letzten Löchlein, es weiß ke Hung, wi si ta hätte. Darum tat ich immer nötlich, und wenn ich einen Kreuzer Geld hatte, so ließ ich sie es nie merken, sondern tat just am nötlichsten.«

»Aber wo kamst mit dem Gelde hin?« frug Hans Uli.

»Ich will es dir wohl sagen,« antwortete Barthli, »aber du mußt mir bei deiner Seele Seligkeit versprechen, es keinem Menschen zu sagen, und hältst du es nicht, soll deine Seele keine Ruhe haben im Grabe, sondern umgehen müssen eine Ewigkeit nach der andern. Einmal, als ich von einer Stör heimkam, wo ich, wie meine Alte wußte, ein Büscheli Geld bekommen, plagte sie mich wieder bis aufs Blut um warme Strümpfe für sich und wegen Lederschuhen fürs Meitschi, es wäre mir nichts übriggeblieben, wenn ich alles hätte nachsagen wollen, was sie mir vorgesagt, und hätte ich nicht nachgesagt, so hätte sie es sonst genommen, sie ließ sich nichts einschließen, und behielt ich etwas im Sack, so erlas sie mir nachts die Hosen. Ich will ihr nichts Böses nachreden, denn daneben war sie huslich; aber das war dir eine, wo man wußte, daß man eine Frau hatte. Das müsse ändern, dachte ich, und als sie einmal beide einen ganzen Tag fort waren, machte ich unter dem Bett ein großes Loch, stellte einen Kübel hinein und machte die Laden schön wieder zu, daß man es nicht merkte, wenn man es nicht wußte. Dort war es am sichersten, denn wir zogen das Bett nie hervor, und unter dasselbe kam man z’Not mit dem Besen. D’Frau selig merkte es auch nicht, aber manchmal g’schirrete sie mit mir aus, daß ich heimlich Geld verbrauche, und wollte wissen, womit. Aber ich hatte ein gut Gewissen und hielt ihr die Stange. Da ist nun ein schöner Schübel Geld und allweg mehr als genug zum Bauen; aber es reut mich, es ist eine harte Sache, und dann noch einen Tochtermann obendrauf, es ist mir nicht zu helfen, denk doch auch, Hans Uli, und noch dazu ume son e Benz!«

»Aber Barthli, wie dumm, aber Barthli, was trägt dir das Geld unter dem Bett ab, hättest es ausgeliehen, hätte es dir Zins getragen«, sagte der Bauer. »Öppis Dumms e so!« sagte Barthli, »meinst, wenn man gewußt, daß ich Geld hätte, ich hätte es können beieinander behalten? Erst dann hätten sie recht an die Sache tun wollen, und d’Bube wäre dem Meitschi erst recht nachgestrichen, hätte mir d’s Hüsli voll g’schnürfelt und d’s Meitschi hochmütig g’macht, hätts nit könne erwehre und hätt nüt als Kummer gehabt, ich müßte es verliere, bekomme es nicht wieder. Däweg hatte ich es doch, konnte, wenn niemand in der Nähe war, es g’schauen und hatte große Freude, wenn ich dachte, was die Manne, wenn sie nach meinem Tode kämen, das Hüsli zu erlesen, sagen würden, wenn sie so viel Geld beim alte Korber finden würden.«

»Wie hätten sie aber Geld finden wollen, wem wäre in Sinn gekommen, unter deinem Nest Geld zu suchen?« frug der Alte lachend. »Oh,« antwortete Barthli, »dafür habe ich gesorget, so dumm bin ich denn doch nicht. Sieh, da in meinem alten Kalender, den ich immer bei mir trage, steht geschrieben, gerade vorn drin, es hats mir ein Schulkind müssen dreinmachen: ›Manne, suchit, so werdet ihr finden!‹«

»Und wenn sie es nicht gefunden hätten?« frug Hans Uli.

»Oh, sövli dumm Manne wird man doch, so Gott will, nie an Gemeindrat wählen, die, wenn es ausdrücklich heißt: ›Suchit, so werdet ihr finden!‹, nicht suchten, bis sie es hätten.« »Aber, und wenn das Wasser heute noch ein wenig mächtiger gekommen und dir das ganze Hüsli samt dem Kübel weggenommen hätte, und dann?« »He nu,« sagte Barthli, »wenn üse Herrgott d’s Wüstest alles an mir machen will, su mach er! Wenn dann die Leute über nüt chömme und alli nüt meh hey, so ist er selber schuld und kanns meinethalben haben und denken: ›Selber ta, selber ha!‹ Danebe wird es ihn selbst gedünkt haben, er habe mich genug geplaget, es sei Zeit, lugg zu lassen.« »O Barthli, Barthli, was bist du für e Christ! Du wirst nie wie ein anderer Mensch, und wenn du alt würdest wie Methusalem. Aber jetzt komm, wir wollen das Hüsli g’schaue und abrate, was zu machen und wo allfällig ein neues abzustellen sei.«

Das geschah. Es ließen sich noch andere Bauern herbei, Gönner, denen Barthli die Weiden fleißig stumpete, untersuchten die Sachlage; allgemein war die Ansicht, am Hüsli sei nichts zu platzen, um einen jeden Nagel sei’s schade, den man einschlage, zu bewohnen sei es kaum mehr, höchstens bei ganz trocknem Wetter, regne es zwei Tage hintereinander, so rutsche wahrscheinlich die ganze Pastete in den Bach hinunter. Ein neu Hüsli, wie Barthli es mangle, sei bald auf dem Platz, wenn man einander helfe, und zur Not bewohnbar zu machen, im Frühjahr könne man dann vollständig ausbauen. Die kundigen Bauern machten Voranschläge über das nötige Holz von allen Sorten, und sicher richtigere als manche Zimmerleute, die nicht selten ihren Bauherren dreimal falsch rechnen, sie dreimal in der Welt herumsenden nach fehlendem Holz und vielleicht zum vierten Male, weil sie einen Teil des Holzes zu dünn behauen, den andern zu kurz versägt. Oh, es gibt große Künstler unter den Zimmermannen!

Barthli war ganz wie verstaunet, wie die Bauern die Sache ihm so rasch und klug z’weglegten und ob ihrem Gutmeinen, wo er nicht gedacht, daß ein solches zu finden sei in Israel. Aber, wie gesagt, er war eine Persönlichkeit, man konnte sich auf ihn verlassen und über ihn lachen, und beides ist dem Bauer gleich anständig.

Plötzlich fuhr er auf, fing mörderlich an zu fluchen und wollte davon. »Was hast, hat dich ein Wespi gestochen?« frug ein Bauer und hielt ihn mit starker Hand. »Laß mich gehen!« rief Barthli, sich sträubend, »dort läuft das Donners Täschli wieder, wart, dem will ich die Haut salben, aber nit mit Öl!« Man sah hin, wo Barthli hinzeigte, und erblickte ein Meitschi, welches mit Milchgeschirr in der Hand den Berg aufging. Barthi hatte nicht gemerkt, wie es bald Abend werde, und das Melken vergessen. Züseli mußte ja exakt sein, sonst hätte Benz glauben können, es sei nichts nutz, und wollte den Vater nicht stören in seiner wichtigen Unterhaltung und war, als die Zeit um war, gegangen, begreiflich eher zu früh als zu spät.

»He,« sagte einer, »das ist ja dein Meitschi, es wird die Geißen melken wollen.«

»Das soll es eben nicht, wollte sie selbst melken, es soll mir nicht mehr da zu dem Hagel auf den Berg. Wollt, der Teufel hätte die Geißen geholt und den Hagel dazu! Laß mich gehen, die müssen nicht Freude haben, mich zum Narren zu halten; denen will ich, jawolle!«

Es merkten jetzt alle den Handel, lachten herzlich, ließen aber den Barthli nicht laufen. »Bleib du nur, zwängst doch nichts, ertäubst sie nur, was willst wehren, wirst den Naturlauf nicht ändern, und gönnst dem Meitschi den nicht, nimmts einen andern, der zehnmal ärger ist. Es ist schon manchem Alten so gegangen: er wollte dem Meitschi den Rechten nicht lassen, nachher kam ein anderer, und der Alte hätte sich die Finger vor abbeißen mögen aus Verdruß, daß er es das erste Mal gewehrt. Denk, wenn du Werkleute bekömmst, was die für Rustig mitbringen, wo der Teufel nicht sicher ist, verschweige ein Meitschi! Wieviel wöhler bist dann, wenn das Meitschi am Schatten ist, als wenn du es hüten solltest Tag und Nacht! Daneben kömmt dir der Tochtermann kommod in allen Teilen, hilft dir zur Sache sehen, und während du jetzt bald mit den Weiden machen mußt, ist er daheim und sieht, daß gearbeitet wird und nichts verpfuscht.« Kurz, man sprach ihm von allen Seiten zu, aber stellte sein Brummen nicht, brachte seine Einwilligung nicht heraus.

Derweilen stieg Züseli, unbekümmert um die diplomatischen Unterhandlungen, den Berg auf, aber nicht langsam. Oben stund Benz unter der Stalltüre. »Komm, sieh meine Kühe, ob die mich kennen oder nicht!« sagte er zum Willkomm, ging mit der Läcktäsche den Kühen nach und gab ihnen das übliche G’läck oder Salz, eins von beiden. Das war nun wahr, aller Augen sahen auf ihn, alle Köpfe drehten sich nach ihm, und kam er in die Nähe, rieben sie sich die Köpfe an ihm, er war der wahrhaftige Löwe im Stall, um den sich alles drehte, es war wirklich zum Eifersüchtigwerden, wo irgendwie Anlage dazu da war. »Gelt,« sagte er, »die kennen mich auch, so gut als dich deine Geißen, sie wissen es aber auch, daß ich es gut mit ihnen meine, und lieben mich deretwegen.« »Ja, Späß!« sagte Züseli, »d’s G’läck lieben sie, dir würden sie wenig nachfragen ohne G’läck.« Das nahm Benz übel, es gab Händel zwischen ihnen, Händel, wie sie gewöhnlich enden zwischen solchen Personen, ohne Schläge und ohne Schelten. Benz wollte wissen, ob er ohne G’läck nicht lieb sein könne, und Züseli behauptete, seine Geißen flattierten ihm viel uneigennütziger und zärtlicher als die Kühe dem Benz.

Darob hätte Züseli bald das Melken versäumt, wenn ihm nicht der Vater eingefallen wäre. »Ach Gott, was wird der Vater sagen!« rief es erschrocken aus und machte sich alsbald an die Arbeit. Nun fing Benz vom Vater an und wollte wissen, warum er ihm eigentlich so z’wider sei, hätte doch nicht Ursache, z’leid ta hätte er ihm nichts, d’s Gegenteil. Er müsse anfangen zu glauben, Züseli weise ihn auf, warum, das begreife er auch nicht, er meine es ehrlich und wäre noch immer gleichen Sinnes, wenn d’s Hüsli auch nicht mehr drei Kreuzer wert sei. Es sei ihm doch dann nicht hauptsächlich wegem Hüsli gsi; wenn d’s Meitschi nit gsi wär, er hätt em Hüsli nit sövli nachg’fragt, und er wetts no jetzt, eine Reiche bekomme er doch nicht, er muß auf eine Arbeitsame und Huslige luege, und danebe auch uf eine, wo man Freud habe, bei ihr zu sein und ke wüste Hung, und deretwegen wett er Züseli, wenn der Alt nit so wüst tun wollte. Danebe könnte er jetzt erfahre, daß ihm ein Tochtermann kommod komme, für das Hüsli helfe z’weg z’mache, wenns möglich sei, öppe Kosten sollte es nicht viel geben, er verstehe sich auf mehr, als man ihm ansehe.

»Nein, wäger ist das nicht wahr, daß ich den Vater aufgreiset, ich wüßte nicht, warum! Wenn es mir g’ordnet ist, z’heiraten, warum sollte ich es nicht tun, und wenn mir ein Armer g’ordnet ist, was hülf wehre? Und, wenn es mir nicht g’ordnet wär, was wett ih uf ene Ryche warte, sellig luege armi Meitli nit a fürs Hürate. Daneben, wenn ich auch nicht viel mehr habe, bin ich doch nicht brüüchig, kanns mit wenig mache, und mit Arbeiten fürchte ich keine. Der Vater hat mich dazu gehalten, daß es eine Art hatte. D’rnebe bist m’r nit unanständig. Wüst tun kannst zwar auch, aber was will man, das ist Mannevolksart, es macht ja jeder, was er kann. Nein, gewiß nicht, Benz, den Vater habe ich nicht aufgreiset, sonst frag ihn selbst, wenn du mir nicht glauben willst!«

»Man kanns machen, aber zuerst schlag ein, du wollest mich!« sagte Benz und streckte seine Hand aus, und Züseli schlug zwar nicht ein, gab aber sittig und ohne Zögern die Hand, was wohl gleich viel zu bedeuten hatte. Sie wurden rätig, Benz solle morgen früh vor dem Melken hinunterkommen und fragen. »Und will dann das alt Kudermannli nicht,« setzte Benz hinzu, »so mache ich beim — was gut ist.«

Diese Unterhandlungen hatten ziemliche Zeit verzehrt. Züseli erschien fast schlotternd vor dem Vater, war jedoch nicht so dumm, sich zu entschuldigen, ehe es angefahren wurde, was immer das beste Mittel ist, sich ein hartes Donnerwetter auf den Hals zu ziehen. Aber der Alte sagte nichts, er munkelte bloß, brummte allerlei Unverständliches, daß Züseli nicht wußte, war er bei Troste oder nicht, oder waren dies Präparationen auf eine gründliche Abwaschung seiner Sünden. Es machte daher, daß es zu Bette kam sobald möglich, es wußte aus Erfahrung, daß man die schärfsten Predigten um so leichter erträgt, je besser man schläft.

Am Morgen früh kam richtig Benz und wollte eine Rede dartun; aber kaum hatte er angefangen, fuhr zu seiner Verwunderung der Alte ihn an: »Schweig mit dem G’stürm, weiß schon, was d’witt, es mangelt des Redens nüt, wenns wottst, so nimms! Aber daß du dich stellst und hilfst und nit meinst, du sygist ume Fresses t’wege da, es muß g’schaffet sy jetzt, wenn m’r vor em Winter unter Dach wey.«

Züseli hörte das drinnen und erschrak. »Mein Gott, was hets em Vater gä, ist er vrhürschet im Kopf?« Endlich vernahmen sie den Beschluß, daß das Hüsli neu gebaut werden müsse und daß man Barthli geb’richtet, dabei wäre ein Meitschi übel zu hüten, dagegen ein Tochtermann kommod zu brauchen. Darum Benz den Dienst aufsagen und sich alsbald hermachen müsse, sonst nehme er einen andern.

Wie es einem ist, wenn man aus dunkelm Keller plötzlich in die Sonne tritt, werden wohl die meisten erfahren haben. Geradeso war es den beiden, die so plötzlich zu Brautleuten wurden ohne Sturm, Blitz und Donner, sie wußten nicht, wo sie waren, stunden sie auf dem Kopf oder auf den Füßen. Darum glotzte Benz den Alten mit großen Augen an und behielt z’leerem den Mund offen, bis der Alte sagte: »So, jetzt ists dir nicht recht; laß es hocken, es gibt drei für einen.«

Da wurde es Züseli drinnen todangst, jetzt könnte es noch fehlen; es taget Meitschine immer am ersten, wenn es ums Heiraten zu tun ist; es kam ganz wie von ungefähr zur Türe aus, wünschte guten Tag, damit kam Benz die Sprache wieder, mit wenig Worten wurde die Sache richtig und Benz ganz feurig, wollte ans Abbrechen des Häuschens hin, sobald er die Kühe gemolken. Mit Mühe war er zu b’richten, mit Abbrechen sei es frühe genug, wenn man zum Aufrichten z’weg sei, wo sie hinsollten unterdessen? Benz ließ sich endlich b’richten, obschon er es lange im Kopf hatte, eine provisorische Hütte aufzuschlagen am Walde wie die Zigeuner. »Wenn d’s Hüsli verbrannt wäre, was wollten sie anders?« frug er. »Es ist drum nit verbrannt«, antwortete der Alte. Das schlug dann Benz, denn darauf wußte er nichts zu antworten.

Barthli hatte keinen Begriff vom Bauen, Benz nicht viel, dagegen begriff er leicht, was Verständigere rieten, Barthli gar nichts, er fragte immer nur nach den Kosten, und wenn dieselben drei Kreuzer überstiegen, jammerte er, als ob es um seinen letzten Heller ginge. Der alte Hans Uli mußte sich der Sache annehmen, angeben, wie das Hüsli sein müsse, mit den Meistern akkordieren usw. Holz wurde ihm verheißen mehr als zur Genüge, unentgeltlich zugeführt, auch Steine führten benachbarte Bauern gerne ohne Lohn.

Bräuchlich ists, daß, wenn man auch nicht eigentliche Fuhrmähler anstellt, man doch den Fuhrleuten nach dem Abladen etwas von Wein oder Schnaps und Käs und Brot gibt. Da hatte man mit Barthli seine liebe Not. Wenn er mit einem Kreuzer ausrücken sollte, tat er, als ob er sich hängen wolle. Züseli hatte seine schwere Not. Die Donners Bauern vermöchten es besser als er, Wein und Schnaps zu zahlen, die täten ihre Knechte daheim füttern, die Knechte hätten nichts nötig in der Zwischenzeit. Sie hielten ihm nichts darauf, täten es ihm auslegen als Hochmut und Vertunlichkeit.

Nun achtete sich Züseli besser dessen, was die Leute sprachen, und Benz wußte aus eigener Erfahrung, wie es die Knechte hatten und was sie erwarteten, beide kannten die öffentliche Meinung, also das Urteil des Publikums, welches ihrer wartete. Sie besserten nach Vermögen nach, Benz gab dabei seine ganze Barschaft hin. Barthli schien das nicht zu sehen, sah es aber doch, und es lächerte ihn gar herzlich, daß er den Tochtermann schwitzen lassen und ihm das Zeug abpressen konnte, statt daß es sonst umgekehrt der Fall ist.

Da wärs wohl gegangen, aber es kam Barthli noch was ganz anderes, wo weder Benz noch Züseli ihm helfen konnten. Maurer und Zimmermann hatten die Arbeit in die Hände genommen, keiner von ihnen hatte überflüssiges Geld, die Gesellen noch weniger, wollten, wenn nicht Vorschuß, so doch alle acht Tage den Lohn, zudem war es ihnen nicht zu verargen, wenn sie wissen wollten, ob die Arbeit ihnen wirklich auch bezahlt werden würde. Sie klopften bei Barthli ganz unverdächtig an. Am Freitag kam der Maurer und sagte: er möchte gerne wissen, wie es mit dem Zahlen sei, damit er sich rangieren könne. Morgen müsse er seine Gesellen auszahlen, und wenn er das Geld gleich hier haben könnte, so brauchte er nicht welches mitzunehmen. »He, bring nur Geld!« antwortete Barthli, »es dücht mih, du solltest erst anfangen, ehe du schon wolltest zahlt sein. Ich muß meine Körbe auch erst verkaufen, wenn sie fertig sind, und nicht, wenn ich dran hingegangen.« Der Maurer zog ein fläm’sch Gesicht, sagte: »Es ist in allem ein Unterschied, du mit den Körben kannst es machen, wie du willst, kannst sie behalten, wenn sie dir niemand bezahlt, aber was soll ich mit der Arbeit machen, wenn sie einmal gemacht ist an deinem Hüsli, die kann ich nicht mehr brauchen. Daneben ists nicht, daß ich so use bin mit Geld und sövli hungerig; wenn man nur immer wüßte, daß es einmal käme, so könnte man schon zuweilen Geduld haben.«

»He, wenn du meinst, du werdest nicht bezahlt, so kannst ja machen, was du willst, du wirst nicht der einzige Maurer sein auf Gottes Erdboden«, sagte Barthli.

Barthli hätte es wahrscheinlich nicht ungern gesehen, wenn alle Arbeiter davongelaufen wären, denn das Bauen war ihm alle Tage widerlicher. Das Donnerwerk werde am Ende zahlt sein müssen, und er möchte doch wissen, was er davon hätte. In der alten Hütte wäre es ihm lange wohl gewesen, aber üse Herrgott habe dies ihm nicht gönnen mögen, räsonierte er.

Am folgenden Morgen trat ihn der Zimmermann an mit seinem Spruch. »Was ich dir sagen wollte,« sprach er, »ich sollte neuis vo Geld ha, für de G’sellen könne ufz’warte, ih bi uff. Hätt y z’zieh, aber es wott nit ygah, es ist bös mit d’m Geld, es ist nie so gsi, ih glaub, es schlüf i Bode. Gell, du machst z’weg; wenns Fürabe ist, sott ihs ha, öppe zwänzg Gulde oder was, oder wenn es dir gleich ist, so mach gleich hundert, ih bruche dih de am andere Samste nit z’plage.«

Potz Himmelblau und Türkenbund, wie da Barthli auffuhr, als wollte er eines Satzes in Himmel hinauf! Er frug den armen Zimmermann, ob er ein Narr sei oder sonst sturm? Er werde meinen, er könne mit ihm machen, was er wolle, weil er nur ein arm Mannli sei, aber er sei am Lätzen, lebendig lasse er sich nicht schinden. Er solle da einziehen, wo man ihm schon lange schuldig sei, selb sei billig, und nicht da, wo er die Arbeit nicht einmal z’grechtem angefangen.

Der Zimmermann schlotterte aber nicht leicht, mit Worten schoß man ihm keine Löcher in Leib, er erklärte rundweg, am Abend müsse er Geld haben, und rücke Barthli nicht aus, nehme er ab, und Barthli sehe ihn einstweilen nicht wieder.

Barthli sagte ebenso kurz: »E mach was d’witt!« und dachte dazu: »Geh du nur, mir ists das rechte, kannst lange warten, ehe ich dich heiße wiederkommen!«

Als es Feierabend wurde, suchten die Meister den Bauherrn, aber fanden ihn nicht, Züseli und Benz wußten nichts um ihn, er war verschwunden.Da brach großer Zorn aus, worob Benz und Züseli sehr erschraken, als sie den Grund davon vernahmen. Sie sollten erst heiraten, wenn das Häuschen bewohnbar war, und wann kams dazu, wenn die Meister aufpackten und mit all ihrem Werkzeug weiterzogen? Sie boten allem auf, die Meister zu begütigen, und Benz versprach, für Geld zu sorgen, wenn der Alte nicht geben wolle. Sie glaubten nicht, daß er diesen Augenblick ihnen begegnen könne, denn viel Geld hätten sie nie bei ihm bemerkt, aber vielleicht sei er eben um Geld aus und habe noch keines bekommen können. Wenn er keins bringe, so wolle er, Benz, für welches sorgen zur Not, er wisse, wo er bekomme. Endlich setzten sich die Meister, versprachen, am Montag wiederzukommen, aber unter dem heitern Vorbehalt, daß in der nächsten Woche Geld auf den Laden müsse.

Als es dunkelte, kam Barthli heim. Die jungen Leute hatten sein mit Bangen geharrt, ja, Züseli sogar daran gedacht, er könnte sich ein Leid angetan haben, weil er um Geld gedrängt worden und keins hatte. Aber in seinem Gesichte war keine Spur von Leid, und als die Jungen ihm jammerten, zog er die Maulecken z’weg und sagte: »G’schäch nüt Bösers!« Er wett, er g’säch se nie meh angers als am Rücken, u de noh vo wytem. Natürlich ließen dies die beiden nicht so kaltblütig hingehen, aber Barthli sagte eben kaltblütig: »He nu so de, su machits angers, we der cheut!« und ging schlafen.

Am folgenden Morgen hatte Hans Uli, der alte Bauer, einen strengen Tag und sagte mehr als einmal, das hätte man davon, wenn man sich eines Menschen annehme, Plag vom Tüfel. Wenn er nicht dächte, das sei eben d’s Tüfels Bosheit, um den Menschen es gründlich zu erleiden, etwas um Gottes willen zu tun, er hätte längst mit der Geißel vom Leib gejagt, wer was von ihm gewollt, Rat oder Geld oder sonst Hülf. Es kam ihm nämlich am Morgen, er hatte kaum noch Schuhe an den Füßen, der Zimmermann, begehrte mit ihm auf, daß er ihn hineingesprengt und in großen Schaden gebracht, er werde sich jedoch an ihn halten, mit ihm habe er akkordiert. Aber so hättens die Donners Bauren, sie hülfen gerne mit Worten, wo nichts kosteten, aber d’Sach solle ein anderer machen, und wenn sie so einen armen Handwerker hineingesprengt, so hätten sie des Teufels Freude dran und lachten den Buckel voll.

Kaum hatte er sich vom Zimmermann losgemacht, stieg der Maurer daher und noch viel zorniger, an einem Fuß hätte man ihn gradaus halten können, so steif hatte ihn der Zorn gemacht. Hans Uli ward wärmer und fertigte den Maurer etwas unglimpflicher ab. Er sagte ihm, es sei unanständig, gleich die erste Woche Geld zu wollen von einem armen Mannli, einem reichen hätten sie es kaum gemacht. Übrigens sollte er wissen, daß er, Hans Uli, noch niemanden hineingesprengt, und wenn er nicht gewußt, daß sie bezahlt würden, hätte er ihnen die Arbeit nicht angetragen. Es sei aber gut für ein ander Mal, sie sollten künftig seinetwegen keinen Kummer mehr haben.

Diese Worte kehrten den Maurer wie ein Handschuh, er ließ sich nieder wie ein Strohfeuer, sagte, es sei nicht böse gemeint, er solle ihm die Worte nicht bös aufnehmen, es seien so schlechte Zeiten, das Geld so rar, daß er oft nicht wisse, wo nehmen und nicht stehlen, und seine Gesellen müßten den Lohn haben, es vermöchte keiner zu warten. Wenn die Erdäpfel gefehlt, müßte man alles kaufen, da läng kein Geld. Wenn doch üse Herrgott nur die Erdäpfel wieder einmal g’raten ließe, es dünke ihn, die Leute sollten ihn doch afe erbarme, b’sunderbar die arme King.

Hans Uli wurde es heiß ums Haupt. »Schön g’redt wär das,« sagte er, »aber nicht witzig. Unser Herrgott wird wissen, was er macht. Er wird einmal zeigen wollen, wer Meister ist und woher alles kommt. Das wißt gerade Ihr nicht, Meister Maurer, und bis Ihr es erkennet, wird er die Not wohl stehen lassen. Gerade du bist auch einer von denen, welche Tag für Tag die Reichen verfluchen und Rache predigen gegen sie, als wären sie an allem schuld, und an unsern Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, denkst du das ganze Jahr nicht. Und wenn du ihn auch ins Maul nimmst, so ists ungefähr, als ob du einen Knittel in die Hand nehmen würdest, es ist nur, um deinen Nächsten zu treffen. Und weil ich doch dran bin, so will ich dich noch fragen, warum sollte sich Gott der Menschen erbarmen, da sie sich untereinander nicht erbarmen?« »Ja,« sagte der Maurer, »da habt Ihr ganz recht, das ist gerade auch meine Meinung. Da läßt man ganze Haushaltungen verrebeln und verhungern, und kein Mensch erbarmet sich ihrer, und wenn man es noch so wohl hätte und so ring könnte.« »Ja, Maurer, du hast recht, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, und wer erbarmet sich am allerwenigsten?« »He, die, wo es am besten könnten«, sagte der Maurer. »Sag lieber, die, wo am ersten sollten, Vater und Mutter. Maurer, ich will dir deine Sünden nicht vorhalten, und deine Kinder werden kaum hungrig vom Tisch gegangen sein, daneben weiß ichs nicht. Wenn es aber wäre, wer wäre schuld als du, du könntest ein hablicher Mann sein, aber deine Nase kostet dich zu viel, du hängst alles an sie. Es wäre besser, du sorgtest für grüne Pflanzplätze statt für eine blaue Nase. Und deine Frau staffiert ihr ältest Meitschi aus, es ist eine wahre Schande, hergegen die jungen Kinder läßt sie barfuß laufen und in armen Hüdelen halb erfrieren. Was hast dann erst für Gesellen und wie erbarmen sich die ihrer Kinder! Für ein Gläslein Schnaps jagten sie dieselben dem Teufel barfuß zu, und will sie wer anders zum Guten halten, so brüllt ihr, als ob man sie ans Messer stecken wollte, und achtet es einem Raube gleich, wenn man für ihre Seele sorgen will. So ist es, Maurer, daß es du nur weißt, und wenn ihr wollt, daß unser Herrgott Erbarmen erzeigen soll, so müßt ihr darum tun.« »Ja, und andere auch noch«, sagte der Maurer. »Und also soll ich Geld bekommen, auf wann kann ich rechnen, damit ich mich darnach rangieren kann?« »In der andern Woche kannst zu mir kommen, da sollst Geld kriegen, im Verhältnis zur Arbeit, aber auf Vorschuß zähl nit!« »Davon hab ich noch nichts gesagt; wenn ich nur schon hätte, was ich verdient, ich wäre z’friede«, antwortete der Maurer unwirsch und fuhr ab mit Geräusch.

Kaum war er fort, erschien Benz in großer Not. Sein Meister konnte mit Geld ihm nicht helfen, er hatte es in diesem Augenblick wirklich selbst nicht. Jetzt was machen? Drauf und dran war Hans Uli, Benz klar Wasser einzuschenken und ihm zu sagen, wo Geld zur Genüge sei. Indessen, er hatte Stillschweigen gelobt, tröstete ihn bestens mit der Verheißung, daß zu rechter Zeit Geld da sein werde, er solle sich nur nicht ängstigen.

Kaum war der fort, kam Hans Ulis Tochter aus der Kirche und sagte, Barthlis Züseli lasse ihm dr tusig Gottes wille anhalten, er solle nachmittags hinaufkommen, es wisse seines Lebens nichts mehr anzufangen, es wollte am liebsten, es wäre sechs Schuh unter dem Herd. Es hätte briegget, es hätte einen Stein erbarmet, man hätte die Hände unter seinen Augen waschen können. »Wer kommt wohl noch?« sagte Hans Uli, »jetzt hätte ich es bald satt.«

Doch es kam niemand mehr, Barthli hütete sich wohl, der fünfte zu sein, er hatte ja auch nichts zu fragen oder zu klagen, war froh, wenn niemand des Häuschens wegen etwas zu ihm sagte.

Es war Hans Uli z’wider, am Sonntag blieb er am liebsten daheim und lebte wohl an der Sabbatsruhe auf dem Bänklein vor seinem Hause. Er wußte aber wohl, daß Barthli in seinem Eigensinn nicht zu ihm kommen würde, und wenn er ihn siebenmal kommen hieße; darum machte er sich gegen Abend auf, dem rueßigen Graben zu. Barthli erschrak, als er Hans Uli sah. Hätte er ihn früh genug erblickt, er wäre nicht mehr zu finden gewesen. Als Hans Uli ihn beiseite hatte, begann er ihm den Text zu lesen, und zwar scharf.

Keine Manier sei es, sagte er, wenn man es gut mit ihm meine, dann zum Dank mit solchem Koldern einen zu plagen. Er hätte ja Geld mehr als genug, warum nicht zahlen, was er schuldig sei, einmal müsse es doch geschehen, oder ob er sich einbilde, es sei einer auf der Welt Narrs genug, es für ihn zu tun? Er solle machen, daß morgen Geld da sei, er solle denken, wie ungern er es habe, wenn man ihn von einer Stör unbezahlt entlasse. Barthli wand sich wie ein Aal zwischen Brummen und Flattieren, meinte, Hans Uli solle vorstrecken, er habe so ans Bauen gesetzt, ohne ihn hätte er es nicht unternommen, er habe ihm ja gesagt, er habe viele gute Leute, darum habe er sich auch darauf verlassen, er werde ihm vorschießen, nach und nach könne er es wieder abverdienen.

Hans Uli stund fast auf den Kopf ob solcher Rede: »Aber hast du mich dann angelogen, als du mir sagtest, du hättest einen versteckten Schatz und darin mehr als genug für ein Häuschen?« fuhr er ihn an. »Wäger nicht!« sagte Barthli. »Aber wie soll ich aus dem Kübel Geld nehmen? Tags kann ich nicht, da stürmt alles aus und ein, nachts kann ich nicht, da merkte es d’s Meitschi, es ist nit z’mache, wäger nit!« »Und warum soll es das Meitschi nit wüsse?« frug Hans Uli und stellte Barthli handgreiflich die Dummheit vor, den Schatz den jungen Leuten länger verheimlichen zu wollen. Nichts dagegen hätte er, wenn er denselben des weitern nicht austrommeln ließe. Aber Barthli war wie ein beinerner Esel, tat keinen Wank. Erst stellte er sehr beredt die nachteiligen Folgen für die jungen Leute vor, wenn sie den Schatz entdecken würden. »Alle Laster täten sie kriegen,« sagte er, »würden hoffärtig, hochmütig, vertunlich, Uhüng in alle Wege.«

Als Hans Uli ihm daraus nichts gehen ließ und sagte: »Und dann nachher, wenn du tot bist, was dann? Es ist doch besser, du legest das Geld jetzt z’Nutzen an, als sie kriegen es nach deinem Tode; jetzt kannst du wehren, bist tot, kannst nichts mehr dazu sagen«, sagte Barthli: »Und hör uf, u säg, was d’witt, es nützt dih alles nüt, un ih tu es nit, u vo dem Geld bruche ih nüt u nime nüt drvo! Soll ih vrgebe bös gha ha u mih g’freut, was d’Manne säge werde, wenn sie d’s Geld finde, u wie d’Lüt d’Naselöcher ufmache werde, wenns heißt: ›Dä alt, wüst Korber het e ganze Kübel voll Geld hinterla, wer hätt das glaubt, wer hätts dem agseh? Er wird nit so dumm gsi sy, als me ne drfür aglueget het.‹ U das alls soll nüt sy, und all my Freud vrgebe! Ney, bim Donner, Hans Uli, das mut m’r nit zu, das tuen ih nit, lieber will mih no hüt henke, de cheu sis de morn füreloche, ih bi doch de gstorbe, u d’Sach geit, wien ih däicht ha.«

So was war Hans Uli wirklich nicht vorgekommen, er erschrak fast ob solchen Reden, er kannte Barthli mit seinem Eigensinn und wußte, wie solche Leute so leicht etwas zu Gemüte fassen und so schwer es nehmen, daß es sie zum Äußersten bringt. Es war von Barthli freilich eine ärgerliche Wunderlichkeit, aber sie berührte seinen Lebenszweck und war seit Jahren eingewurzelt, sein ganzes inneres Leben ging in ihr auf, daß Hans Uli dachte, da könnte einer sich übel verfehlen und etwas zwingen, woraus er sich sein Lebtag ein Gewissen machen müßte.

Er kapitulierte lange, lange mit Barthli hin und her, bis endlich Barthli sagte: »Es kommt mir ja nicht drauf an, sei der Kübel unter meinem Bette oder sei er in deinen Händen, aber ich will nicht wissen, wieviel darin ist, will nichts daraus nehmen, die schönen Stücke, die ich dreingetan, kann ich nicht draus nehmen, und d’s Meitschi und sein Löhl sollen nichts darum wissen. Es wüßte kein Mensch, wie die täten, vor dem Vollmond war alles fort, die Lumpenleute würden noch sagen, es sei mir recht geschehen, und tapfer mich auslachen.«

»Aber nun die Arbeitsleute, wer soll die zahlen?« frug Hans Uli. »Du, wer anders!« antwortete Barthli, »nimm du es draus!« »Selb ist mir z’wider,« sagte Hans Uli, »und zuerst müßte gezählt werden, was drinnen ist.« »G’hörst,« fuhr Barthli auf, »von dem will ich nichts wissen und nicht, was du ausgibst, und wenn ich was verdiene und beiseite machen kann, will ich es dir geben. Den Lumpenleuten kannst du es dann einmal sagen, wo der Barthli mit dem Gelde hingekommen.«

Dem Hans Uli war dieser seltsame Handel sehr zuwider, und, wäre Barthli nicht der alte Schulkamerad gewesen, derselbe wäre nicht zustande gekommen. Hans Uli erbarmte sich, wurde mit Barthli endlich rätig, derselbe solle den jungen Leuten ein paar Batzen geben und sie ins Wirtshaus schicken, dann, wenns finster sei, den Schatz in Hans Ulis Haus schaffen, derselbe solle ihn geheimhalten, bis Barthli sterbe, und für den Fall, daß Hans Uli früher sterben sollte, es irgendwo vernamsen, wem das Geld gehöre und was mit zu machen sei.

Barthli brachte das Geld. Aber wie es verabredet war, machte Hans Uli es nicht; durch zwei vertraute Männer ließ er das Geld zählen und legte ihre Bescheinigung oben drauf.

Die jungen Leute hatten sich sehr verwundert über Barthlis noch nie erlebte Großmut und hätten das Opfer kaum angenommen, wenn Hans Uli, der dabei war, nicht gesagt, sie sollten es nehmen, wenn der Vater es geben wolle, es könnte vielleicht lange gehen, bis den Alten wieder so was ankäme. Es sei ein Zeichen der Zufriedenheit, und solche dürfe man nie ausschlagen. Sie sollten ihm fürder treu sein und von der Bürde das schwerere Ort auf ihre Achseln nehmen, sie seien jung und sollten auch stärker sein als Siebenzigjährige. Sie gingen endlich, aber Züseli war immer das Weinen z’vorderst. Das sei eine Änderung vor dem Tode, es könne es nicht anders einsehen, sagte es. Hans Uli hätte lange einreden können, wenn den Vater nicht etwas Übernatürliches angekommen wäre, denn was er nicht im Kopf gehabt, das hätte ihm kein sterblicher Mensch hineingebracht, kaum der Herrgott.

Am Montag stellten die Arbeiter sich ein mit kühnen Gesichtern, auf denen geschrieben stand: »Wart, du alter Schelm, dir wollen wir es zeigen, wenn du heute nicht ausrückst!« Der Maurer mochte fast nicht warten bis am Abend, um zu erfahren, wie es stehe, es versprengte ihn fast vor Ungeduld. Ehe es noch recht Abend ward, trat der Maurer den Barthli an mit der Frage: »Und jetzt, wottst füremache oder nit, möchts gerne wissen?« »Wer hat gesagt, daß es heute sein müsse?« frag Barthli. »Hans Uli hat es verheißen«, antwortete der Maurer. »He nu, wenn es der verheißen hat, warum fragst du mich? Geh zu Hans Uli, der wird schon halten, was er versprochen!« Erst begehrte der Maurer auf, er wolle seinem Gelde nicht nachlaufen und wahrscheinlich um nichts und wieder nichts. Wenn Barthli einen Narren haben wolle, so solle er sich einen eisernen machen lassen. Benz, dem es natürlich himmelangst war, beschwichtigte, so gut er konnte, und am wirksamsten mit dem Bescheid, daß Hans Uli gestern dagewesen und sicher eine Abrede werde getroffen worden sein. Der Vater könne nicht rechnen, kenne keine Zahl und das Geld übel, so werde Hans Uli die Zahlungen übernommen haben.

»Kann sein,« meinte der Maurer; »aber warum sagte der alte Schalk es nicht? Wenn er es so machen will, so soll es dem eingetrieben werden.«

»Und warum wollt ihr mich plagen,« sagte Barthli, »nicht acht Tage arbeiten ohne Bezahlung? Probierit mit Ytrybe, es wird sih de scho zeige, wer z’letzt Meister wird!«

Wir glauben, Barthli mit seiner zähen Schlauheit wäre Meister geworden, war aber nicht nötig. Als die Arbeiter Geld sahen und wußten, daß Hans Uli seine Hand in der Sache habe, ließen sie die Flausen fahren und förderten die Arbeit so, daß das Häuschen unerwartet schnell zu beziehen war.

Nun ließen die jungen Leute verkünden, meinten endlich, glücklich am Ziele zu sein, da kam ein Neues dazwischen, eine neue Verlegenheit, an die sie nicht gedacht; es sollte bei ihnen sich so recht erwahren: ›Per ardua ad astra‹, das heißt, durch dick und dünn zum Himmel. Es ist Sitte, daß man zum Hochzeithalten sich neue Kleider machen läßt. Es herrscht der Glaube, daß, sowie die Hochzeitkleider, namentlich die Hochzeitschuhe, brechen, auch die Liebe auseinander gehe. Bekanntlich halten nun in der Regel neue Kleider länger als alte, ja, viele hängen den ganzen Anzug in den Spycher, tragen denselben selten oder nie mehr und glauben, auf diese Weise für eine ewig junge Liebe vollständig gesorgt zu haben. Wäre allerdings ein ring Mittel und sehr zu empfehlen, wenn es probat erfunden würde, als Universalmittel zu Erhaltung ewig junger Liebe. Es fiel den jungen Leuten ein, daß sie solche Kleider haben müßten notwendig, besonders Züseli, aber woher das Geld dazu nehmen, ohne es zu stehlen? Benz hatte das seine fast ganz in Barthlis Nutzen verbraucht, Züseli nie welches gehabt, und zwei ganze B’kleidige, sie mochten so wohlfeil rechnen, wie sie wollten, kosteten immer schon eine Summe. Sie hätten wahrscheinlich es machen können wie andere, auf Borg nehmen, aber sie schämten sich dessen und wußten, daß man auf diese Weise alles teurer bezahlen muß. Da sie nun an eine Zukunft dachten, so graute es ihnen vor Schulden und unnötigen Ausgaben.

Als Barthli einmal guter Laune schien, chlütterlete ihm Züseli sehr, hätte ihm fast vorgetanzt wie dem Herodes seines Weibes Tochter, und als er eben recht ermürbet schien, rückte Züseli aus mit seinem Anliegen. Aber potz Himmelblau, wie gabs da plötzlich schwarze Wolken, und wie blitzte und donnerte es aus denselben schrecklich! Was ihn das angehe, begehrte er auf, er wolle es ja nicht heiraten; wer es haben wolle, der solle ihm auch für die Kleider sorgen, er sei mit einem Tochtermann gestraft genug, er wüßte nicht, aus wes Grund er jetzt noch mit solchen Kosten solle geplagt werden, kurz, er machte es ungefähr so wie mit den Arbeitern, hatte es mit der Tochter wie mit dem Hüsli, am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn es beim alten geblieben wäre. Züseli wollte ihm vorstellen, wie Benz bereits so viel Geld in Barthlis Nutzen verwendet, so manche Maß Brönz oder Wein und anderes mehr angeschafft usw. »Wer hat ihn g’heißen?« brüllte Barthli, »wer ihn g’heißen hat, der soll es ihm wiedergeben. Wenn eins von euch einen guten Blutstropfen hätte, ihr kämet mir nicht mit solchem Anmuten jetzt, wo ich solche Kosten habe, worob ich fast z’hinterfür g’rate.«

Wie das Züseli wehtat, besonders wegen Benz, und wie es sich vor ihm schämte, kann man denken. Es dachte oft, am Ende könne es ja auch in seinen alten Kleidern gehen, es werde doch an denen allein die Liebe nicht hängen. Wenn es sein möglichstes tue mit Arbeiten, Huse, Liebha und Benz die Hände unter die Füße lege, so könne es doch fast nicht glauben, daß es gestraft werden sollte für eine Sache, deren es sich so gar nichts vermöge.

Einmal, als es alleine vor dem Häuschen saß, Erdäpfel rüstete und dazu bitterlich weinte, kam Hans Uli dazu und wollte wissen, was es habe. Nach vielen Ausflüchten beichtete endlich Züseli. Erst wurde Hans Uli zornig, dann lachte er und sagte: »Dr Alt ist doch immer der gleiche, den könnte man in einem Mörser zerstoßen von unten bis oben, er bliebe der Barthli und würde um kein Haar anders. Aber tröste dich, du mußt Kleider haben und Benz auch, der Alte muß zahlen, er mag wollen oder nicht, ich verrechne ihm dieses in die Baukosten.« »Das nit, Hans Uli, ume das nit! Ich betrog den Vater mein Lebtag nie um einen Kreuzer, obschon ich es oft nötig gehabt wegen Hunger und Durst; jetzt will ich nicht anfangen und b’sunderbar nicht mit den Hochzeitkleidern; was hülfen neue Kleider, wenn sie mit veruntreutem Gelde angeschafft wären, ich müßte mich ja drinnen schämen, ich dürfte nicht vor aufluegen!« antwortete Züseli. »Du bist ein wunderlich Ding,« sagte Hans Uli, »und wenn du alt wirst, wirst einen Kopf haben akkurat wie dein Alter, vielleicht nit so e wüste, aber uf das allerwenigst ebenso wunderliche.«

Glücklicherweise kam Barthli zufällig zu diesem Handel. Hans Uli wusch ihm tapfer die Kutteln, sagte ihm, er sei der wüstest Alt gegen seine Kinder im ganzen Emmental, und wenn sie nit warten möchten, bis er aufhören müsse, sie anzugrännen und auszubranzen, so geschähe es ihm recht, denn er wäre selbst schuld daran. Mit diesen und ähnlichen kräftigen Redensarten brachte er es endlich dahin, daß Barthli sagte, des Tüfels Zwangs hätte er bald genug. Das werde schön herauskommen, wenn jedes Bettelmensch in Seide und Sammet z’Chilche well. Er solle machen, was er wolle, es gehe zum andern, er wäre alt genug, um in solchen Sachen Verstand zu brauchen. Daneben sei es ihm ganz gleich, am Ende müßten sie denn doch sehen, wer zahle. Schulden seien bald gemacht, aber wiedergeben, das habe eine Nase, sie würden es erfahren. Er machte Züseli bitterlich angst, es wollte verzichten auf neue Kleider, aber Hans Uli tröstete und sagte, hoffärtig habe er die Leute nicht gerne, aber wer bei solchen Anlässen nicht tue wie üblich und bräuchlich, werde später reuig oder ein Kolder, der sein Lebtag tromsigs drin sei. »Das ist grober Tubak«, sagte Barthli. »Kannst mit machen, was du willst,« lachte Hans Uli, »ihn liegen lassen oder schnupfen, es stößt dir ihn niemand in die Nase.«

Züseli war ein recht schönes Bräutchen und hatte wirklich kindliche Freude an sich selbsten, die recht rührend war. Es hatte sich selbst noch nie in einem ordentlichen Anzuge, wo alles zueinander paßte, gesehen. Wenn es schon zuweilen zu was Neuem kam, so machte das Neue das übrige nur älter und schäbiger. Es ward gar nicht satt, an den neuen Schuhen, den neuen Strümpfen und an einem Stück nach dem andern sich zu ergötzen, gerade wie ein Kind bei der Weihnachtsbescherung. Dasselbe läuft ums Bäumchen, an welchem die schönen Sachen hängen, herum, von einem Stück zum andern, hat bei jedem neue Freude und jedesmal noch größere als die früheren Male.

Es war aber nicht bloß an einem Tage glücklich, wie es leider Gott so manchem armen Bräutchen geschieht, sondern alle Tage glücklicher. Züseli war, seit die Mutter gestorben, an freundliche Worte gar nicht gewohnt; wenn es das ganze Jahr durch drei oder vier der Art vom Vater erhielt, so war es aller Handel. Nun, Benz war auch kein Zuckerstengel, indessen kriegte Züseli doch alle Tage einige gute von ihm, und die andern waren doch wenigstens nicht böse und schnauzig.

Zudem ging ihm eine schöne Zukunft auf. Benz tat zum Korben geschickt, gab schon im ersten Winter dem Alten wenig nach.

Hans Uli fragte Barthli einmal: »Und jetzt, wie gehts mit dem Tochtermann, weißt ihn jetzt was zu brauchen?« »He,« sagte Barthli, »es ging, z’arbeite ist er e Guete, und wenn er d’s Korbe g’lehrt hätt und nit d’r Tochtermann wär, es hä’tt m’r chönne übel gah, er mah mih bald mit d’r Arbeit, und es rückt ihm us d’r Hand, wie wenn er scho lang drbygsy war. Aber zum Tisch, da ist er e Uchummlige, e Uhung, daß ih’s gradusesäge, da frißt d’r nit wie es arms Mannli, sondere wie e ryche Bur, wo zehn Küh im Stall hat.« »O säg du, Barthli,« sagte Hans Uli lachend, »u de du? Du hast oft an meinem Tische gegessen, und wenn einer mehr mochte, ich oder du, so warst du es.« »O ja, da will ich nichts sagen, so z’ungradem oder auf der Stör,« erwiderte Barthli ruhig, »aber ich meine nicht das, ich meine z’ordinä’ri daheim, einen Tag was den andern. Das ist ganz was anderes, das g’spürt me, du glaubsts nit.« »Wohl, das glaub ich,« sagte Hans Uli, »habs auch schon erfahren. Oder meinst, e Bur g’spürs nit o, wenn ihm einer frißt wie angerhalbe Metzgerhung?« »Er wird wohl,« antwortete Barthli, »aber was frag ich dem nach! Er wird drfür dasy, oder wofür war er sust da?« »So, du bist m’r e Lustige!« sagte Hans Uli. »Meinst du dann, wir seien hagenbuchig g’füttert? Wenn drnah öpper g’hörti, wie d’iniredst, du bekämst kei einzigi Stör mehr.« »Was frag ich den Stören nach!« sagte Barthli, »wenn ih ume d’Wydli ha, ich komme viel weiter, wenn ich sie brauchen kann, wie ich will, als wenn ich sie den Bauren verkorben muß und dabei kaum das lautere Wasser verdiene.« »Aber meinst, man lasse dir die Wydli, da steckt man dir den Nagel«, sagte Hans Uli. »Ohä,« sagte Barthli, »selb tut man nicht. Die Bauren begehren nicht, daß ich einmal wiederkomme und in ihren Matten den Weiden nachgehe, und das täte ich, müßt ja nachholen, was sie mich versäumt; sie begehren nicht, daß ich zusehe, wie sie einander das Wasser stehlen, oder in trüben Nächten den alten Bauren, welche auch wiederkommen müssen, erzähle, was für Uhüng es us ihre Bube gä heig.« Barthlis Mundstück blieb das nämliche, aber seine Kräfte nahmen sichtlich ab, die Erlebnisse im Sommer hatten sein ganzes Eingericht erschüttert und aus dem Gleichgewicht gebracht. Er klagte es nicht, er hüstelte nur etwas mehr als sonst und wurde nie böser, als wenn Züseli ihm zumutete, er solle doch was brauchen, Tee oder Doktorzeug. Er strengte sich dann nur mehr an zur Arbeit und verbarg seine Schwäche um so sorgfältiger. Einmal brachte ihm Züseli eine Halbe roten Wein, da begehrte er über die Verschwendung grimmiglich auf, so aufgebracht hatte ihn Züseli kaum je gesehen, es fehlte nicht viel, er hätte ihm die Flasche ins Gesicht geschlagen. Solange das alte Häuschen gestanden, sei kein Wein dareingekommen, jetzt, sobald ein neues habe sein müssen, habe der Teufel seine Eier dreingelegt, und jetzt könne er schon sehen, wie es gehen werde, wenn er einmal die Augen zuhabe. Aber er täte es ihnen nicht zu Gefallen, Platz z’machen, er wolle eine Weile ihnen zeigen, wodurch es gehen müsse.

Solche Reden sind aber vermessen und stehen dem Menschen nicht zu, es ist ein anderer Meister. Am folgenden Morgen war Barthli tot im Bette, aber umgedreht war ihm der Hals nicht; er schien eines ganz friedlichen Todes gestorben zu sein.

Züseli ging dieser Tod nahe zu Herzen; daß Benz trauriger gewesen als andere Tochtermänner, die einen wunderlichen Schwiegervater verloren, können wir nicht behaupten. Aber in großer Angst und Verlegenheit waren beide, wo Geld nehmen und was mit den Schulden anfangen, welche da sein mußten.

Begreiflich ging Benz alsbald zu Hans Uli, um Rat und Trost zu fassen. »Geh zum Pfarrer und gib ihn an, und mit der Gräbt machts wohlfeil, allweg bloß eine Käsgräbt im Hause, keine Fleischgräbt im Wirtshaus! Ich werde noch manchmal Langeweile nach ihm haben, daneben ists ein Glück für euch und ihn, daß er nicht lange krank sein mußte, das hätte eine schwere Not gegeben«, sagte Hans Uli. Benz frug noch, wo er wohl Wein und Käs nehmen sollte, daß sie es am wohlfeilsten machten, er wüßte ohnehin fast nicht, wie zahlen; sie hätten kaum zehn Batzen Geld im Hause. Mit der Zeit könnten sie es schon bezahlen, wenn ihnen nur jetzt jemand dings geben wollte. »Warum nicht! Sag nur, man hätte euch diesen Morgen alles versiegelt, und geh gleich zu einem Gerichtssäß und laß wirklich versiegeln, da darf es dir kaum jemand absagen; ohnehin tat es kaum jemand, man ist mit euch zufrieden, und bei solchen Gelegenheiten erfährt man es, was der Name macht.«

Als nun Benz von weiterm noch reden wollte, sagte Hans Uli: »Geh jetzt, mach, wie ich gesagt! Am Begräbnistag am Abend komm dann mit Züseli, so will ich euch über d’Sach b’richte. Fürchtet euch einstweilen nicht, so bös ist d’Sach nicht.«

Das war ein Trost, aber vollständige Beruhigung brachte er doch nicht. Daß sie blangeten auf den verhängnisvollen Abend, wird man begreifen. Die Nachbarn zeigten sich recht gut gegen das junge Ehepaar, sie boten sich an zum Wachen bei der Leiche, zu laufen für sie, wenn sie was zu verrichten hätten; und wenn sie irgendwas nötig hätten, sollten sie es sagen ohne Komplimente. Ihrer Lebenlang hätten sie nicht geglaubt, daß die Leute es so gut mit ihnen meinten, sagten Benz und Züseli. Sie hatten die Menschen noch nicht gründlich erfahren. Es ist keine Frage, die Menschen sind gutmütig, doch nicht gerne lange hintereinander, sie sind mitleidig, aber jemand, mit dem sie in die Länge zu tun haben sollten, wird ihnen sehr leicht lästig. Nun, so vom Tode bis zum Begräbnis und bei den bessern einige Tage darüber, da geht es schon.

Es kamen noch viele Leute mit Barthli zu Grabe, und an der Käsgräbt führten sich alle bescheiden auf, allgemein war die Rede, die jungen Eheleute hätten einen bösen Anfang und müßten zur Sache sehen, wenn sie g’fahren wollten.

Den Nachmittag füllten sie mit Waschen und Fegen, und am Abend machten sie mit schwerem Herzen zu Hans Uli sich auf. Dort mußten sie erst essen und trinken, ehe Hans Uli an die Geschäfte wollte. Es kam ihnen vor, als seien sie am Henkermähli, und erst als der Alte sah, daß nichts mehr runter wollte, führte er sie ins Stübli. Dort lagen Papiere auf dem Tische, und in der Mitte war ein alter, wüster Kübel und was drinnen. Züseli mochte gar nicht hinsehen, was es sei, aber es dachte, sellig Sache putze man sonst fort, ehe man fremde Leute in ein Gemach führe. Die Papiere enthielten Rechnungen und Quittungen über den Bau. »Herr Jeses, wieviel!« seufzte Züseli aus gepreßtem Herzen, »das wird e Usumm mache!«

»Ho,« sagte der Alte, »es macht sich; man hausete, soviel man konnte, man hätte leicht d’s Halb mehr brauchen können, und fertig seid ihr noch nicht. Wenn ihr machen lassen wollt, was nötig ist, so kostet es noch einen Büschel Geld, und ich wollte es fertig machen. Es ist nichts wüster anzusehen und nachteiliger als so unausgemachte Häuser. Läßt man sie einmal liegen, so bleiben sie liegen, solche Häuser werden nie mehr ausgemacht, aber z’plätzen hat man an ihnen fort und fort, solange sie stehen.«

»Aber wieviel würden wir dann schuldig, das wir verzinsen müßten?« fragte Benz mit beklommener Stimme. »Der Vater selig mußte nichts verzinsen und konnte es kaum machen.«

»He,« sagte Hans Uli, »rechnet selbst, es werden ungefähr dreihundert Taler ausgegeben sein, und mit hundert Talern läßt sich noch viel machen, wären also zusammen vierhundert Taler. Es kostet mehr, als ich anfangs dachte, aber ich dachte, es sei besser, d’Sach gleich recht zu machen.« »Wieviel macht das Zins?« frug Züseli halblaut. »He, sechzehn Taler machts, wenn man das Geld schuldig ist.« »Sechzehn Taler im Jahr!« seufzte Züseli. »Es ist schon ein Geld, wer es zahlen muß,« sagte Hans Uli, »aber ihr müßt es nicht zahlen, ihr seid mir das Geld nicht schuldig, es war Barthlis Geld.«

Da stunden beide und hielten das Maul offen. »D’s Vaters?« fragte endlich Züseli. »Ja, d’s Vaters,« sagte Hans Uli, »und seht, da ist noch mehr«, und somit schob er ihnen den wüsten Kübel dar, nahm das Papier weg, welches drin lag, und fast halbvoll grober Silberstücke war er.

Da verschmeieten beide fast, und Züseli sah den Alten an mit einem Blicke, als ob es sagen wollte: ›Warum hältst du uns zum besten?‹ »Sieh mich nur an, Fraueli! Ja, es war eueres Vaters Geld, jetzt ists euer Geld.« Und nun erzählte ihnen Hans Uli den Hergang, gab ihnen das Papier zur Hand, auf welchem von den Männern verzeichnet stand, wieviel sie im Kübel vorgefunden, woraus sich ergab, daß der bessere Teil noch vorhanden war.

Sie stunden da, daß es wohl kein großer Unterschied war zwischen ihren Gesichtern und dem Gesicht, welches Lots Weib machte, und das man noch in der Kirche zu Doberan, freilich etwas verblichen, sehen kann, als es hinter sich sah und die brennenden Städte ihm in die Augen fielen; indessen der Ausgang war anders. Züselis Gesicht versteinerte nicht, kriegte zuerst Leben, und Wasserbäche strömten aus seinen Augen, daß der Vater so bös gehabt und soviel Geld, daß er sich nichts gegönnt und nur für sie gehauset, daß sie es nicht gewußt und nichts für ihn getan, nicht den Doktor geholt oder ihm wenigstens doch eine Laxierig oder andern Zeug gegeben hätten.

»Nun,« sagte endlich Hans Uli, »es freut mich, daß du daran sinnest und z’erst plärrest und nicht jauchzest. Daneben höre jetzt mit Plärren auf und plage dich nicht zu fest mit dem Kummer, er habe seine Sache nicht gehabt. Er wollte es so, und das war seine Freude, und, wie das Sprichwort sagt, es habe jeder Narr Freude an seiner Kappe, so ists meine Meinung, daß man ihm diese Freude nicht störe, das ist sein Wohlleben, und wenn er euch jetzt gesehen und euere Gesichter, so hätte es ihn gelächert wie sein Lebtag noch nie. Diese Freude wollen wir ihm wohl gönnen, aber nicht mehr, andere Leute brauchen nicht zu verstaunen über Barthlis Schatz. Wenn es auf mich abkäme, ich ließe davon nichts unter die Leute. Daneben macht, was ihr wollt! Dir, Frauli, war das ein schwer Zumuten.«

Benz sagte, er danke für den Rat, er sei ganz der Meinung, die Leute wären jetzt so gut; wenn sie vernähmen, wie reich sie geworden, würden sie mißgünstig. Das best werde sein, daß sie Land kauften, daß sie eine Kuh halten könnten.

Da lachte der Alte herzlich, sagte endlich: »Häbs nit für ungut, aber das wäre gerade das Dümmst. Meinst nit, es nähme die Leute wunder, woher du das Geld hättest, wenn du dich plötzlich so aufließest? Doch d’Hauptsach ist die: du willst ein Korber werden, und das ist recht, du siehst, es hat seinen silbernen Boden. Aber, was ihr verdient, was die Haushaltung kostet, überhaupt wie das Haushalten geht, das wißt ihr nicht. Jetzt hürschet nicht alles durcheinander, meinet, es möge sich alles ergeben, alles erleiden, auf welche Weise die meisten Weibergütlein dahingehen, man weiß nicht wie, und wo man obendrein noch Trom und Boden verliert. D’s Hüsli laßt ausbauen, dann hüselet fort, ungefähr so wie bisher. So erfahret ihr genau, was ihr verdient, und was ihr braucht, ob ihr übrig habt oder z’wenig, und d’s Vaters Geld laßt einstweilen ruhig, als ob es gar nicht da wäre. Läßt Gott euch gesund, so werdet ihr ohne Zweifel mehr verdienen als brauchen, daraus könnt ihr euch nach und nach Sachen anschaffen, und deren braucht ihr viel, denn ihr habt von allen Sachen nichts, in mancher Bettlerhaushaltung hat man mehr. Unterdessen laßt das Geld arbeiten, man findet ihm schon Platz, daß es hier herum nicht bekannt wird. Seid ihr dann durch euere Arbeit gut in Stand gekommen, im Handwerk b’rühmt und b’liebt, dann ist noch alle Zeit, Land und Kuh zu kaufen, wenn es sich wohl schickt und ihr noch Lust dazu habt. Dann freut es die Leute noch, sie halten euch viel darauf und sagen: husligere Leute gebe es nicht, aber es sei ihnen z’gönnen, sie arbeiteten darnach, z’ünnütz sehe man sie keinen Kreuzer vertun, wenn alle so wären, es gäbe weniger Armi, und es ginge besser auf der Welt.«

Wie die jungen Leute dem Alten dankten, kann jeder sich denken. Er war selbst über die Innigkeit gerührt und ließ sich erbitten, ihnen den Schatz ferner zu verwalten.

Stumm gingen sie lange nebeneinander auf dem Heimweg. Endlich sagte Züseli, es möchte abhocken und beten. Als sie wieder aufstunden, fiel Züseli dem Benz um den Hals und sagte: »O Benz, wie sy mr jetz z’weg so ungsinnet! Aber gäll, hochmütig und gyzig wei mr nie werde, zum Krüzer luege und i d’r Liebe blybe und nie vrgesse, für e Vater z’bete alli Tag, und nie vrgesse, woher alles chunnt und wem mr alles z’vrdanke hey?«

Benz drückte sein Weibchen ans Herz, und stumm Hand in Hand wanderten sie ihrem Häuschen zu und werden darin, so Gott will, den Frieden auf Erden finden und dabei sorgen für den Frieden im Himmel.

Anmerkungen zur Transkription

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[Ende von Barthli der Korber von Albert Bitzius (as Jeremias Gotthelf)]