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Title: Nachlass zu Lebzeiten
Date of first publication: 1936
Author: Robert Mathias Musil (1880-1942)
Date first posted: Oct. 27, 2020
Date last updated: Oct. 27, 2020
Faded Page eBook #20201060
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ROBERT MUSIL
NACHLASS
ZU LEBZEITEN
1936
HUMANITAS VERLAG ZÜRICH
II. Auflage
Alle Rechte
insbesondere das der Uebersetzung vorbehalten
Copyright 1936 by Humanitas Verlag Zürich
Printed in Switzerland
Warum Nachlass? Warum zu Lebzeiten?
Es gibt dichterische Hinterlassenschaften, die grosse Geschenke sind; aber in der Regel haben die Nachlässe eine verdächtige Aehnlichkeit mit Ausverkäufen wegen Auflösung des Geschäfts und mit Billigergeben. Die Beliebtheit, deren sie sich trotzdem erfreuen, mag dann davon kommen, dass die Lesewelt eine verzeihliche Schwäche für einen Dichter hat, der sie zum letztenmal in Anspruch nimmt. Wie immer das aber auch sei und was immer sich von der Frage vermuten liesse, wann ein Nachlass von Wert sei, und wann bloss einer vom Werte: ich habe jedenfalls beschlossen, die Herausgabe des meinen zu verhindern, ehe es soweit kommt, dass ich das nicht mehr tun kann. Und das verlässlichste Mittel dazu ist es, dass man ihn selbst bei Lebzeiten herausgibt; mag das nun jedem einleuchten oder nicht.
Aber kann man denn überhaupt noch von Lebzeiten sprechen? Hat sich der Dichter deutscher Nation nicht schon längst überlebt? Es sieht so aus, und genau genommen, hat es, so weit ich zurückzudenken vermag, immer so ausgesehn, und ist bloss seit einiger Zeit in einen entscheidenden Abschnitt getreten. Das Zeitalter, das den Massschuh aus fertigen Teilen hervorgebracht hat, und den fertigen Anzug in individueller Anpassung, scheint auch den aus fertigen Innen- und Aussenteilen zusammengesetzten Dichter hervorbringen zu wollen. Schon lebt der Dichter nach eigenem Mass beinahe allerorten in einer tiefen Abgeschiedenheit vom Leben, und hat doch nicht mit den Toten die Kunst gemeinsam, dass sie kein Haus brauchen und kein Essen und Trinken. So günstig sind die Lebzeiten den Nachlässen. Auf die Benennung dieses Büchleins und seine Entstehung ist das nicht ohne Einfluss geblieben.
Umso sorgfältiger müsste man natürlich mit seinen letzten Worten, auch wenn sie nur vorgespiegelt sind, umgehn. Inmitten einer donnernden und ächzenden Welt bloss kleine Geschichten und Betrachtungen herauszugeben; von Nebensachen zu reden, wo es so viele Hauptsachen gibt; seinen Aerger an Erscheinungen zu haben, die weit vom Schuss zurückliegen: ohne Zweifel, es mag manchem als Schwäche erscheinen, und ich will gern gestehn, dass auch mir der Entschluss zur Herausgabe allerhand Sorgen bereitet hat. Aber erstens hat immer schon ein gewisser Grössenunterschied zwischen dem Gewicht dichterischer Aeusserungen und dem Gewicht der unberührt von ihnen durch den Weltraum rasenden zweitausendsiebenhundert Millionen Kubikmeter Erde bestanden und musste irgendwie in Kauf genommen werden. Zweitens darf ich mich vielleicht auf meine Hauptarbeiten berufen, denen es an den zusammenziehenden Kräften, die man hier vermissen könnte, am wenigsten fehlen dürfte; die weiterzuführen, aber gerade eine solche Zwischenveröffentlichung verlangte. Und schliesslich: als mir dieses Buch vorgeschlagen wurde und die Teilchen, aus denen es zusammengesetzt werden sollte, wieder vor mir lagen, glaubte ich zu bemerken, dass sie doch eigentlich zeitbeständiger gewesen seien, als ich befürchtet hatte.
Diese kleinen Arbeiten sind fast alle in den Jahren zwischen 1920 und 29 entstanden und zum erstenmal veröffentlicht worden; aber ein Teil von denen, die im Inhaltsverzeichnis „Bilder” heissen, geht auf ältere Vormerkungen zurück. So das „Fliegenpapier”, das unter dem Titel „Römischer Sommer” schon 1913 in einer Zeitschrift erschienen ist; und auch die „Affeninsel” stammt aus dieser Zeit, was ich erwähne, weil man diese beiden sonst leicht für erfundene Umschreibungen späterer Zustände halten könnte. In Wahrheit sind sie eher ein Vorausblick gewesen, getan in ein Fliegenpapier und in ein Zusammenleben von Affen; aber jedermann werden solche Weissagungen gelingen, der an kleinen Zügen, wo es sich unachtsam darbietet, das menschliche Leben beobachtet und sich den „wartenden” Gefühlen überlässt, die bis zu einer Stunde, die sie aufrührt, scheinbar „nichts zu sagen haben” und sich harmlos in dem ausdrücken, was wir tun und womit wir uns umgeben.
Etwas Aehnliches, doch vorwiegend in umgekehrter Anwendung, lässt sich wahrscheinlich auch zugunsten der „Unfreundlichen Betrachtungen” und der „Geschichten, die keine sind” anführen. Sie tragen die Zeit ihrer Entstehung sichtbar an sich, und was an ihnen Spottrede ist, gilt zum Teil gewesenen Zuständen. Auch in der Form zeigen sie diesen Ursprung; denn sie sind für Zeitungen geschrieben worden, mit ihrem unaufmerksamen, ungleichen, dämmerig-grossen Leserkreis, und hätten ohne Frage anders ausgesehn, wenn ich sie, so wie meine Bücher, für mich allein und für meine Freunde geschrieben hätte. Gerade hier war also die Frage zu beantworten, ob es erlaubt sei, die Veröffentlichung zu wiederholen. Jede Umänderung hätte dazu genötigt, alles neu zu entwerfen, und ich musste mich ihrer ganz enthalten, ausser dass ich da und dort etwas, das unter den Umständen seines Entstehens nicht nach Wunsch geraten war, im Sinn seiner eigenen Absichten nachbesserte. So ist nun wirklich zuweilen von Schatten, von einem Leben die Rede, das nicht mehr ist, und dazu in einer Art des begrenzten Aergernisnehmens, das auf abschliessende Vollständigkeit keinen Anspruch erhebt. Ich habe den Mut, den ich trotzdem in die Zeitbeständigkeit dieser kleinen Satiren setze, schliesslich aus einem Satz von Goethe geschöpft, der zu diesem Zweck sinngemäss verändert werden kann, ohne an Wahrheit einzubüssen; er lautet dann: „in dem Einen, was schlecht gethan wird, sieht man das Gleichniss von allem, was schlecht gethan wird.” Dieser Satz lässt Hoffnung, dass die Kritik kleiner Fehler auch in Zeiten, wo schon viel grössere gemacht werden, ihren Wert nicht verliert.
Das Fliegenpapier Tangle-foot ist ungefähr sechsunddreissig Zentimeter lang und einundzwanzig Zentimeter breit; es ist mit einem gelben, vergifteten Leim bestrichen und kommt aus Kanada. Wenn sich eine Fliege darauf niederlässt — nicht besonders gierig, mehr aus Konvention, weil schon so viele andere da sind — klebt sie zuerst nur mit den äussersten, umgebogenen Gliedern aller ihrer Beinchen fest. Eine ganz leise, befremdliche Empfindung, wie wenn wir im Dunkel gingen und mit nackten Sohlen auf etwas träten, das noch nichts ist als ein weicher, warmer, unübersichtlicher Widerstand und schon etwas, in das allmählich das grauenhaft Menschliche hineinflutet, das Erkanntwerden als eine Hand, die da irgendwie liegt und uns mit fünf immer deutlicher werdenden Fingern festhält.
Dann stehen sie alle forciert aufrecht, wie Tabiker, die sich nichts anmerken lassen wollen, oder wie klapprige alte Militärs (und ein wenig o-beinig, wie wenn man auf einem scharfen Grat steht). Sie geben sich Haltung und sammeln Kraft und Ueberlegung. Nach wenigen Sekunden sind sie entschlossen und beginnen, was sie vermögen, zu schwirren und sich abzuheben. Sie führen diese wütende Handlung so lange durch, bis die Erschöpfung sie zum Einhalten zwingt. Es folgt eine Atempause und ein neuer Versuch. Aber die Intervalle werden immer länger. Sie stehen da, und ich fühle, wie ratlos sie sind. Von unten steigen verwirrende Dünste auf. Wie ein kleiner Hammer tastet ihre Zunge heraus. Ihr Kopf ist braun und haarig, wie aus einer Kokosnuss gemacht; wie menschenähnliche Negeridole. Sie biegen sich vor und zurück auf ihren festgeschlungenen Beinchen, beugen sich in den Knien und stemmen sich empor, wie Menschen es machen, die auf alle Weise versuchen, eine zu schwere Last zu bewegen; tragischer als Arbeiter es tun, wahrer im sportlichen Ausdruck der äussersten Anstrengung als Laokoon. Und dann kommt der immer gleich seltsame Augenblick, wo das Bedürfnis einer gegenwärtigen Sekunde über alle mächtigen Dauergefühle des Daseins siegt. Es ist der Augenblick, wo ein Kletterer wegen des Schmerzes in den Fingern freiwillig den Griff der Hand öffnet, wo ein Verirrter im Schnee sich hinlegt wie ein Kind, wo ein Verfolgter mit brennenden Flanken stehen bleibt. Sie halten sich nicht mehr mit aller Kraft ab von unten, sie sinken ein wenig ein und sind in diesem Augenblick ganz menschlich. Sofort werden sie an einer neuen Stelle gefasst, höher oben am Bein oder hinten am Leib oder am Ende eines Flügels.
Wenn sie die seelische Erschöpfung überwunden haben und nach einer kleinen Weile den Kampf um ihr Leben wieder aufnehmen, sind sie bereits in einer ungünstigen Lage fixiert, und ihre Bewegungen werden unnatürlich. Dann liegen sie mit gestreckten Hinterbeinen auf den Ellbogen gestemmt und suchen sich zu heben. Oder sie sitzen auf der Erde, aufgebäumt, mit ausgestreckten Armen, wie Frauen, die vergeblich ihre Hände aus den Fäusten eines Mannes winden wollen. Oder sie liegen auf dem Bauch, mit Kopf und Armen voraus, wie im Lauf gefallen, und halten nur noch das Gesicht hoch. Immer aber ist der Feind bloss passiv und gewinnt bloss von ihren verzweifelten, verwirrten Augenblicken. Ein Nichts, ein Es zieht sie hinein. So langsam, dass man dem kaum zu folgen vermag, und meist mit einer jähen Beschleunigung am Ende, wenn der letzte innere Zusammenbruch über sie kommt. Sie lassen sich dann plötzlich fallen, nach vorne aufs Gesicht, über die Beine weg; oder seitlich, alle Beine von sich gestreckt; oft auch auf die Seite, mit den Beinen rückwärts rudernd. So liegen sie da. Wie gestürzte Aeroplane, die mit einem Flügel in die Luft ragen. Oder wie krepierte Pferde. Oder mit unendlichen Gebärden der Verzweiflung. Oder wie Schläfer. Noch am nächsten Tag wacht manchmal eine auf, tastet eine Weile mit einem Bein oder schwirrt mit dem Flügel. Manchmal geht solch eine Bewegung über das ganze Feld, dann sinken sie alle noch ein wenig tiefer in ihren Tod. Und nur an der Seite des Leibs, in der Gegend des Beinansatzes, haben sie irgend ein ganz kleines, flimmerndes Organ, das lebt noch lange. Es geht auf und zu, man kann es ohne Vergrösserungsglas nicht bezeichnen, es sieht wie ein winziges Menschenauge aus, das sich unaufhörlich öffnet und schliesst.
In der Villa Borghese in Rom steht ein hoher Baum ohne Zweige und Rinde. Er ist so kahl wie ein Schädel, den Sonne und Wasser blank geschält haben, und gelb wie ein Skelett. Er steht ohne Wurzeln aufrecht und ist tot, und wie ein Mast in den Zement einer ovalen Insel gepflanzt, die so gross ist wie ein kleiner Flussdampfer und durch einen glatt betonierten Graben vom Königreich Italien getrennt wird. Dieser Graben ist gerade so breit und an der Aussenwand so tief, dass ein Affe ihn weder durchklettern noch überspringen kann. Von aussen herein ginge es wohl; aber zurück geht es nicht.
Der Stamm in der Mitte bietet sehr gute Griffe dar und lässt sich, wie Touristen so etwas ausdrücken, flott und genussfroh durchklettern. Oben aber laufen wagrechte, lange, starke Aeste von ihm aus; und wenn man Schuhe und Strümpfe auszöge und mit einwärts gestellter Ferse die Sohlen fest an die Rundung des Astes schmiegte und mit den voreinander greifenden Händen auch recht fest zugriffe, müsste man gut an das Ende eines dieser von der Sonne gewärmten langen Aeste gelangen können, die sich über den grünen Straussfedern der Pinienwipfel hinstrecken.
Diese wundervolle Insel wird von drei Familien von verschiedener Mitgliederzahl bewohnt. Den Baum bevölkern etwa fünfzehn sehnige, bewegliche Burschen und Mädchen, die ungefähr die Grösse eines vierjährigen Kindes haben; am Fusse des Baumes aber lebt in dem einzigen Gebäude der Insel, einem Palast von Form und Grösse einer Hundehütte, ein Ehepaar weit mächtigerer Affen mit einem ganz kleinen Sohne. Das ist das Königspaar der Insel und der Kronprinz. Nie kommt es vor, dass sich die Alten in der Ebene weit von ihm entfernen; wächterhaft regungslos sitzen sie rechts und links von ihm und blicken geradeaus an ihren Schnauzen vorbei ins Weite. Nur einmal in jeder Stunde erhebt sich der König und besteigt den Baum zu einem inspizierenden Rundgang. Langsam schreitet er dann die Aeste entlang, und es scheint nicht, dass er bemerken will, wie ehrfürchtig und misstrauisch alles zurückweicht und sich — um Hast und Aufsehen zu vermeiden — seitlings vor ihm herschiebt, bis das Ende des Astes kein Entweichen mehr zulässt und nur ein lebensgefährlicher Absprung auf den harten Zement übrigbleibt. So schreitet der König, einen nach dem anderen, die Aeste ab, und die gespannteste Aufmerksamkeit kann nicht unterscheiden, ob sein Gesicht dabei die Erfüllung einer Herrscherpflicht oder einer Terrainkur ausdrückt, bis alle Aeste entleert sind und er wieder zurückkehrt. Auf dem Dache des Hauses sitzt inzwischen der Kronprinz allein, denn auch die Mutter entfernt sich merkwürdigerweise jedesmal zur gleichen Zeit, und durch seine dünnen, weit abstehenden Ohren scheint korallenrot die Sonne. Selten kann man etwas so Dummes und Klägliches dennoch von einer unsichtbaren Würde umwallt sehen wie diesen jungen Affen. Einer nach dem anderen kommen die zur Erde gejagten Baumaffen vorbei und könnten ihm den dünnen Hals mit einem Griff abdrehen, denn sie sind sehr missmutig, aber sie machen einen Bogen um ihn und erweisen ihm alle Ehrerbietung und Scheu, die seiner Familie zukommt.
Es braucht längere Zeit, ehe man bemerkt, dass ausser diesen ein geordnetes Leben führenden Wesen noch andere von der Insel beherbergt werden. Verdrängt von der Oberfläche und der Luft, lebt in dem Graben ein zahlreiches Volk kleiner Affen. Wenn sich einer von ihnen oben auf der Insel nur zeigt, wird er schon von den Baumaffen unter schmerzlichen Züchtigungen wieder in den Graben gescheucht. Wenn das Mahl angerichtet wird, müssen sie scheu beiseite sitzen, und erst wenn alle satt sind und die meisten schon auf den Aesten ruhen, ist es ihnen erlaubt, sich zu den Küchenabfällen zu stehlen. Selbst das, was ihnen zugeworfen wird, dürfen sie nicht berühren. Denn es kommt oft vor, dass ein böser Bursche oder ein scherzhaftes Mädchen, obgleich sie blinzelnd Verdauungsbeschwernis heucheln, nur darauf warten, und vorsichtig von ihrem Ast heruntergleiten, sobald sie merken, dass die Kleinen es sich ungebührlich wohlergehen lassen. Schon huschen da die wenigen, die sich auf die Insel gewagt haben, schreiend in den Graben zurück; und mengen sich zwischen die anderen; und das Klagen hebt an: und jetzt drängt sich alles zusammen, so dass eine Fläche von Haar und Fleisch und irren, dunklen Augen sich an der abseitigen Wand emporhebt wie Wasser in einem geneigten Bottich. Der Verfolger geht aber nur den Rand entlang und schiebt die Woge von Entsetzen vor sich her. Da erheben sich die kleinen schwarzen Gesichter und werfen die Arme in die Höhe und strecken die Handflächen abwehrend vor den bösen fremden Blick, der vom Rande herabsieht. Und allmählich heftet dieser Blick sich an einem fest; der rückt vor und zurück, und fünf andere mit ihm, die noch nicht unterscheiden können, welcher das Ziel dieses langen Blickes ist; aber die weiche, vom Schreck gelähmte Menge lässt sie nicht vom Platze. Dann nagelt der lange gleichgültige Blick den zufälligen einen an; und nun wird es ganz unmöglich, sich so zu beherrschen, dass man weder zuviel noch zuwenig Angst zeigt: und von Augenblick zu Augenblick wächst die Verfehlung an, während sich ruhig eine Seele in eine andere bohrt, bis der Hass da ist, und der Sprung losschnellen kann, und ein Geschöpf ohne Halt und Scham unter Peinigungen wimmert. Mit befreitem Geschrei rasen da die anderen auseinander, den Graben entlang; sie flackern lichtlos durcheinander wie die besessenen Seelen im Fegefeuer, und sammeln sich freudig schnatternd an der entferntesten Stelle.
Wenn alles vorbei ist, steigt der Verfolger mit federnden Griffen den grossen Baum hinan bis zum höchsten Ast, schreitet bis an dessen äusserstes Ende hinaus, setzt sich ruhig zurecht, und verharrt ernst, aufrecht und ewig lange, ohne sich zu regen. Der Strahl seines Blickes ruht auf den Wipfeln des Pincio und der Villa Borghese, quer darüber hin; und wo er die Gärten verlässt, liegt unter ihm die grosse gelbe Stadt, über der er, noch in die grüne, schimmernde Wolke der Baumwipfel gehüllt, achtlos in der Luft schwebt.
Am Strand haben sie mit den Händen eine kleine Kute ausgehoben, und dahinein werden aus einem Sack mit schwarzer Erde die dicken Regenwürmer geschüttet; die lockere schwarze Erde und das Gewürm ergeben eine mulmige, ungewisse, anziehende Hässlichkeit im blanken Sande. Neben diese wird eine sehr ordentliche Holzlade gelegt. Sie sieht aus wie eine lange, nicht sehr breite Tischlade oder ein Zahlbrett und ist voll von sauberem Garn; und auf die andere Seite der Kute wird noch eine solche, aber leere Lade gelegt.
Die hundert Haken, die am Garn der einen Lade sitzen, sind manierlich auf eine kleine eiserne Stange an deren Ende gereiht und werden nun einer nach dem anderen heruntergenommen und in die leere Lade gebettet, deren Ende bloss mit reinem, nassem Sand gefüllt ist. Eine sehr ordentliche Beschäftigung. Zwischendurch sorgen aber vier lange, mager-kräftige Hände so sorgfältig wie Pflegerinnen dafür, dass auf jede Angel ein Wurm kommt.
Die Männer, die das tun, hocken auf Knien und Fersen zu zweien im Sande, mit mächtigen, knochigen Rücken, langen, gütigen Gesichtern, und einer Pfeife im Mund, und sie wechseln unverständliche Worte, die ebenso sacht aus ihnen hervorkommen wie die Bewegungen ihrer Hände. Der eine nimmt einen fetten Regenwurm mit zwei Fingern, holt die gleichen zwei Finger der anderen Hand hinzu und reisst ihn in drei Stücke, so gemächlich und genau, wie ein Schuster das Papierband abknipst, nachdem er Mass genommen; der andere stülpt dann diese sich bäumenden Stücke sanft und achtsam über die Angel. Ist das den Würmern widerfahren, so werden sie mit Wasser gelabt und in der Lade mit dem weichen Sand in kleine, zierliche, nebeneinander liegende Betten gebracht, wo sie sterben können, ohne gleich ihre Frische zu verlieren.
Es ist ein stilles, feines Tun, wobei die groben Fischerfinger leise wie auf Fussspitzen gehn. Man muss sehr auf die Sache achten. Bei schönem Wetter wölbt sich der dunkelblaue Himmel darüber, und die Möwen kreisen hoch über Land wie weisse Schwalben.
Es gab einstmals eine bessere Zeit, wo man auf einem holzsteifen Pferdchen pedantisch wiederkehrend im Kreise ritt und mit einem kurzen Stöckchen nach kupfernen Ringen stiess, die ein Holzarm ruhig hinhielt. Diese Zeit ist vorbei. Heute trinken die Fischerjungen Sekt mit Kognak. Und es hängen an dreissigmal-vier eisernen Kettchen kleine Schaukelbrettchen im Kreis, ein Kreis innen und einer aussen, so dass man sich, wenn man nebeneinander fliegt, an Hand oder Bein oder an den Schürzen fassen kann und dazu fürchterlich schreit. Dieses Ringelspiel steht auf dem kleinen Platz mit dem Ehrenstein für die gefallenen Krieger; neben der alten Linde, wo sonst die Gänse sind. Es hat einen Motor, der es zeitgemäss antreibt, und kalkweisse Scheinwerfer über vielen kleinen warmen Lichtern. Der Wind wirft einem, wenn man in der Dunkelheit nähertappt, Fetzen von Musik, Leuchten, Mädchenstimmen und Lachen entgegen. Das Orchestrion brüllt schluchzend. Die Eisenketten kreischen. Man fliegt im Kreis, aber ausserdem, wenn man will, aufwärts oder hinab, auswärts und einwärts, einander in den Rücken oder zwischen die Beine. Die Burschen peitschen ihre Schaukeln an und kneifen die Mädel, an denen sie vorbeifliegen, ins Fleisch oder reissen die Aufschreienden mit sich; auch die Mädel haschen einander im Flug, und dann schreien sie zu zweit erst recht so, als ob eine von ihnen ein Mann wäre. So schwingen sie alle durch die Kegel der Helle ins Dunkle und werden plötzlich wieder in die Helligkeit gestürzt; anders gepaart, mit verkürzten Leibern und schwarzen Mündern, rasend bestrahlte Kleiderbündel, fliegen sie auf dem Rücken oder auf dem Bauch oder schräg gegen Himmel und Hölle. Nach einer ganz kleinen Weile dieses wildesten Galopps fällt aber das Orchestrion rasch wieder in Trab, dann in Schritt zurück, wie ein altes Manegepferd, und steht bald still. Der Mann mit dem Zinnteller geht im Kreis, aber man bleibt sitzen oder wechselt höchstens die Mädchen. Und es kommen nicht wie in der Stadt ein paar Tage lang zu dem Ringelspiel wechselnde Menschen; denn es fliegen hier immer die gleichen, vom Einbruch der Dunkelheit an, zwei bis drei Stunden, durch alle acht oder vierzehn Tage hindurch, so lange bis der Mann mit dem Zinnteller ein Nachlassen der Lust spürt und eines Morgens weitergezogen ist.
Ein angesehener Psychologe hat den Satz niedergeschrieben: „... denn das Tier kennt kein Lachen und Lächeln.”
Das ermutigt mich zu erzählen, dass ich einmal ein Pferd lachen gesehn habe. Ich dachte bisher, das könne man alle Tage behaupten, und getraute mich nicht, Aufhebens davon zu machen; aber wenn es etwas so Kostbares ist, will ich gern ausführlich sein.
Also es war vor dem Krieg; es könnte ja sein, dass seither die Pferde nicht mehr lachen. Das Pferd war an einen Schilfzaun angebunden, der einen kleinen Hof umgrenzte. Die Sonne schien. Der Himmel war dunkelblau. Die Luft äusserst milde, obwohl man Februar schrieb. Und im Gegensatz zu diesem göttlichen Komfort fehlte aller menschliche: Mit einem Wort, ich befand mich bei Rom, auf einem Landweg vor den Toren, an der Grenze zwischen den bescheidenen Ausläufern der Stadt und der beginnenden bäuerlichen Campagna.
Auch das Pferd war ein Campagnapferd: jung und zierlich, von dem wohlgeformten kleinen Schlag, der nichts Ponyartiges hat, auf dem ein grosser Reiter aber aussieht, wie ein Erwachsener auf einem Puppenstühlchen. Es wurde von einem lustigen Burschen gestriegelt, die Sonne schien ihm aufs Fell, und in den Achseln war es kitzlig. Nun hat ein Pferd sozusagen vier Achseln und ist darum vielleicht doppelt so kitzlig wie der Mensch. Ausserdem schien aber dieses Pferd auch noch je eine besonders empfindliche Stelle an der Innenseite der Schenkel zu haben, und jedesmal wenn es dort berührt wurde, konnte es sich vor Lachen nicht halten.
Schon wenn sich der Striegel von weitem näherte, legte es die Ohren zurück, wurde unruhig, wollte mit dem Maul hinfahren und entblösste, wenn es das nicht konnte, die Zähne. Der Striegel aber marschierte lustig weiter, Strich vor Strich, und die Lippen gaben nun immer mehr das Gebiss frei, indes sich die Ohren immer weiter zurücklegten und das Pferdchen von einem Bein auf das andere trat.
Und plötzlich begann es zu lachen. Es fletschte die Zähne. Es suchte mit der Schnauze den Burschen, der es kitzelte, so heftig es konnte, wegzustossen; in der gleichen Weise, wie das eine Bauernmagd mit der Hand tut, und ohne dass es nach ihm gebissen hätte. Es trachtete auch, sich zu drehen und ihn mit dem ganzen Körper fortzudrängen. Aber der Knecht blieb im Vorteil. Und wenn er mit dem Striegel in der Nähe der Achsel anlangte, hielt es das Pferd in keiner Weise mehr aus; es wand sich auf den Beinen, schauderte am ganzen Leib und zog das Fleisch von den Zähnen zurück, so weit es nur konnte. Es benahm sich dann sekundenlang genau so wie ein Mensch, den man dermassen kitzelt, dass er nicht mehr lachen kann.
Der gelehrte Zweifler wird einwenden, dass es dann eben doch nicht hat lachen können. Darauf ist ihm zu antworten, dass dies insofern richtig sei, als der von beiden, der jedesmal vor Lachen wieherte, der Stallbursche war. Das scheint in der Tat nur ein menschliches Vermögen zu sein, vor Lachen wiehern zu können. Aber trotzdem spielten die beiden sichtlich in Uebereinstimmung, und sobald sie wieder von vorn begannen, konnte gar kein Zweifel daran bestehen, dass auch das Pferd lachen wollte und schon auf das wartete, was kommen werde.
So schränkt sich der gelehrte Zweifel an der Fähigkeit des Tieres darauf ein, dass es nicht über Witze zu lachen vermag.
Das aber ist dem Pferd nicht immer zu verübeln.
Schob rasch den Vorhang zur Seite: — die sanfte Nacht! Ein mildes Dunkel liegt im Fensterausschnitt des harten Zimmerdunkels wie ein Wasserspiegel im viereckigen Bassin. Ich sehe es wohl gar nicht; aber es ist wie im Sommer, wenn das Wasser so warm ist wie die Luft und die Hand aus dem Boot hängt. Es wird sechs Uhr morgens am ersten November.
Gott hat mich geweckt. Ich bin aus dem Schlaf geschossen. Ich hatte gar keinen anderen Grund aufzuwachen. Ich bin losgerissen worden wie ein Blatt aus einem Buch. Die Mondsichel liegt zart wie eine goldene Augenbraue auf dem blauen Blatt der Nacht.
Aber auf der Morgenseite am anderen Fenster wird es grünlich. Papageienfedrig. Schon laufen auch die faden rötlichen Streifen des Sonnenaufgangs herauf, aber noch ist alles grün, blau und ruhig. Ich springe zum ersten Fenster zurück: Liegt die Mondsichel noch da? Sie liegt da, als ob es die tiefste Stunde des nächtlichen Geheimnisses wäre. So überzeugt ist sie von der Wirklichkeit ihrer Magie, als ob sie Theater spielte. (Nichts Komischeres gibt es, als wenn man aus vormittägigen Strassen in den Abersinn einer Theaterprobe tritt.) Links pulst schon die Strasse, rechts probt die Mondsichel.
Ich entdecke seltsame Brüder, die Schornsteine. In Gruppen zu dritt, zu fünf, zu sieben, oder auch allein, stehen sie auf den Dächern; wie Bäume in der Ebene. Der Raum windet sich gleich einem Fluss zwischen ihnen in die Tiefe. Ein Uhu schleift zwischen ihnen nach Hause; wahrscheinlich war's eine Krähe oder Taube. Die Häuser stehn kreuz und quer; seltsame Umrisse, abstürzende Wände; gar nicht nach Strassen geordnet. Die Stange am Dach mit den sechsunddreissig Porzellanköpfen und den zwölf Verspannungsdrähten, die ich verständnislos zähle, steht vor dem Morgenhimmel als ein völlig unerklärliches, geheimnisvolles oberstes Gebilde. Ich bin jetzt ganz wach, aber wohin ich mich auch wende, gleitet der Blick um Fünfecke, Siebenecke und steile Prismen: Wer bin dann ich? Die Amphore am Dach mit eisengegossener Flamme, tagsüber eine lächerliche Ananas, verächtliches Geschöpf schlechten Geschmacks, stärkt in dieser Einsamkeit mein Herz wie eine frische Menschenspur.
Endlich kommen zwei Beine durch die Nacht. Der Schritt zweier Frauenbeine und das Ohr: Nicht schauen will ich. Mein Ohr steht auf der Strasse wie ein Eingang. Niemals werde ich mit einer Frau so vereint sein wie mit dieser unbekannten, deren Schritte jetzt immer tiefer in meinem Ohr verschwinden.
Dann zwei Frauen. Die eine filzig schleichend, die andere stapfend mit der Rücksichtslosigkeit des Alters. Ich sehe hinab. Schwarz. Seltsame Formen haben die Kleider alter Frauen. Die da streben zur Kirche. Längst ist ja die Seele um diese Stunde schon in Zucht genommen, und ich will nun nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Zur Geschichte des Schafes: der Mensch findet heute das Schaf dumm. Aber Gott hat es geliebt. Er hat die Menschen wiederholt mit Schafen verglichen. Sollte Gott ganz Unrecht haben?
Zur Psychologie des Schafes: der sichtbar gestaltete Ausdruck hoher Zustände ist dem der Blödheit nicht unähnlich.
In der Heide bei Rom: Sie hatten die langen Gesichter und die zierlichen Schädel von Märtyrern. Ihre schwarzen Socken und Kapuzen an dem weissen Fell gemahnten an Todesbrüder und Fanatiker.
Ihre Lippen, wenn sie über dem kurzen, spärlichen Gras suchten, zitterten nervös und stäubten den Ton einer erregten Metallsaite in die Erde. Schlossen sich ihre Stimmen zum Chor, so klang es wie das klagende Gebet der Prälaten im Dom. Sangen aber ihrer viele, so bildeten sie einen Männer-, Frauen- und Kinderchor. In sanften Rundungen hoben und senkten sie die Stimmen; wie ein Wanderzug im Dunkel war es, den in jeder zweiten Sekunde das Licht traf, und es standen dann die Stimmen der Kinder auf einem immer wiederkehrenden Hügel, während die Männer das Tal durchschritten. Tausendmal schneller rollten Tag und Nacht durch ihren Gesang und trieben die Erde dem Ende entgegen. Manchmal warf sich eine einzelne Stimme empor oder stürzte hinab in die Angst der Verdammnis. In den weissen Ringeln ihrer Haare wiederholten sich die Wolken des Himmels. Es sind uralte katholische Tiere, religiöse Begleiter des Menschen.
Noch einmal im Süden: Der Mensch ist zwischen ihnen doppelt so gross als sonst und ragt wie der spitze Turm einer Kirche gegen Himmel. Unter unseren Füssen war die Erde braun, und das Gras wie eingekratzte graugrüne Striche. Die Sonne glänzte schwer am Meer wie in einem Spiegel von Blei. Boote waren beim Fischfang wie zu Sankt Petri Zeiten. Das Kap schwang den Blick wie ein Laufbrett zum Himmel und brach lohgelb und weiss, wie zur Zeit des verirrten Odysseus, ins Meer.
Ueberall: Schafe sind ängstlich und blöd, wenn der Mensch naht; sie haben Schläge und Steinwürfe des Uebermuts kennengelernt. Aber wenn er ruhig stehen bleibt und in die Weite starrt, vergessen sie ihn. Sie stecken dann die Köpfe zusammen und bilden, zehn oder fünfzehn, einen Strahlenkreis, mit dem grossen, lastenden Mittelpunkt der Köpfe und den andersfarbigen Strahlen der Rücken. Die Schädeldecken pressen sie fest gegeneinander. So stehen sie, und das Rad, das sie bilden, regt sich stundenlang nicht. Sie scheinen nichts fühlen zu wollen als den Wind und die Sonne, und zwischen ihren Stirnen den Sekundenschlag der Unendlichkeit, der im Blut pocht und sich von einem Kopf zum andern mitteilt wie das Klopfen von Gefangenen an Gefängnismauern.
Irgendwo hinten am Pincio, oder schon in Villa Borghese, ruhen zwei Sarkophagdeckel aus unedlem Stein zwischen den Büschen im Freien. Sie stellen keine Kostbarkeit dar, sie liegen umher. Lang hingestreckt lagert auf ihnen das Ehepaar, das sich einst zum letzten Andenken hat abbilden lassen. Man sieht viele solcher Sarkophagdeckel in Rom; aber in keinem Museum und in keiner Kirche machen sie solchen Eindruck wie hier unter den Bäumen, wo sich die Figuren wie auf einer Landpartie ausgestreckt haben und eben aus einem kleinen Schlaf erwacht zu sein scheinen, der zweitausend Jahre gewährt hat.
Sie haben sich auf den Ellbogen gestützt und sehen einander an. Es fehlt nur der Korb mit Käse, Früchten und Wein zwischen ihnen.
Die Frau trägt eine Frisur mit kleinen Locken, — gleich wird sie sie ordnen, nach der letzten Mode vor dem Einschlafen. Und sie lächeln einander an; lang, sehr lang. Du siehst weg: und noch immer tun sie es ohne Ende.
Dieser treue, brave, bürgerliche, verliebte Blick hat die Jahrhunderte überstanden; er ist im alten Rom ausgesandt worden und kreuzt heute dein Auge.
Wundere dich nicht darüber, dass er vor dir andauert; dass sie nicht wegsehen oder die Augen senken: sie werden nicht steinern dadurch, sondern menschlich.
Die Dame war gewiss erst am gestrigen Tag aus der Glasscheibe eines grossen Geschäfts herausgetreten; niedlich war ihr Puppengesichtchen; man hätte mit einem Löffelchen darin umrühren mögen, um es in Bewegung zu sehn. Aber man trug selbst Schuhe mit honigglatten, wachswabendicken Sohlen zur Schau, und Beinkleider, wie mit Lineal und weisser Kreide entworfen. Man entzückte sich höchstens am Wind. Er presste das Kleid an die Dame und machte ein jämmerliches kleines Gerippe aus ihr, ein dummes Gesichtchen mit einem ganz kleinen Mund. Dem Zuschauer machte er natürlich ein kühnes Gesicht.
Kleine Hasen leben ahnungslos neben den weissen Bügelfalten und den teetassendünnen Röcken. Schwarzgrün wie Lorbeer dehnt sich der Heroismus der Insel um sie. Möwenscharen nisten in den Mulden der Heide wie Beete voll weisser Schneeblüten, die der Wind bewegt. Der kleine, weisse, langhaarige Terrier der kleinen, mit einem Pelzkragen geschmückten weissen Dame stöbert durch das Kraut, die Nase fingerbreit über der Erde; weit und breit ist auf dieser Insel kein anderer Hund zu wittern, nichts ist da als die ungeheure Romantik vieler kleiner, unbekannter, die Insel durchkreuzender Fährten. Riesengross wird der Hund in dieser Einsamkeit, ein Held. Aufgeregt, messerscharf gibt er Laut, die Zähne blecken wie die eines Seeungeheuers. Vergebens spitzt die Dame das Mündchen, um zu pfeifen; der Wind reisst ihr das kleine Schällchen, das sie hervorbringen möchte, von den Lippen.
Mit solch einem stichligen Fox habe ich schon Gletscherwege gemacht; wir Menschen glatt auf den Skiern, er blutend, bis zum Bauch einbrechend, vom Eis zerschnitten, und dennoch voll wilder, nie ermattender Seligkeit. Jetzt hat dieser hier etwas aufgespürt; die Beine galoppieren wie Hölzchen, der Laut wird ein Schluchzen. Merkwürdig ist an diesem Augenblick, wie sehr solche flach auf dem Meer schwebende Insel an die grossen Kare und Tafeln im Hochgebirge erinnert. Die schädelgelben, vom Wind geglätteten Dünen sind wie Felsenkränze aufgesetzt. Zwischen ihnen und dem Himmel ist die Leere der unvollendeten Schöpfung. Licht leuchtet nicht über dies und das, sondern schwemmt wie aus einem versehentlich umgestossenen Eimer über alles. Man ist jedesmal erstaunt, dass Tiere diese Einsamkeit bewohnen. Sie gewinnen etwas Geheimnisvolles; ihre kleinen weichwolligen und -fedrigen Brüste bergen den Funken des Lebens. Es ist ein kleiner Hase, den der Fox vor sich hertreibt. Ich denke: eine kleine, wetterharte Bergart, nie wird er ihn erreichen. Eine Erinnerung aus der Geographiestunde wird lebendig: Insel — eigentlich stehen wir da auf der Kuppe eines hohen Meerbergs? Wir, zehn bis fünfzehn lungernd zusehende Badegäste in farbigen Tollhausjacken, wie sie die Mode vorschreibt. Ich ändere meinen Gedanken noch einmal ab und sage mir, das Gemeinsame wäre nur die unmenschliche Verlassenheit: Verstört wie ein Pferd, das den Reiter abgeworfen hat, ist die Erde überall dort, wo der Mensch in der Minderheit bleibt; ja, gar nicht gesund, sondern wahrhaft geisteskrank erweist sich die Natur im Hochgebirge und auf kleinen Inseln. Aber zu unserem Erstaunen hat sich die Entfernung zwischen dem Hund und dem Hasen verringert; der Fox holt auf, man hat so etwas noch nie gesehen, ein Hund, der den Hasen einholt! Das wird der erste grosse Triumph der Hundewelt! Begeisterung beflügelt den Verfolger, sein Atem jauchzt in Stössen, es ist keine Frage mehr, dass er binnen wenigen Sekunden seine Beute eingeholt haben wird. Da schlägt der Hase den Haken. Und da erkenne ich an etwas Weichem, weil der harte Riss diesem Haken fehlt, es ist kein Hase, es ist nur ein Häschen, ein Hasenkind.
Ich fühle mein Herz; der Hund hat beigedreht; er hat nicht mehr als fünfzehn Schritte verloren; in wenigen Augenblicken ist die Hasenkatastrophe da. Das Kind hört den Verfolger hinter dem Schweifchen, es ist müde. Ich will dazwischenspringen, aber es dauert so lange, bis der Wille hinter den Bügelfalten in die glatten Sohlen fährt; oder vielleicht war der Widerstand schon im Kopf. Zwanzig Schritte vor mir — ich müsste phantasiert haben, wenn das Häschen nicht verzagt stehen blieb und seinen Nacken dem Verfolger hinhielt. Der schlug seine Zähne hinein, schleuderte es ein paarmal hin und her, dann warf er es auf die Seite und grub sein Maul zwei-, dreimal in Brust und Bauch.
Ich sah auf. Lachende, erhitzte Gesichter standen umher. Es war plötzlich wie vier Uhr morgens geworden nach durchtanzter Nacht. Der erste von uns, der aus dem Blutrausch erwachte, war der kleine Fox. Er liess ab, schielte misstrauisch zur Seite, zog sich zurück; nach wenigen Schritten fiel er in kurzen, eingezogenen Galopp, als erwarte er, dass ihm ein Stein nachfliegen werde. Wir andern aber waren bewegungslos und verlegen. Eine schale Atmosphäre menschenfresserischer Worte umgab uns, wie „Kampf ums Dasein” oder „Grausamkeit der Natur”. Solche Gedanken sind wie die Untiefen eines Meeresbodens, aus ungeheuerer Tiefe emporgestiegen und seicht. Am liebsten wäre ich zurückgegangen und hätte die sinnlose kleine Dame geschlagen. Das war eine aufrichtige Empfindung, aber keine gute, und so schwieg ich und fiel damit in das allgemeine, unsichere, sich nun bildende Schweigen ein. Endlich nahm ein hochgewachsener, behaglicher Herr aber den Hasen in beide Hände, zeigte seine Wunden den Hinzugetretenen und trug die dem Hund abgejagte Leiche wie einen kleinen Sarg in die Küche des nahen Hotels. Dieser Mann stieg als erster aus dem Unergründlichen und hatte den festen Boden Europas unter den Füssen.
Diese winzige Geschichte, die eigentlich nur eine Pointe, eine einzige kleine Spitze ist, und gar keine Geschichte, ereignete sich im Weltkrieg. Auf der ladinischen Alpe Fodara Vedla, tausend und mehr Meter über bewohnter Gegend und noch viel weiter abseits von ihr: Dort hatte jemand im Frieden eine Bank hingestellt.
Diese Bank stand auch im Krieg unversehrt. In einer weiten, hellen Mulde. Die Schüsse zogen über sie hin. Ruhig wie Schiffe, wie Scharen von Fischen. Sie schlugen weit hinten ein, wo nichts und niemand war, und verwüsteten dort mit eiserner Beharrlichkeit seit Monaten einen unschuldigen Abhang. Niemand wusste mehr warum. Ein Irrtum der Kriegskunst? Eine Laune der Kriegsgötter? Diese Bank war dem Krieg in Verlust geraten. Und die Sonne schickte den ganzen Tag Licht aus unendlichen Höhen ihr zur Gesellschaft.
Wer auf dieser Bank sass, sass fest. Der Mund ging nicht mehr auf. Die Glieder schliefen einen getrennten Schlaf wie Männer, die sich eng beisammen niedergeworfen und einander im gleichen Augenblick todmüd vergessen haben. Selbst das Atmen ward fremd; wurde ein Vorgang der Natur; nein, wurde nicht „Atem der Natur”, sondern: wenn man bemerkte, dass man atme, — diese gleichmässige, willenlose Bewegung der Brust! — etwas der Ohnmacht des Menschen vom blauen Ungeheuer Luft Angetanes wie eine Schwangerschaft.
Das Gras ringsum war noch vom Jahr vorher; schneebleich und hässlich; so blutleer, als ob man einen grossen Stein davon weggewälzt hätte. In Nähe und Ferne gab es Buckel und Mulden ohne Sinn und Zahl, Knieholz und Alpe. Aus dieser bewegungslosen Unruhe, von dieser zu gelbgrünem Schaum zerfallenen Brandung des Bodens wurde der Blick immer wieder an dem hohen, roten Felsenriff emporgeworfen, das die Landschaft vorne abschloss, und rann, in hundert Blicke zersplittert, davon wieder ab. Es war nicht übermässig hoch, dieses Felsstück, aber darüber war nur noch das leere Licht. So wüst war das und so unmenschlich herrlich wie in den Schöpfungseitaltern.
Eine kleine Maus hatte sich nahe der Bank, die selten besucht wurde, ein System von Laufgräben angelegt. Maustief, mit Löchern zum Verschwinden und anderswo wieder aufzutauchen. Sie huschte darin im Kreise, stand, huschte im Kreis weiter. Aus dem Grollen der Luft tauchte eine ungeheure Stille auf. Die Menschenhand sank von der Lehne der Bank. Ein Auge, so klein und schwarz wie ein Spennadelknopf richtete sich dahin. Und man hatte einen Augenblick lang ein so sonderbar verkehrtes Gefühl, dass man wirklich nicht mehr recht wusste, ob sich dieses kleine, lebendige, schwarze Auge drehe oder ob sich die ungeheure Unbeweglichkeit der Berge rühre. Man wusste nicht mehr: vollzog sich an einem der Wille der Welt oder der dieser Maus, der aus einem winzigen, einsamen Auge leuchtete. Man wusste nicht mehr: war Kampf oder herrschte schon Ewigkeit.
So hätte sich mit dem, was man nicht zu kennen fühlte, lange und nach Belieben fortfahren lassen; aber das ist schon die ganze kleine Geschichte, denn sie war inzwischen jedesmal schon zu Ende gegangen, ehe man noch genau sagen konnte, wo sie aufhörte.
Ich habe mich vorzeitig zu Bett gelegt, ich fühle mich ein wenig erkältet, ja vielleicht habe ich Fieber. Ich sehe die Zimmerdecke an, oder vielleicht ist es der rötliche Vorhang über der Balkontür des Hotelzimmers, was ich sehe; es ist schwer zu unterscheiden.
Als ich gerade damit fertig war, hast auch du angefangen, dich auszukleiden. Ich warte. Ich höre dich nur.
Unverständliches Auf- und Abgehn; in diesem Teil des Zimmers, in jenem. Du kommst, um etwas auf dein Bett zu legen; ich sehe nicht hin, aber was könnte es sein? Du öffnest inzwischen den Schrank, tust etwas hinein oder nimmst etwas heraus; ich höre ihn wieder schliessen. Du legst harte, schwere Gegenstände auf den Tisch, andre auf die Marmorplatte der Kommode. Du bist unablässig in Bewegung. Dann erkenne ich die bekannten Geräusche des Oeffnens der Haare und des Bürstens. Dann Wasserschwälle in das Waschbecken. Vorher schon das Abstreifen von Kleidern; jetzt wieder; es ist mir unverständlich, wieviel Kleider du ausziehst. Nun bist du aus den Schuhen geschlüpft. Danach aber gehn deine Strümpfe auf dem weichen Teppich ebenso unablässig hin und her wie vordem die Schuhe. Du schenkst Wasser in Gläser; drei-, viermal hintereinander, ich kann mir gar nicht zurechtlegen, wofür. Ich bin in meiner Vorstellung längst mit allem Vorstellbaren zu Ende, während du offenbar in der Wirklichkeit immer noch etwas Neues zu tun findest. Ich höre dich das Nachthemd anziehn. Aber damit ist noch lange nicht alles vorbei. Wieder gibt es hundert kleine Handlungen. Ich weiss, dass du dich meinethalben beeilst; offenbar ist das alles also notwendig, gehört zu deinem engsten Ich, und wie das stumme Gebaren der Tiere vom Morgen bis zum Abend ragst du breit, mit unzähligen Griffen, von denen du nichts weisst, in etwas hinein, wo du nie einen Hauch von mir gehört hast!
Zufällig fühle ich es, weil ich Fieber habe und auf dich warte.
Mein Zimmer war sonderbar. Pompejanisch rot mit türkischen Vorhängen; die Möbel hatten Risse und Fugen, in denen sich der Staub wie kleine Geröllrinnen und -bänder hinzog. Es war feiner Staub, unwirkliche Verkleinerung von Geröll; aber er war so ungeheuer einfach da, und in kein Geschehen mehr verflochten, dass er an die grosse Einsamkeit des Hochgebirges erinnerte, die nur vom Steigen und Sinken der Flut des Lichts und der Dunkelheit bespült wird. Von solchen Erlebnissen hatte ich damals viele.
Als ich das Haus zum erstenmal betrat, war es ganz vom Gestank toter Mäuse erfüllt. In das gemeinsame Vorzimmer, das mein Zimmer von dem der Lehrerinnen trennte, warfen diese alles, was sie nicht mehr liebten oder des Aufhebens nicht mehr für wert hielten: künstliche Blumen, Speisereste, Fruchtschalen und zerrissene schmutzige Wäsche, die das Reinigen nicht mehr lohnte. Sogar mein Diener beklagte sich, als ich ihn Ordnung schaffen hiess; und doch war die eine von ihnen schöner als ein Engel, und ihre ältere Schwester war zärtlicher als eine Mutter und malte ihr die Wangen täglich mit naiven Rosenfarben, damit ihr Antlitz auch noch so schön sei wie das der Bauernmuttergottes in der kleinen Kirche. Von den kleinen Schulmädchen, die oft zu uns kamen, wurden beide geliebt; und ich lernte das verstehen, als ich einmal erkrankt war und selbst ihrer beider Güte wie warme Kräuterkissen zu fühlen bekam. Als ich aber einmal ihr Zimmer untertags betrat, um etwas zu verlangen, denn sie waren die Vermieter, lagen sie beide im Bett, und als ich mich zurückziehen wollte, sprangen sie hilfsbereit aus den Decken hervor und waren völlig bekleidet; sogar die schmutzigen Strassenschuhe hatten sie im Bett an den Füssen behalten.
Das also war die Wohnung, worin ich stand, als ich dem Begräbnis zusah; eine dicke Frau war gestorben, die schräg meinen Fenstern gegenüber auf der anderen Seite der breiten, hier etwas ausgebuchteten Reichsstrasse gelebt hatte. Am Vormittag brachten die Schreinerjungen den Sarg; es war Winter, und sie brachten ihn auf einem kleinen Handschlitten, und weil es ein schöner Vormittag war, schlitterten sie mit ihren Nagelschuhen auf der Strasse daher, und die grosse schwarze Schachtel hinter ihnen sprang von einer Seite zur anderen. Jeder, der es sah, hatte das Gefühl, was für hübsche Jungen das wären, und wartete neugierig ab, ob der Schlitten umwerfen werde oder nicht.
Nachmittags aber stand schon das letzte Geleite vor dem Haus: Zylinder und Pelzmützen, modische Hüte und winterliche Kopftücher dunkel gegen das lichte Schneegrau des Himmels. Und die Geistlichkeit kam, schwarz und rot, und gezackte weisse Hemdchen darüber, quer über den Schnee. Und ein junger, grosser, zottiger, brauner Hund sprang ihr entgegen und bellte sie an wie einen Wagen. Und wenn man so sagen darf, hatte er damit keine ganz falsche Beobachtung ausgedrückt; denn wirklich war in diesem Augenblick nicht sowohl Heiliges, noch selbst Menschliches, in den Nahenden, als vielmehr nur die schwierige Bewegung der mechanischen Seite ihrer Existenz auf dem glatten Strassenbelag.
Dann aber wurde es überirdisch. Ein ruhiger Bass stimmte ein wunderholdes, trauriges Lied an, in dem ich nur die fremden Worte für Süsse Maria verstand, ein hellbraun wie Kastanien schimmernder Bariton fiel ein, und noch eine Stimme, und ein Tenor schwang sich über alle hinweg, während zu gleicher Zeit aus dem Haus ohne Ende Frauen mit schwarzen Tüchern quollen, die Kerzen vor dem Winterhimmel blassgolden brannten und die Geräte blitzten. Da hätte man weinen mögen, aus keinem anderen Grund, als weil man bereits ein Mensch über Dreissig war.
Vielleicht auch ein wenig deshalb, weil sich hinter der Trauergesellschaft die Buben pufften. Oder weil der aufrechte junge Herr, dem der Hund gehörte, über aller Köpfe hinweg so regungslos nach den heiligen Handreichungen sah, dass man nicht wusste, warum. Einfach so ängstlich voll von Tatsachen, die nicht recht feststanden, war alles wie ein Porzellanschrank. Und wirklich konnte ich kaum noch an mich halten, wusste aber auch nicht, wohin ich mich wenden sollte, als ich, wohl durch Zufall, inmitten der Menge wieder gewahr wurde, dass der hochergriffene junge Mann eine Hand am Rücken hielt und sein grosser brauner Hund mit ihr zu spielen begann. Scherzend biss er an ihr herum und suchte sie mit seiner warmen Zunge aufzuwecken. Mit Spannung wartete ich nun ab, was sich daraus entwickeln werde. Und endlich nach geraumer Zeit, während die ganze Gestalt des jungen Mannes in unbestimmter Erhebung erstarrt blieb, machte sich die Hand hinter dem Rücken los und selbständig und begann mit dem Maul des Hundes zu spielen, ohne dass es ihr Herr wusste.
Das rückte mir die Seele wieder ins Lot, ohne dass es ein ausreichender Grund war. Sie geriet damals, in jener Umgebung, worin ich mich auszuharren zwang, leicht auch dann in Unordnung oder Ordnung, wenn kaum eine Ursache dazu vorhanden war. Angenehm-unangenehm durchströmte mich die Erwartung des Händedrucks, den mir nach dem Begräbnis meine Hausgenossinnen anbieten werden, zusammen mit einem Gläschen von ihrem verdächtigen Hausschnaps und einigen ordentlichen Worten, denen nicht zu widersprechen ist: — vielleicht, dass das Unglück die Menschen einander näherbringe, oder so ähnlich.
Wie schön seid ihr, Dienstmädchen mit den Bauernbeinen und den ruhigen Augen, von denen man nicht weiss, wundern sie sich über alles oder über nichts?! Ihr führt den Hund der Herrschaft an der Leine wie die Kuh am Strick. Denkt ihr daran, dass jetzt im Dorf die Glocken läuten, oder denkt ihr daran, dass jetzt das Kino beginnt? Sicher ist es nur, ihr fühlt auf eine geheimnisvolle Weise, dass mehr Männer zwischen zwei Ecken der Stadt leben als auf dem ganzen Land, und ihr geht in jedem Augenblick durch diese Männlichkeit, wenn sie euch auch nicht gehört, wie durch ein Kornfeld, das an die Röcke streift.
Aber denkt ihr daran, während eure Augen tun, als wüssten sie nichts, dass es ein Mann ist, den ihr an der Leine führt? Oder bemerkt ihr in keiner Weise, dass Lux ein Mann ist, dass Wolf und Amri Männer sind? Tausend Pfeile durchbohren ihr Herz bei jedem Baum oder Lichtmast. Männer ihres Geschlechts haben als ihr Zeichen den messerscharfen Geruch des Ammoniaks hinterlassen, als hätte man Schwerter in einen Baum gestossen; Kämpfe und Brüderschaften, Heldentum und Neigung, die ganze heroische Welt des Mannes entfaltet sich vor ihrer schnuppernden Vorstellungskraft! Wie heben sie das Bein mit der freien Gebärde eines kriegerischen Grusses oder dem heldischen Schwung eines mit dem Bierglas grüssenden Arms beim Kommers! Mit welchem Ernst verrichten sie ihren Dienst, der ein Trank- und Weiheopfer ist wie nur irgend eines! Und ihr, Mädchen? Verständnislos zieht ihr sie hinter euch drein. Zerrt an der Leine; gönnt ihnen nicht Zeit, ohne euch auch nur umzusehen nach ihnen; achtet ihrer nicht. Es ist ein Anblick, um Steine gegen euch zu erheben.
Brüder! Auf drei Beinen hüpft hinter diesen Mädchen Lux oder Wolf; zu stolz, zu sehr im Stolzesten verletzt, um nach Hilfe zu heulen; keines anderen Protestes fähig, als das vierte Bein eigensinnig, hartnäckig, in verzweifeltem Abschied nicht sinken zu lassen, während ihn die Leine immer weiter reisst. Welche inneren Hundeerkrankungen mögen aus solchen Augenblicken entstehen, welche verzweifelten neurasthenischen Komplexe liegen in ihnen beschlossen! Und die Hauptsache: fühlt ihr seinen traurig kollegialen Blick, den er euch zusendet, wenn ihr an solcher Szene vorbeikommt? er liebt ja auch in seiner Weise die Seele dieser verständnislosen Mädchen. Sie sind nicht herzlos; ihr Herz möchte sich erbarmen, wenn sie wüssten, was vor sich geht. Aber sie wissen es eben nicht. Und sind sie nicht gerade darum so bezaubernd, diese Trägherzigen, weil sie gar nichts von uns wissen? So spricht der Hund. Sie werden niemals unsere Welt verstehn!
Es gab einmal eine deutsche Pension in Rom. (Obwohl es ausser ihr noch viele andere gegeben hat.) Deutsche Pension, das war damals ein bestimmter Begriff in Italien, der sehr verschiedene Sonderwesen umschloss. Mit Entsetzen denke ich noch heute an eine andere zurück, wo ich einmal gewohnt habe; alles war dort zum Weinen einwandfrei. Aber in der Pension, von der ich hier spreche, war es nicht so. Als ich ins Büro eintrat und zum erstenmal nach dem Herrn des Hauses fragte, antwortete mir seine Mutter: „Oh, der kann jetzt nit komme; der ischt grad über seine Hühnerauge!” Ich will ihn Herr Nimmermehr nennen. Seine Mutter, Frau Nimmermehr also, war eine von einem gewaltigen Mieder umspannte Matrone, deren Fleisch mit den Jahren ein wenig zurückgegangen war, so dass ihr Korsett rings um sie einen unregelmässigen Rand in die Luft zeichnete, der von einer Bluse überspannt wurde; irgendwie erinnerte das an einen umgekippten, verloren gegebenen Regenschirm, wie man solche zuweilen an verlassenen Orten findet. Ihr Haar wurde zwischen Ostern und Oktober, das heisst ausserhalb der Reisezeit, soweit ich das beobachten konnte, nicht frisiert; während der Saison schien es weiss zu sein. Eine andere ihrer Eigentümlichkeiten bildete es, dass ihr Rock einen ungewöhnlich langen Schlitz besass, der in der heissen Zeit immer von oben bis unten offen stand. Vielleicht war das kühler; vielleicht war es aber eine Besonderheit des Hauses. Denn auch Laura, das Stubenmädchen, das bei Tisch bediente, legte zu diesem Zweck zwar eine saubere Bluse an, die hinten zu schliessen war, aber während der Zeit, die ich in Rom verbrachte, wurden von allen Haken immer nur die zwei untersten benützt, so dass darüber das Hemd und weiterhin Lauras schöner Rücken zu sehen war wie in einem Kelch. Trotzdem waren es vorzügliche Wirte, die Nimmermehr’s; ihre altmodisch luxuriösen Zimmer wurden gut gehalten, und was sie kochten, hatte Grazie. Während des Speisens stand Herr Nimmermehr persönlich als Maître d’hôtel neben der Anrichte und leitete die Bedienung, obgleich diese nur aus Laura bestand. Vorwurfsvoll hörte ich ihn einmal zu ihr sagen: „Herr Meier hat sich selbst einen Löffel und das Salz geholt!” — Laura tuschelte erschrocken: „Hat er etwas gesagt?” — Und Herr Nimmermehr legte die Würde eines königlichen Speisenchefs in die leise Zurückweisung: „Herr Meier sagt nie etwas!” — Zu solcher Höhe des Berufs konnte er sich erheben. Er war, soweit ich mich an ihn erinnere, gross, mager und kahl, hatte einen wässerigen Blick und stachlige Bartfäden, die sich langsam auf und nieder bewegten, wenn er sich mit der Schüssel zu einem Gast neigte, um diesen mit besonnenen Worten auf etwas besonders Schmackhaftes aufmerksam zu machen. Sie hatten einfach ihre Eigenheiten, die Nimmermehr’s.
Und ich habe mir alle diese Kleinigkeiten aufgeschrieben, weil ich schon damals das Gefühl hatte: es kehrt nicht wieder. Ich will damit beileibe nicht behaupten, dass es besonders selten und kostbar gewesen sei; es hatte nur etwas Besonderes mit Gleichzeitigkeit zu tun, das sich schwer beschreiben lässt. Wenn zwanzig Uhren an einer Wand hängen, und man blickt sie plötzlich an, so hat jedes Pendel eine andere Lage; sie alle sind gleichzeitig und nicht, und die wirkliche Zeit rinnt irgendwo zwischen ihnen durch. Das kann unheimlich wirken. Alle, die wir damals in der Pension Nimmermehr wohnten, hatten dazu unsere besonderen Gründe; wir hatten alle irgendetwas ausser der Zeit in Rom zu tun, und da man in der Sommerhitze täglich nur ein kleines Mass davon ausführen konnte, so kamen wir immer wieder in unserem Heim zusammen. Da war zum Beispiel der kleine alte Schweizer Herr, er war da, um die Angelegenheit einer nicht viel grösseren protestantischen Sekte zu betreiben, die durchaus gerade im papistischen Rom ein evangelisches Gotteshaus erbauen wollte. Er trug trotz der brennenden Sonne immer einen schwarzen Anzug, und am zweiten Westenknopf von oben war die Uhrkette befestigt, an der, nur wenig tiefer, ein schwarzes Medaillon hing, in das ein goldenes Kreuz eingelassen war. Sein Bart sass richtig links und rechts von ihm; so dünn spross er aus dem Kinn, dass man seiner erst in einiger Entfernung davon gewahr wurde. Und gegen die Backen zu verlor sich dieser Bart ganz, wie auch die Oberlippe von Natur bartlos war. Die Kopfhaare dieses alten Herrn waren blondgrau und unheimlich weich; und seine Gesichtsfarbe hätte wohl rosig sein können, aber da sie weiss war, war sie gleich so weiss wie frisch gefallener Schnee, in dem eine goldene Brille liegt. Dieser alte Herr sagte einmal, als wir uns alle im Salon unterhielten, zu Mme. Gervais: „Wissen Sie, was Ihnen fehlt? Es fehlt Ihnen ein König in Frankreich!”
— Ich wunderte mich und wollte Mme. Gervais zu Hilfe kommen: „Aber Sie sind doch Schweizer und selbst Republikaner!?” — warf ich ein. Doch da wuchs der kleine Mann über seine goldenen Brillenränder hinaus und erwiderte uns: „Oh, das ist eine andere Sache! Wir sind es seit sechshundert Jahren, und nicht seit fünfundvierzig!” So der Schweizer, der in Rom eine protestantische Kirche baute.
Madame Gervais, mit ihrem lieblichen Lächeln, erwiderte ihm: „Wenn die Diplomaten und die Zeitungen nicht wären, hätten wir den ewigen Frieden.” — „Excellent, vraiment excellent!” — stimmte ihr der alte Herr, wieder besänftigt, zu und nickte mit einem Kichern, das so fein und unnatürlich klang, als hätte er eine junge Ziege im Hals; er musste ein Bein vom Boden heben, um sich in seinem Fauteuil zu Mme. Gervais zurückwenden zu können.
So kluge Antworten gab aber auch nur Frau Gervais. Das Profil ihres zarten Tituskopfes, auf dem schlanken Hals, mit einem köstlichen Ohr geschmückt, hob sich im Speisesaal von dem Fenster ab, vor dem sie sass, als ich sie zum erstenmal sah, wie ein geschnittener rosa Stein von himmelblauem Samt. Mit vollkommenen Händen, die Arme mit Messer und Gabel sorgsam an sich gezogen, rasierte sie einem Pfirsich, den sie aufgespiesst hatte, die Haut vom Leibe. Ihre Lieblingsworte waren: Ignoble, mal élevé, grand luxe und très maniaque. Auch digestion und digestif sagte sie oft. Mme. Gervais konnte erzählen, wie sie, die Katholikin, einmal in Paris in einer protestantischen Kirche war. Am Geburtstag des Empereur. „Und ich versichere Sie,” — fügte sie hinzu — „es war viel würdiger als bei uns. Viel einfacher. Keine so unvornehme Komödie!” — So war Mme. Gervais.
Sie schwärmte für eine deutsch-französische Verständigung, weil ihr Gatte Hotelier war. Umfassender gesagt, er stand in der Hotelkarriere: man muss alles durchmachen, Speisesaal, Bar, Zimmerdienst, Büro. „Wie ein Ingenieur am Schraubstock arbeiten muss! —” erläuterte sie es. Sie war aufgeklärt. Sie empörte sich bei der Erinnerung daran, wie ein Negerprinz, ein vollendeter Gentleman, in einem Pariser Hotel von Amerikanern boykottiert worden sei. — „So machte er bloss, so!” — zeigte sie und brachte ein entzückend verächtliches Rümpfen der Lippe hervor. Die klassischen, vornehmen Ideale der Humanität, Internationalität und Menschenwürde bildeten in ihr mit der Hotellaufbahn eine vollendete Einheit. Allerdings flocht sie auch gerne ein, dass sie als Mädchen mit ihren Eltern Automobilreisen gemacht habe, dass sie mit dem oder jenem Attaché oder Legationssekretär da und dort gewesen seien, oder dass schon ihre Bekannte die Marquise Soundso das und jenes gesagt habe. Aber sie führte es nicht weniger vornehm aus, wenn sie aus der Hotellaufbahn erzählte, dass ein Freund ihres Mannes in einem Haus mit Trinkgeldverbot achthundert Mark im Monat an Trinkgeldern eingenommen habe, während ihr Mann in einem Haus ohne Verbot nur sechshundert Mark verdiente. Sie hatte immer frische Blumen an sich und reiste mit einem Dutzend kleiner Deckchen, mit deren Hilfe sie aus jedem Pensionszimmer eine kleine Heimat machte. Dort empfing sie ihren Gatten, wenn er dienstfrei war, und mit Laura hatte sie ein Abkommen getroffen, dass ihr diese gleich die Strümpfe wasche, wenn sie sie auszog. Sie war eigentlich eine tapfere Frau. Ich bemerkte einmal, dass ihr kleiner Mund auch fleischig wirken könne, obgleich die ganze Gestalt wie ein etwas überlanger, äusserst zarter Engel war; auch die Backen hoben sich, wenn man genau zusah, beim Lachen viel zu hoch über die Nase; aber merkwürdigerweise, obgleich ich sie nun weniger schön fand, sprachen wir seither ernster miteinander. Sie erzählte mir von der Trauer ihrer Kindheit, von früheren, langen Krankheiten und von den Qualen, die ihr die Launen eines an Paralyse erkrankten Stiefvaters bereitet hätten. Einmal vertraute sie mir sogar an, dass sie deshalb ihren Mann geheiratet habe, ohne ihn zu lieben. Bloss weil es Zeit war, sich zu versorgen, sagte sie. „Sans enthousiasme; vraiment sans enthousiasme!” — Aber das vertraute sie mir erst einen Tag vor meiner Abreise an: Sie wusste eben immer das Passende zu sagen und sprach den Zuhörern aus der Seele.
Gerne möchte ich etwas Aehnliches auch von der Dame aus Wiesbaden berichten, die gleichfalls zu unserem Haus gehörte; aber ich habe leider viel von ihr vergessen, und das wenige, was mir geblieben ist, lässt schliessen, dass sich das übrige nicht recht dieser Absicht fügen dürfte. Ich weiss nur noch, dass sie immer einen der Länge nach gestreiften Rock trug, sodass sie aussah wie ein grosses Holzgatter, auf dem oben eine ungeplättete weisse Bluse hing. Wenn sie sprach, widersprach sie, und ungefähr geschah das meistens in der folgenden Weise: Jemand sagte zum Beispiel, dass Ottavina schön sei. „Ja”, — ergänzte sie sogleich — „ein edler römischer Typus.” Dabei blickte sie einen so besiegelnd an, dass man sie um der Sicherheit des Weltlaufs willen berichtigen musste, ob man wollte oder nicht; denn Ottavina, das Stubenmädchen, war aus Toskana. „Ja” — erwiderte sie — „aus Toskana. Aber ein römischer Typus! Alle Römerinnen haben Nasen, die an der Stirn gerade ansetzen!” Nun war Ottavina aber nicht nur aus Toskana, sondern sie hatte auch keine Nase, die an der Stirne gerade ansetzte; doch die Dame aus Wiesbaden besass einen so lebhaften Geist, dass ihr immer ein fertiges Urteil aus dem Kopf sprang, bloss weil ihre anderen fertigen Urteile es daraus verdrängten. Ich fürchte, sie war eine unglückliche Frau. Und vielleicht war sie nicht einmal Frau, sondern Mädchen. Sie war im Schiff um Afrika gefahren und wollte nach Japan. Sie erzählte in diesem Zusammenhang von einer Freundin, die sieben Glas Bier tränke und vierzig Zigaretten rauchte, und nannte sie einen ganz famosen Kameraden. Ihr Gesicht sah, wenn sie so sprach, wie ein furchtbar lasterhaftes Gesicht aus, mit zuviel Haut und schiefen Schlitzen für Mund, Nase und Augen; man dachte zumindest, dass sie Opium rauchen werde: aber sobald sie sich nicht beobachtet fühlte, hatte sie ein ganz braves Gesicht, das in dem anderen darin stak wie der kleine Däumling in den Siebenmeilenstiefeln. Ihr höchstes Ideal war die Löwenjagd, und sie fragte uns alle, ob wir glaubten, dass sehr viel Kraft dazugehöre? Mut — meinte sie — Mut besässe sie genügend, aber ob sie wohl auch den Strapazen gewachsen wäre? Ihr Neffe rede ihr zu, weil er gerne mitgenommen werden möchte; aber für solch einen zweiundzwanzigjährigen Lausbuben sei das doch noch etwas anderes, nicht? Die gute weltumsegelnde Tante! Ich bin überzeugt, dass sie ihrem Neffen unter der Sonne Afrikas einen kleinen forschen Klaps auf die Schulter geben wird und dass sich die Löwen davonschleichen werden, so wie Mme. Gervais und ich es taten, wenn wir konnten.
Ich flüchtete mich dann zuweilen sogar zu Frau Nimmermehr ins Büro oder schlich auf den Gang und spähte, ob ich Ottavina sähe. Ich hätte auch einen Blick auf Gottes Sterne werfen können, aber Ottavina war schöner. Sie war das zweite Stubenmädchen, eine neunzehnjährige Bäuerin, die daheim einen Mann und einen kleinen Knaben besass; sie war die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Sage niemand, es gebe viel verschiedene Schönheit, Schönheit in vielerlei Art und Grad: das weiss man. Aber die Art von Ottavinas Schönheit hätte mir gestohlen werden können; es war Rafaels Art, gegen die ich sogar eine Abneigung habe: Was trotz dieser Schönheit das Auge bezwang, war Ottavinas Schönheit! Zum Glück darf man sagen, dass sich so etwas dem, der es nicht gesehen hat, nicht beschreiben lässt. Wie abstossend wirken die Worte Harmonie, Gleichmass, Vollkommenheit, Edel! Wir haben sie gemästet, sie stehen wie dicke Frauen auf winzigen Füssen da und können sich nicht rühren. Wenn man aber einmal wirkliche Harmonie und Vollkommenheit sieht, so ist man erstaunt darüber, wie natürlich sie ist. Sie kommt zu ebener Erde herbei. Sie fliesst wie ein Bach, gar nicht regelmässig, mit der unbekümmerten Selbstherrlichkeit der Natur, ohne Anstrengungen zur Grossartigkeit oder Vollendung. Wenn ich von Ottavina sage, sie war gross, kräftig, adelig, vornehm, so habe ich das Gefühl, diese Worte seien von anderen Menschen genommen. Ich empfinde sogleich das Bedürfnis, etwas hinzu zu fügen. Sie war gross, aber ohne Verlust an Lieblichkeit. Kräftig, aber nirgends gesetzt. Adelig ohne Verlust an Ursprünglichkeit. Eine Göttin und das zweite Stubenmädchen. Ich vermochte mit der neunzehnjährigen Ottavina nicht zu sprechen, weil sie mein gebrochenes Italienisch für unpassend fand und auf alles, was ich sagte, nur mit einem sehr höflichen Ja oder Nein erwiderte; aber ich glaube, ich betete sie an. Ich weiss natürlich auch das nicht sicher, weil alles bei Ottavina etwas anderes bedeutete. Ich begehrte sie nicht, ich litt keinen Mangel, ich schwärmte nicht; im Gegenteil; sooft ich sie sah, suchte ich mich so unauffällig zu benehmen wie ein Sterblicher, der in die Gesellschaft von Göttern geraten ist. Sie konnte lächeln, ohne dass eine Falte in ihrem Gesicht entstand. Ich vermochte sie mir in den Armen eines Mannes nicht anders zu denken als mit diesem Lächeln und einem sanften Erröten, das sich wie eine Wolke über sie ausbreitete, hinter der sie dem Zugriff der Begierden entschwand.
Immerhin hatte Ottavina einen ehelichen Knaben, und ich verzog mich oft, ohne auf sie zu warten, zur alten Frau Nimmermehr ins Büro, um im Gespräch mit dieser das Auskommen mit der Wirklichkeit wiederzufinden. Sie liess, wenn sie durchs Zimmer ging, die Arme mit den Handrücken nach vorn hängen, hatte den breiten Buckel und Bauch einer Matrone und beschönigte das Leben nicht mehr. Wenn man sie, vom Forschungstrieb geplagt, fragte, ob ihre grosse schwarze Katze Michette denn eigentlich ein Kater oder ein Weib sei, sah sie einen nachdenklich an und meinte philosophisch: „Oh je, das kanma gar nicht sage; die is ein Kaschtrath!” — In jüngeren Jahren hatte Frau Nimmermehr’s Herz einen einheimischen Freund besessen, Sor Carlo, und wo immer man sich in Frau Nimmermehr’s Bereich bewegte, konnte man am Ende einer Perspektive von Türrahmen Sor Carlo sitzen sehen. Zwischen Ostern und Oktober, versteht es sich; denn er war ein Wrack, und selbst jetzt, ausser der Saison, war sein Dasein das eines allen Mitbewohnern zwar bekannten, aber öffentlich nicht zugegebenen Gespenstes. Er sass immer an irgendeiner Wand, reglos, in einem schmutzigen hellen Anzug, die Beine wie Säulen gleich dick von oben bis unten, das edle Gesicht mit dem schwarz gefärbten Cavour-Bart von Fett und Leiden entstellt. Nur wenn ich nachts nach Haus kam, sah ich ihn in Bewegung. Wenn alle Augen, die ihn beaufsichtigten, schliefen, schleppte er sich stöhnend durch die Gänge, von Bank zu Bank, und kämpfte mit Atemkrämpfen. Da lebte er sich aus. Ich versäumte nie, ihn zu grüssen, und er dankte mir mit Würde. Ich weiss nicht, ob er für das Gnadenbrot dankbar war, das ihm Frau Nimmermehr gab, oder ob er gegen ihren Undank protestierte und aus gekränkter Würde tagsüber mit offenen Augen zu schlafen schien. Es verriet auch nichts, wie Frau Nimmermehr für ihren alten Sor Carlo empfand. Man darf wahrscheinlich annehmen, dass sie die schöne Ausgeglichenheit des Alters schon längst der Wichtigkeit überhoben hatte, die ein jüngerer Mensch solchen Dingen beimisst. Wenigstens traf ich sie einmal in ihrem Büro so mit Sor Carlo an: Sor Carlo sass an der Wand und hatte seinen schlafenden Blick durch die gegenüber befindliche Wand ins Unendliche gerichtet, und Frau Nimmermehr sass am Tisch und hatte ihren Blick durch die offene Tür ins Dunkle gerichtet. Diese beiden Blicke gingen, von ungefähr einem Meter Raum getrennt, parallel aneinander vorbei, und unter diesem Blickstreifen sass neben dem Tischbein Michette, die Katze, mit den beiden Hunden des Hauses. Der blonde Spitz Maik, mit dem zarten, ausfallenden Haar, und der beginnenden Altersdarre im Rücken, versuchte an Michette etwas, das Hunde sonst nur an Hunden tun, und der dicke rotblonde Spitz Ali kaute indessen gutmütig an ihrem Ohr; niemand verwehrte es, Michette nicht, und die beiden alten Menschen nicht.
Wer dem bestimmt gewehrt hätte, wäre Miss Frazer gewesen; aber es ist anzunehmen, dass sich Maik in ihrer Gegenwart so etwas gar nicht erlaubt hätte. Miss Frazer sass jeden Abend in unserem Salon auf der Kante eines Fauteuils; den Oberkörper hatte sie brettgerade zurückgelehnt, so dass er die Stuhllehne nur am obersten Rand berührte, und die Beine ungebogen so von sich gestreckt, dass sie die Erde nur mit den Hacken berührten; in dieser Stellung häkelte sie. Wenn sie damit fertig war, setzte sie sich an den ovalen Tisch, mitten in unsere Gespräche hinein, und schrieb ihre tägliche Lektion. Wenn diese beendet war, legte Miss Frazer mit schnellen Fingern zwei Patiencen. Und wenn die Patiencen aufgegangen waren, sagte sie Good Night und verschwand. Dann war es zehn Uhr. Eine Abweichung davon gab es nur, wenn einer von uns in dem tropisch glühenden Salon ein Fenster öffnete; dann stand Miss Frazer auf und schloss es wieder. Wahrscheinlich vertrug sie den Luftzug nicht. Wir erfuhren ebenso wenig den Grund, wie wir den Inhalt ihrer täglichen Lektion kannten oder den Gegenstand ihrer Handarbeit. Miss Frazer war ein altes englisches Fräulein; ihr Profil war ritterlich und scharf wie das eines Edelmannes, ihr Anblick von vorn dagegen rund und rot wie der eines Apfels, mit einer liebenswürdigen Beimischung von Mädchenhaftigkeit unter ihren weissen Haaren. Ob sie auch liebenswürdig gesinnt war, wusste niemand. Ausser den unvermeidlichen Höflichkeiten wechselte sie mit uns kein Wort. Vielleicht verachtete sie unser Nichtstun, unsere Geschwätzigkeit und unsere Unmoral. Nicht einmal den Schweizer, der schon seit sechshundert Jahren Republikaner war, würdigte sie einer Vertraulichkeit. Sie wusste alles von uns, weil sie immer in der Mitte sass, und war der einzige Mensch, von dem wir nicht wussten, warum er da war. Alles in allem, mit ihrer Häkelarbeit, ihrer Lektion und dem Lächeln eines roten Apfels, wäre sie sogar imstande gewesen, nur zum Vergnügen da zu sein und unsere Gesellschaft zu teilen.
Da die russischen Kleinkunsttheaterchen sie uns vorgeführt haben, scheint es diese schwarzen Husaren, diese Totenkopfhusaren, diese Arditi und Kopaljäger in allen Armeen der Erde zu geben. Sie haben einen Schwur getan, zu siegen oder zu sterben, und lassen sich eine schwarze Uniform machen, mit weissen Verschnürungen darauf, die wie die Rippen des Todes aussehen; in welcher Verkleidung sie zur Freude aller Frauen bis an ihr friedliches Ende spazieren gehen, falls kein Krieg kommt. Sie leben von gewissen Liedern mit düsterer Begleitung, die ihnen einen dunklen Glanz leihen, der sich vorzüglich zur Schlafzimmerbeleuchtung eignet.
Als der Vorhang aufging, sassen sieben solcher Husaren auf der kleinen Bühne; es war ziemlich dunkel, und bei den Fenstern schien der helle Schnee herein. Sie waren mit ihren schwärzlichen Uniformen und schmerzlich aufgestützten Köpfen hypnotisch in dem ungewissen Licht verteilt und begleiteten in einem kohlschwarzen, leuchtenden Pianissimo einen laut singenden Kameraden. „Hört die Pferde, unsre Erde, stampfen mit den Hufen”, sangen sie bis zum unvermeidlichen „kehrt dein Glück, nicht zurück, wenn die Schwalben wandern —”
Eine rätselvolle Seele fragte sich: Wenn das ein gemaltes Bild wäre, so hätte man ein Schulbeispiel von Kitsch vor sich. Wenn das ein „lebendes Bild” wäre, so würde man die versunkene Sentimentalität eines einst beliebt gewesenen Gesellschaftsspiels vor sich haben, also etwas, das zur Hälfte Kitsch, zur andern Hälfte aber traurig wie ein eben verklungenes Glockenspiel ist. Doch da es nun ein singendes lebendes Bild ist, was ist es da? Es liegt wohl über diesen Spielereien der trefflichen russischen Emigranten ein Glanz wie von Zuckerfluss, aber man lächelt bloss nachsichtig, während man gewiss vor einem Oelbild gleicher Art raste: Sollte es möglich sein, dass der Kitsch, wenn ihm eine und dann zwei Dimensionen des Kitsches zuwachsen, erträglicher und immer weniger kitschig wird?
Es ist nicht anzunehmen und nicht zu leugnen.
Wie aber ist es dann, wenn dem Kitschigen noch eine Dimension mehr zuwächst und es volle Wirklichkeit wird? Sind wir nicht in Unterständen gesessen, für morgen lag etwas in der Luft, und ein Kamerad begann zu singen? Ach, es war schwermütig. Und es war Kitsch. Aber es war ein Kitsch, der nur noch als eine Traurigkeit mehr mit in der Traurigkeit lag, als eine uneingestandene Unlust an dieser aufgezwungenen Kameraderie. Im Grunde hätte man manches fühlen können in dieser jahrelangen letzten Stunde, und der Druck der Todesvorstellung musste nicht gerade ein Oeldruck sein.
Ist also die Kunst nicht ein Mittel, um den Kitsch vom Leben abzublättern? Schichtenweise legt sie ihn bloss. Je abstrakter sie wird, desto durchsichtiger wird die Luft. Je weiter sie sich vom Leben entfernt, desto klarer wird sie? Welche Verkehrtheit ist es zu behaupten, das Leben sei wichtiger als die Kunst! Das Leben ist gut, soweit es der Kunst standhält: was nicht kunstfähig am Leben ist, ist Kitsch!
Aber was ist Kitsch?
Der Dichter X. wäre in einer noch etwas schlechteren Zeit ein beliebter Familienblatterzähler geworden. Er hätte dann vorausgesetzt, dass das Herz auf bestimmte Situationen immer mit den gleichen bestimmten Gefühlen antwortet. Der Edelmut wäre in der bekannten Weise edel, das verlassene Kind beweinenswert und die Sommerlandschaft herzstärkend gewesen. Es ist zu bemerken, dass sich damit zwischen den Gefühlen und den Worten eine feste, eindeutige, gleichbleibende Beziehung eingestellt hätte, wie sie das Wesen des Begriffs ausmacht. Der Kitsch, der sich so viel auf das Gefühl zugute tut, macht also aus Gefühlen Begriffe.
Nun ist aber X. infolge der Zeitumstände statt guter Familienblatterzähler schlechter Expressionist geworden. Als solcher stellt er geistige Kurzschlüsse her. Er ruft Mensch, Gott, Geist, Güte, Chaos und spritzt aus solchen Vokabeln gebildete Sätze aus. Wenn er die volle Vorstellung oder wenigstens die volle Unvorstellbarkeit mit ihnen verbände, so könnte er das gar nicht tun. Aber die Worte sind lang vor ihm in Büchern und Zeitungen schon sinnvolle und sinnlose Verbindungen eingegangen, er hat sie oft beisammen gesehen, und schon bei kleinster Ladung mit Bedeutung zuckt zwischen ihnen der Funke. Das ist aber nur die Folge davon, dass er nicht an erlebten Vorstellungen denken gelernt hat, sondern schon an den von ihnen abgezogenen Begriffen.
Der Kitsch erweist sich in diesen beiden Fällen als etwas, was das Leben von den Begriffen abblättert. Schichtenweise legt er sie bloss. Je abstrakter er wird, desto kitschiger wird er. Der Geist ist gut, soweit er noch dem Leben standhält.
Aber was ist Leben?
Leben ist leben: wer es nicht kennt, dem ist es nicht zu beschreiben. Es ist Freundschaft und Feindschaft, Begeisterung und Ernüchterung, Peristaltik und Ideologie. Das Denken hat neben anderen Zwecken den, geistige Ordnungen darin zu schaffen. Auch zu zerstören. Aus vielen Erscheinungen des Lebens macht der Begriff eine, und ebenso oft macht eine Erscheinung des Lebens aus einem Begriff viele neue. Bekanntlich wollen unsere Dichter nicht mehr denken, seit sie von der Philosophie gehört zu haben glauben, dass man Gedanken nicht denken darf, sondern sie leben muss.
Das Leben ist an allem schuld.
Aber um Gottes willen: was ist leben?
Es ergeben sich zwei Syllogismen:
Die Kunst blättert den Kitsch vom Leben.
Der Kitsch blättert das Leben von den Begriffen.
Und: Je abstrakter die Kunst wird, desto mehr wird sie Kunst.
Je abstrakter der Kitsch wird, desto mehr wird er Kitsch.
Das sind zwei herrliche Syllogismen. Wer sie auflösen könnte!
Nach dem zweiten scheint es, dass Kitsch = Kunst ist. Nach dem ersten aber ist Kitsch = Begriff − Leben. Kunst = Leben − Kitsch = Leben − Begriff + Leben = zwei Leben − Begriff. Nun ist aber, nach II, Leben = 3 × Kitsch und daher Kunst = 6 × Kitsch − Begriff.
Also was ist Kunst?
Wie gut hat es ein schwarzer Husar. Die schwarzen Husaren haben geschworen, zu siegen oder zu sterben, und gehen in dieser Uniform einstweilen zur Freude aller Frauen spazieren. Das ist keine Kunst. Das ist das Leben!
Warum behauptet man aber dann, es sei nur ein lebendes Bild?
Türen gehören der Vergangenheit an, wenngleich bei Bauwettbewerben Hintertüren noch vorkommen sollen.
Eine Türe besteht aus einem rechteckigen, in die Mauer eingelassenen Holzrahmen, an dem ein drehbares Brett befestigt ist. Dieses Brett lässt sich gerade noch zur Not verstehen. Denn es soll leicht sein, damit man es gut bewegen kann, und es passt zu dem Eichen- oder Nussgehölz, das bis vor kurzem in jedem ordentlichen Familienzimmer angepflanzt worden ist. Dennoch hat auch dieses Brett schon das meiste von seiner Bedeutung eingebüsst. Noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte man an ihm horchen, und welche Geheimnisse erfuhr man bisweilen! Der Graf hatte seine Stieftochter enterbt, und der Held, der sie heiraten sollte, hörte gerade noch rechtzeitig, dass man ihn vergiften wolle. Das sollte einer in einem zeitgenössischen Haus versuchen! Ehe er dazu käme, an der Tür zu horchen, hätte er alles schon längst durch die Wände erfahren. Ja, nicht nur das: schon der leiseste Gedanke wäre ihm nicht entgangen. Warum hat sich noch kein Rundfunkdichter des modernen Betonbaus bemächtigt?! Er ist die Schicksalsbühne für das Hörspiel!
Noch viel unzeitgemässer als die Tür selbst ist ihr Rahmen. Blickt man bei geöffneten Türen durch eine Zimmerflucht, so glaubt man den Angsttraum eines Fussballstürmers zu erleben, dem ein Tor hinter dem andern entgegentritt. Es gibt auch eine Sorte von Galgen, an die es erinnert. Warum macht man so etwas? Technisch liesse sich ein gutes Schliessen auch ohne diese Pfähle erreichen; sie sind wahrhaftig nur da, um das Auge zu erfreuen. Dem Auge erschiene es, wie man annimmt, kahl, wenn die Tür an die Mauer oder an ein unsichtbares Metallband schlösse. Das wäre für das gebildete Auge nicht anders, als wenn zwischen Hand und Aermel keine Stulpe hervorguckte. Und wirklich haben diese Türrahmen auch eine ähnliche Geschichte wie die Röllchen. Als die Zimmer noch gewölbt wurden, kannte man sie nicht; die Türe drehte sich um zwei schöne, schmiedeeiserne Mauerhaken. Später lernte man flache Decken bauen, und sie wurden von schweren Holzbalken getragen; mit Stolz auf das Neue zeigte man diese Balken, verkleidete die Felder zwischen ihnen auch noch mit Holz, und es entstanden die schönen getäfelten Decken. Noch später versteckte man die Balken unter einer Stuckdecke, aber an den Türen liess man ein Rändchen von Holz hervorschauen. Schliesslich baut man heute Eisenbeton- statt Ziegelwände, aber das hölzerne Rändchen, von nirgendwo kommend, angeklebt, einsam, sinnlos, nur mit dem Fensterrahmen verschwistert, muss die Sitte wahren. Ist das nicht aufs Haar genau die Geschichte des Hemdes, das zuerst in einem breit dem Auge geöffneten Ausschnitt der Kleidung und mit Hals- und Handkrause begann? Dann verschwand es unter dem Rock, aber Kragen und Stulpe ragten noch aus dem Anzug. Dann trennten sich Kragen und Stulpe vom Hemde ab, und zum Schluss, ehe wieder ein Wandel zum Besseren eintrat, wurden Kragen und Röllchen einsame Symbole der Kultur, die man, um zu zeigen, was sich gehöre, an irgendeine geheime Unterlage knöpfte.
Es sei diese Entdeckung, dass Holztüren Röllchen sind, dem berühmten Architekten gewidmet, der herausgefunden hat, dass der Mensch, da er auf der Klinik geboren wird und im Spitale stirbt, auch seine Lebensräume mit aseptischer Nüchternheit ausfüllen müsse. Man nennt so etwas ungezwungene Entwicklung des Bauens aus dem Geist der Zeit; aber offenbar ist es in der Gegenwart etwas schwierig. Der Mensch früherer Zeiten, Schlossherr wie Städter, lebte in seinem Haus; seine Stellung im Leben zeigte sich darin an, speicherte sich dort auf. Man empfing noch in der Biedermeierzeit bei sich; heute macht man das bloss nach. Das Haus hat dem gedient, was man scheinen wollte, und dafür ist immer Geld übrig; heute sind aber andere Dinge da, die diesen Zweck erfüllen: Reisen, Automobile, Sport, Winteraufenthalte, Appartements in Luxushotels. Die Phantasie des Zeigens, was man ist, geht in dieser Richtung, und wenn ein reicher Mann sich nun trotzdem ein Haus baut, so bleibt etwas Künstliches daran, etwas Privates, das keine Erfüllung einer allgemeinen Sehnsucht mehr ist. Und wie soll es erst Türen geben, wenn es kein „Haus” gibt?! Die einzige originelle Tür, die unsere Zeit hervorgebracht hat, ist die gläserne Drehtür des Hotels und des Warenhauses.
Die Tür hat früher als Teil für das Ganze das Haus vertreten, so wie das Haus, das man besass, und das Haus, das man machte, die Stellung des Besitzers zeigen sollten. Die Tür war ein Eingang zu einer Gesellschaft von Bevorzugten, die sich dem Ankömmling, je nachdem, wer er war, öffnete oder verschloss, was gewöhnlich schon sein Schicksal entschied. Ebenso gut eignete sie sich aber auch für den kleinen Mann, der aussen nicht viel zu bestellen hatte, jedoch hinter seiner Tür sofort den Gottvaterbart umhängte. Sie war darum allgemein beliebt und erfüllte eine lebendige Aufgabe im allgemeinen Denken. Die vornehmen Leute öffneten oder verschlossen ihre Türen, und der Bürger konnte mit ihnen ausserdem ins Haus fallen. Er konnte sie auch offen einrennen. Er konnte zwischen Tür und Angel seine Geschäfte erledigen. Konnte vor seiner oder einer fremden Tür kehren. Er konnte jemand die Tür vor der Nase zuschlagen, konnte ihm die Tür weisen, ja, er konnte ihn sogar bei der Tür hinauswerfen: das war eine Fülle von Beziehungen zum Leben, und sie zeigen jene treffliche Mischung von Realistik und Symbolik, welche die Sprache nur aufbringt, wenn uns etwas sehr wichtig ist.
Diese grossen Zeiten der Türen sind vorbei! Es ist sehr empfindungsvoll, jemand zuzurufen, dass man ihn zur Türe hinauswerfen werde, aber wer hat je wirklich einen hinaus„fliegen” gesehen? Wenn es selbst manchmal versucht wird, so hat der Vorgang doch selten mehr die grossartige Einseitigkeit, die seinen Reiz ausmacht, denn die Kompetenzen und Kräfte sind heute verworren. Man schlägt auch niemand mehr die Tür vor der Nase zu, sondern nimmt schon die telephonische Anmeldung seines Besuches nicht entgegen; und vor seiner eigenen Tür zu kehren, ist eine unverständliche Zumutung geworden. Das sind längst undurchführbare Redensarten, sind nur noch freundliche Einbildungen, die uns mit Wehmut beschleichen, wenn wir alte Tore betrachten. Dunkelnde Geschichte um ein Loch, das die Gegenwart vorläufig noch für den Zimmermann offen gelassen hat.
Denkmale haben ausser der Eigenschaft, dass man nicht weiss, ob man Denkmale oder Denkmäler sagen soll, noch allerhand Eigenheiten. Die wichtigste davon ist ein wenig widerspruchsvoll; das Auffallendste an Denkmälern ist nämlich, dass man sie nicht bemerkt. Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler. Sie werden doch zweifellos aufgestellt, um gesehen zu werden, ja geradezu, um die Aufmerksamkeit zu erregen; aber gleichzeitig sind sie durch irgend etwas gegen Aufmerksamkeit imprägniert, und diese rinnt Wassertropfen-auf-Oelbezug-artig an ihnen ab, ohne auch nur einen Augenblick stehenzubleiben. Man kann monatelang eine Strasse gehen, man wird jede Hausnummer, jede Auslagenscheibe, jeden Schutzmann am Weg kennen, und es wird einem nicht entgehen, wenn ein Zehnpfennigstück auf dem Gehsteig liegt; aber man ist bestimmt jedesmal sehr überrascht, wenn man eines Tages nach einem hübschen Stubenmädchen ins erste Stockwerk schielt und dabei eine metallene, gar nicht kleine, Tafel entdeckt, auf der in unauslöschlichen Lettern eingegraben steht, dass an dieser Stelle von achtzehnhundertsoundsoviel bis achtzehnhundertundeinigemehr der unvergessliche Soodernichtso gelebt und geschaffen habe.
Es geht vielen Menschen selbst mit überlebensgrossen Standbildern so. Man muss ihnen täglich ausweichen oder kann ihren Sockel als Schutzinsel benutzen, man bedient sich ihrer als Kompass oder Distanzmesser, wenn man ihrem wohlbekannten Platz zustrebt, man empfindet sie gleich einem Baum als Teil der Strassenkulisse und würde augenblicklich verwirrt stehen bleiben, wenn sie eines Morgens fehlen sollten: aber man sieht sie nie an und besitzt gewöhnlich nicht die leiseste Ahnung davon, wen sie darstellen, ausser dass man vielleicht weiss, ob es ein Mann oder eine Frau ist.
Es wäre falsch, sich durch einige Ausnahmen täuschen zu lassen. Etwa durch jene paar Standbilder, die der Mensch mit dem Baedeker in der Hand suchen geht, wie den Gattamelata oder den Colleone, was eben ein ganz besonderes Verhalten ist; oder durch Gedenktürme, die eine ganze Landschaft versperren; oder durch Denkmäler, die einen Verein bilden, wie die über ganz Deutschland verbreiteten Bismarckdenkmäler.
Solche energischen Denkmäler gibt es; und dann gibt es auch noch solche, die der Ausdruck eines lebendigen Gedankens und Gefühls sind: aber der Beruf der meisten gewöhnlichen Denkmale ist es wohl, ein Gedenken erst zu erzeugen, oder die Aufmerksamkeit zu fesseln und den Gefühlen eine fromme Richtung zu geben, weil man annimmt, dass es dessen einigermassen bedarf; und diesen ihren Hauptberuf verfehlen Denkmäler immer. Sie verscheuchen geradezu das, was sie anziehen sollten. Man kann nicht sagen, wir bemerkten sie nicht; man müsste sagen, sie entmerken uns, sie entziehen sich unseren Sinnen: es ist eine durchaus positive, zur Tätlichkeit neigende Eigenschaft von ihnen!
Nun, man kann das ohne Zweifel erklären. Alles Beständige büsst seine Eindruckskraft ein. Alles, was die Wände unseres Lebens bildet, sozusagen die Kulisse unseres Bewusstseins, verliert die Fähigkeit, in diesem Bewusstsein eine Rolle zu spielen. Ein lästiges dauerndes Geräusch hören wir nach einigen Stunden nicht mehr. Bilder, die wir an die Wand hängen, werden binnen wenigen Tagen von der Wand aufgesogen; es kommt äusserst selten vor, dass man sich vor sie hinstellt und sie betrachtet. Bücher, die man, halb gelesen, in die prächtigen Bändereihen der Bibliothek einstellt, liest man nie mehr zu Ende. Ja, es genügt bei empfindlichen Personen, dass sie ein Buch, dessen Anfang ihnen gefallen hat, kaufen, und sie werden es nie wieder in die Hand nehmen. In diesem Fall wird der Vorgang schon aggressiv; man kann seinen unerbittlichen Ablauf aber auch an höheren Gefühlen verfolgen, und dann ist er es immer, zum Beispiel im Familienleben. Dort scheidet sich mit dem Satze: Muss ich dir denn in jeder Viertelstunde erneut sagen, dass ich dich liebe?! — unzähligemal der feste eheliche Besitz von der flatterhaften Lust. Und in welch erhöhtem Masse müssen sich diese psychologischen Nachteile, denen das Beständige ausgesetzt ist, bei Erscheinungen aus Erz und Marmor geltend machen!
Wenn man es gut mit Monumenten meint, muss man daraus unerbittlich den Schluss ziehen, dass sie einen wider unsere Natur gerichteten Anspruch an uns stellen und zu seiner Erfüllung ganz besonderer Anstalten bedürfen. Wollte man die Warnungstafel für Kraftwagen so unauffällig einfarbig ausgestalten wie Denkmale, so wäre das ein Verbrechen. Auch die Lokomotiven pfeifen doch schrille und keine versonnenen Klänge, und selbst den Briefkasten gibt man eine anlockende Farbe. Mit einem Wort, auch Denkmäler sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehn und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen. Wenn man erst diesen Gedanken erfasst hat — der sich dank gewisser Strömungen des Geistes langsam durchzusetzen beginnt — erkennt man, wie rückständig unsere Denkmalskunst ist, verglichen mit der zeitgenössischen Entwicklung des Anzeigenwesens. Warum greift der in Erz gegossene Held nicht wenigstens zu dem anderwärts längst überholten Mittel, mit dem Finger an eine Glasscheibe zu klopfen? Weshalb drehen sich die Figuren einer Marmorgruppe nicht umeinander, wie es bessere Figuren in den Geschäftsauslagen tun, oder klappen wenigstens die Augen auf und zu? Das mindeste, was man verlangen müsste, um die Aufmerksamkeit zu erregen, wären bewährte Aufschriften wie „Goethes Faust ist der beste!” oder „Die dramatischen Ideen des bekannten Dichters X. sind die billigsten!”
Leider wollen das die Bildhauer nicht. Sie verstehen, wie es scheint, nicht unser Zeitalter des Lärms und der Bewegung. Wenn sie einen Herrn in Zivil darstellen, so sitzt er reglos auf einem Stuhl oder steht da, die Hand zwischen dem zweiten und dritten Knopf seines Rockes, auch hält er zuweilen eine Rolle in der Hand, und es zuckt keine Miene in seinem Gesicht. Er sieht gewöhnlich aus wie die schweren Melancholiker in den Nervenheilanstalten. Wenn die Menschen nicht für Denkmale seelenblind wären und bemerken könnten, was oben vorgeht, so müssten sie, wenn sie vorbeikommen, das Gruseln haben wie an den Mauern eines Irrenhauses. Noch gruseliger ist es, wenn die Bildhauer einen General oder einen Prinzen darstellen. Die Fahne flattert in der Hand, und es geht kein Wind. Das Schwert ist gezückt, und niemand fürchtet sich davor. Der Arm weist gebieterisch vorwärts, aber kein Mensch denkt daran, ihm zu folgen. Selbst das Pferd, das sich mit sprühenden Nüstern zum Sprung erhoben hat, bleibt auf den Hinterhufen stehen, starr vor Staunen darüber, dass die Menschen unten, statt zur Seite zu treten, ruhig ein Wurstbrot in den Mund stecken oder eine Zeitung kaufen. Bei Gott, Denkmalsfiguren machen keinen Schritt und machen doch immerwährend einen Faux pas. Es ist eine verzweifelte Lage.
Ich glaube, dass ich mit diesen Ausführungen einiges zum Verständnis von Denkmalsfiguren, Gedenktafeln und dergleichen habe beitragen können. Vielleicht sieht einer oder der andere von nun an jene an, die an seinem Weg stehen. Was aber trotzdem immer unverständlicher wird, je länger man nachdenkt, ist die Frage, weshalb dann, wenn die Dinge so liegen, gerade grossen Männern Denkmale gesetzt werden? Es scheint eine ganz ausgesuchte Bosheit zu sein. Da man ihnen im Leben nicht mehr schaden kann, stürzt man sie gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals, ins Meer des Vergessens.
Wenn man durch mehrere Jahre gezwungen ist, Gemäldeausstellungen zu durchwandern, so muss man eines Tages den Begriff Malsteller erfinden. Er verhält sich zum Maler wie der Schriftsteller zum Dichter. Das Wort bringt Ordnung in verwirrte Erscheinungen. Es leben die Schriftsteller seit Beginn unserer Zeitrechnung von der Umstellung der zehn Gebote Gottes und einigen Fabeln, die ihnen die Antike überliefert hat; die Annahme, dass auch die Malstellerei nur von einigen malerischen Grundeinfällen lebt, ist darum schon im voraus nicht unwahrscheinlich.
Zehn wären nicht wenig. Denn wenn man zehn Einfälle richtig anwendet, das heisst in wechselnder Anordnung verbindet, so ergibt das, Rechenfehler vorbehalten, Dreimillionensechshundertachtundzwanzigtausendachthundert verschiedene Kombinationen. Jede dieser Kombinationen wäre anders und alles doch immer das gleiche. Der Kenner könnte ein Leben zurücklegen und zählen: Eins-zwei-drei-vier-fünf ..., Zwei-eins-drei-vier-fünf ... Drei-zwei-eins-vier-fünf ... und so weiter. Freilich wäre der Kenner empört und sähe sich in seinen bedeutenden Fähigkeiten geschädigt.
Es scheint auch, dass es nach etlichen Hunderttausend den Malstellern selbst zu dumm wird, und sie wechseln dann die „Richtung”. Was eine Richtung ist, sieht man auf den ersten Blick, wenn man einen Ausstellungssaal betritt. Man möchte es viel schwerer erkennen, wenn man vor ein einzelnes Bild träte; aber über mehrere Wände ausgespannt, lassen sich Kunstschulen, -richtungen und -zeiten so deutlich wie Tapetenmuster unterscheiden. Hingegen wirkt es meistens undeutlich, wie sie theoretisch begründet werden. Ich will damit den Malstellern nicht nahetreten; sie geben rechtschaffene Arbeit, können viel, und persönlich sind sie meistens Individualitäten. Aber die Produktionsstatistik ebnet das ein.
Eine Benachteiligung, die ihnen widerfährt, muss man übrigens dabei anführen: dass ihre Werke offen an der Wand hängen. Bücher haben den Vorteil, dass sie eingebunden sind, und oft unaufgeschnitten. Dadurch bleiben sie länger berühmt; sie halten sich frisch, und der Ruhm beginnt doch erst dort, wo man von einer Sache weiss, sie aber nicht kennt. Dafür haben die Malsteller freilich wieder den Vorteil, dass sie weit regelmässiger „gefragt werden” und „notieren” als die Schriftsteller. Wenn es den Kunsthandel nicht gäbe, wie schwer wäre es zu unterscheiden, was einem besser gefällt! Christus hat seinerzeit die Händler aus dem Tempel vertrieben: ich bin aber überzeugt, wenn man den rechten Glauben besitzen könnte, dann könnte man ihn auch verkaufen, dann könnte man sich auch mit ihm schmücken, und dann gäbe es sehr viel mehr Glauben in der Welt als jetzt!
Ein anderer Vorzug der Malerei ist es, dass sie eine Technik hat. Schreiben kann jedermann. Malen kann vielleicht auch jedermann, aber es ist nicht so bekannt. Man hat Techniken und Stile erfunden, um es zu verheimlichen. Denn so zu malen wie ein anderer: das kann nicht jedermann; das muss man studiert haben. Die mit Recht jetzt so bewunderten malenden Volksschulkinder fielen in der Kunstakademie durch; aber auch der umlernende Akademiker muss viel Mühe darauf verwenden, um sich an Stelle seiner Konvention das kindliche Zeichnen anzueignen. Alles in allem ist es ein historischer Irrtum zu glauben, dass die Meister Schule machen, die Schüler machen sie!
Genau betrachtet, ist aber auch nicht wahr, dass jeder schreiben kann; im Gegenteil, niemand kann es, jeder schreibt bloss mit und ab. Es ist unmöglich, dass ein Gedicht von Goethe heute auf die Welt käme; und schriebe es durch ein Wunder Goethe selbst, so wäre es ein anachronistisches und vielfach zweifelhaftes neues Gedicht, obgleich es doch auch das herrliche alte wäre! Gibt es eine andere Erklärung für dieses Mysterium, als dass dieses Gedicht von keinem zeitgenössischen Gedicht abgeschrieben erschiene, es sei denn von solchen, die von ihm selbst abgeschrieben sind? Gleichzeitigkeit bedeutet immer Abschreiben. Unsere Ahnen schrieben Prosa in langen, schönen wie Locken gedrehten Sätzen; wir — obgleich auch wir es noch in der Schule so gelernt haben — tun es in kürzeren, die Sache rascher zu Boden setzenden; und niemand in aller Welt kann seine Gedanken von der Art befrein, in der seine Zeit das Sprachkleid trägt. Kein Mensch weiss darum, wieviel er von dem, was er schreibt, auch genau so meint, und beim Schreiben verdrehn die Menschen beiweitem nicht so die Worte wie die Worte den Menschen.
Vielleicht kann also doch auch nicht jedermann malen? Offenbar, der Maler kann es nicht, nicht in dem Sinn, den der Malsteller damit verbindet. Der Maler und der Dichter sind nach Ansicht ihrer Zeitgenossen zunächst immer bloss die, die das nicht können, was die Mal- und Schriftsteller können. Darum halten sich doch sogar viele Schriftsteller für Dichter und Malsteller für Maler. Der Unterschied stellt sich gewöhnlich erst heraus, wenn es zu spät ist. Denn dann ist bereits eine neue Generation von Stellern da, die das schon kann, was der Maler und der Dichter eben erst gelernt haben.
Damit hängt es wohl auch zusammen, dass der Maler und der Dichter immer der Vergangenheit oder der Zukunft anzugehören scheinen; sie werden immer erwartet oder als ausgestorben beklagt. Wenn aber einmal einer leibhaftig dafür gilt, muss es durchaus nicht immer der Richtige sein.
Können Sie angeben, was ein Dichter ist?
Man sollte einmal diese Frage ausschreiben wie eins der geistigen Turniere, wo um die Frage gekämpft wird: „Wer hat Herrn Stein ermordet? (In dem Roman, dessen Veröffentlichung morgen in unserer Unterhaltungsbeilage beginnt)” oder: „Was hat Römisch-drei zu tun, wenn Römisch-eins anders ausspielt, als es auf dem letzten Bridgekongress empfohlen worden ist?”
Es ist aber nicht zu erwarten, dass eine Zeitung ohneweiters auf diesen Vorschlag einginge, und wenn sie es täte, so würde sie ihm eine ansprechendere Form geben. Zumindest die: „Wer ist Ihr Lieblingsdichter?” Aber auch die Fragen: „Wen halten Sie gegenwärtig für den grössten Dichter?” und „Welches ist das beste Buch dieses Jahres (auch: „Monats”) gewesen?” scheinen sich durch ihre anregende Wirkung zu empfehlen.
Daraus erfährt der Mensch von Zeit zu Zeit, welche Arten von Dichtern es gibt, und es sind immer grösste, bedeutendste, echteste, anerkannteste und gelesenste. Aber was der Dichter ohne Beiwage sei, wann ein schlicht schreibendes Geschöpf Dichter sei, und nicht „der bekannte Autor von ...”, diese Frage ist seit Menschengedenken überhaupt nicht gestellt worden. Unverkennbar, die Welt schämt sich ihrer, als hätte sie einen Beiklang von Biedermeiers Posthorn! Und doch, so wird es kommen, dass der Mensch mit Bestimmtheit zu sagen vermag, was Kaffee Haag, was ein Rolls Royce, was ein Segelflugzeug ist, aber in Verlegenheit geraten wird, wenn seine Kindeskinder voll Spannung ihn fragen: „Urgrossvater, zu deiner Zeit soll es ja noch Dichter gegeben haben. Was ist das?”
Er wird ihnen vielleicht zu erzählen versuchen, dass es Dichter so wenig gegeben zu haben brauche wie den Teufel. Denn man sage doch auch mit grösster Bestimmtheit: „Pfui Teufel!” „Zum Teufel!” „Zankteufel!” „Armer Teufel!” und dergleichen mehr, ohne dass man darum schon an den Teufel glaubte. So etwas gehört zum Leben der Sprache, und auf das Leben der deutschen Sprache gäbe keine Unfallversicherungsgesellschaft auch nur das geringste. Aber diese Ausrede wird leicht zu widerlegen sein. Denn mag das Wort „Dichter” in der Geschichte des Geistes unserer Zeit auch noch so wenig bedeuten, unauslöschlich werden kommende Geschlechter seine unerwartete Spur in der Wirtschaftsgeschichte vorfinden! Eine Ueberlegung, wie viele Menschen heute von dem Wort Dichter leben, findet kaum ein Ende, auch wenn man ganz an der wunderlichen Lüge vorbeisieht, dass selbst der Staat behauptet, für nichts da zu sein, als die Künste und Wissenschaften zu göttlicher Blüte zu bringen. Da lässt sich etwa mit den literarischen Professuren und Seminaren beginnen, und man käme von ihnen auf den gesamten Universitätsbetrieb mit Quästoren, Pedellen, Sekretären und anderen, an deren Unterhalt sie teilhaben. Oder man beginnt mit den Verlegern, käme auf die Verlage mit ihren Angestellten, auf die Kommissionäre, die Sortimenter, die Druckereien, die Papier- und Maschinenfabriken, die Eisenbahn, Post, Steuerbehörde, die Zeitungen, die Ministerialdezernenten, die Intendanten: Kurz, je nach Geduld könnte sich jedermann einen Tag lang diese Zusammenhänge kreuz und quer ausmalen, und was sich immer gleich bliebe, wäre, dass alle diese tausende Menschen bald gut, bald schlecht, bald ganz, bald teilweise davon leben, dass es Dichter gibt: obwohl niemand weiss, was ein Dichter ist, niemand mit Bestimmtheit sagen kann, dass er einen Dichter gesehen habe, und alle Preisausschreibungen, Akademien, Honorar- und Honoratiorenempfänge nicht die Sicherheit geben, dass man einen lebend einfängt.
Ich schätze, dass heute in der ganzen Welt wirklich einige Dutzend von ihnen noch vorhanden sind. Ob sie davon leben können, dass man von ihnen lebt, ist ungewiss: einige werden wohl dazu imstande sein, andere nicht: das ist alles im Dunkel. Wollte man ähnliche Verhältnisse zum Vergleich heranziehen, so liesse sich vielleicht sagen, dass unzählige Menschen davon leben, dass es Hühner oder davon, dass es Fische gibt; aber die Fische und Hühner leben nicht davon, sondern sterben daran. Auch wäre sogar zu bemerken, dass unsere Hühner und Fische selbst eine Weile davon leben, dass sie sterben müssen: Aber dieser ganze Vergleich scheitert daran, dass man von diesen Geschöpfen weiss, was sie sind, dass es sie wirklich gibt und dass sie keine Störung der Fisch- oder Hühnerzucht mitsichbringen, wogegen der Dichter ganz entschieden eine Störung der Geschäfte bedeutet, die sich auf der Dichtung aufbauen. Hat er Geld oder Glück, so wird man es mit ihm nicht so genau nehmen; sobald er sich aber vermässe, ohne diese beiden sein Erstgeburtsrecht zu beanspruchen, so müsste er, wohin er auch käme, nicht anders wirken als ein Gespenst, das den Einfall hat, uns an ein Darlehen zu erinnern, das unseren Urahnen zur Zeit der Griechen gewährt worden ist. Nach einigen belanglosen idealistischen Beteuerungen würde er in den Verlagen gefragt werden, ob er glaube, eine Dichtung verfertigen zu können, der ein Mindestabsatz von dreissigtausend Exemplaren gewiss sei; und in den Redaktionen würde ihm angeboten werden, kleine Geschichten zu schreiben, die sich aber, was gewiss nur natürlich sei, in die Bedürfnisse einer Zeitung zu schicken hätten. Er aber müsste erwidern, dass er sich darauf nicht verstehe; und ebenso könnte er in Bühnenvertrieben, Buchgemeinderäten und anderen Kulturgenossenschaften nur eine berechtigte Missstimmung erregen. Denn man will ihm überall wohl und hat, da er sich weder für Kassenstücke, noch Unterhaltungsromane, noch Tonfilme eignet, das dunkle Gefühl, wenn man all das zusammentue, was dieser Mann nicht könne, so bleibe vielleicht wirklich nur übrig, dass er eine ungewöhnliche Begabung sei. Aber dann kann man ihm eben auch nicht helfen, und man müsste kein Mensch sein, wenn man ihm das schliesslich nicht übelnähme, um Ruhe vor ihm zu haben.
Als einmal ein solches Gespenst verdurstet um die Einnahmequellen Berlins strich, gab dem ein junger, behender, prangender Schriftsteller, der die entlegensten Verdienstmöglichkeiten bemeisterte und darum das Gefühl hatte, dass er es auch nicht leicht habe, erschüttert mit den Worten Ausdruck: Herrgott, wenn ich so viel Talent hätte wie dieser Esel, was würde ich damit anfangen! Er irrte sich.
Es heisst, die Bücher hätten heute keine Grösse und die Schriftsteller vermöchten grosse nicht mehr zu schreiben. Das mag unbestritten bleiben; aber wie wäre es, den Satz einmal umzukehren und die Annahme zu erproben, die deutschen Leser vermöchten nicht mehr zu lesen? Wächst nicht mit der Länge des Gelesenen, vornehmlich wenn dieses wirklich eine Dichtung ist, in steigenden Potenzen ein bis dahin unaufgeklärter Widerstand, der nicht das gleiche wie Missfallen ist? Es geschieht nicht anders, als ob die Pforte, durch die ein Buch eintreten soll, krankhaft gereizt wäre und sich eng verschlösse. Viele Menschen befinden sich heute, wenn sie ein Buch lesen, in keinem natürlichen Zustand, sondern fühlen sich einer Operation unterworfen, in die sie kein Vertrauen haben.
Forscht man der Quelle nach und lauscht den Gesprächen darüber, so erfährt man, dass der Leser — der gute Leser, der kein Buch von Bedeutung auslässt und der die Genies des Tages und des Zeitalters ernennt! — man erfährt, dass selbst dieser Leser meistens treulos bereit zu dem Zugeständnis ist, sofern er nur auf starken Widerstand stösst, dass, wirklich ernst genommen, das von ihm begünstigte Genie vielleicht kein Genie sei und dass es wirkliches Genie heute wohl überhaupt nicht gebe. Diese Erfahrung ist aber keineswegs nur auf die Schöne Literatur beschränkt. Auch dass die Medizin sich verfahren, die Mathematik sich verstiegen habe, der Philosophie der Begriff ihres Tuns verloren gegangen sei: an allen Ecken und Enden lässt sich der Laie heute so über den Fachmann vernehmen. Und da auch jeder Fachmann in Hunderten anderer Fächer Laie ist, ergibt das eine sehr grosse Summe übler Meinung.
Nun ist es natürlich schwer, auf den Zentimeter genau zu sagen, wie gross die vorhandenen Dichter, Denker und Forscher sind; aber darum handelt es sich auch gar nicht bei dieser Erscheinung, denn es stellt sich alsbald heraus, dass sie in ihrem Aufbau dem des bekannten alten Kinderspiels „Schwarzer Peter” gleicht. Die Dichter finden nicht etwa sich selbst, sondern die Forscher, Denker, Techniker und anderen Lichtspender ungenügend, und ebenso verhält es sich mit diesen. Mit einem Wort, dieser Kulturpessimismus, der jeden zu bedrücken scheint, geht grundsätzlich immer „auf Rechnung der andern”; und, trocken zusammengefasst: der Mensch als Kulturkonsument ist mit dem Menschen als Kulturproduzenten auf eine heimtückische Weise unzufrieden.
Das verträgt sich aber auf wundersame Art mit seinem Gegenteil; denn nicht seltener, als sich die Klage vernehmen lässt, dass es wahres Genie nicht mehr gebe, lässt sich unter uns die Beobachtung anstellen, dass es nur noch Genie gibt. Man darf, wenn man die Nachrichten und Kritiken unserer Zeitschriften und Zeitungen eine Weile durchblättert, wahrhaft staunen, wieviel erschütternde Seelenverkünder, grösste, tiefste und ganz grosse Meister binnen wenigen Monaten erscheinen; und wie oft im Lauf solcher kurzen Zeit „endlich einmal wieder ein wahrer Dichter” der Nation geschenkt wird; und wie oft die schönste Tiergeschichte und der beste Roman der letzten zehn Jahre geschrieben werden. Einige Wochen später kann sich kaum noch jemand an diesen unvergesslichen Eindruck erinnern.
Es lässt sich damit die zweite Beobachtung verbinden, dass die Ursprünge fast aller solchen Urteile in Kreisen liegen, die hermetisch gegeneinander abgedichtet sind. Sie werden gebildet von zusammengehörenden Verlagen, Autoren, Kritikern, Blättern, Lesern und Erfolgen, die darüber nicht hinausreichen; und alle diese Kreislein und Kreise, deren Grösse einer Liebhaberei oder einer politischen Partei entsprechen kann, haben ihre Genies oder zumindest ihren Niemand mit dem Prädikat Ist-sonst-da. Um die erfolgreichsten Personen bildet sich allerdings ein Kreis aus allen Kreisen, aber das darf eigentlich nicht täuschen; es sieht wohl aus, als ob das wahrhaft Bedeutende doch nicht verkannt werden könnte und eine Nation vorfände, es aufzunehmen, aber in Wahrheit hat der viele versammelnde Erfolg ein sehr zwieträchtiges Elternpaar: denn nicht sowohl, was allen etwas mitteilt, wird bewundert, als vielmehr was jedem das Seine lässt. Und wie der Ruhm eine Mischung ist, sind denn auch die Berühmten eine gemischte Gesellschaft.
Beschränkt man sie nicht nur auf die Schöne Literatur, so wird ihr als Gruppe aufgenommenes Bild überwältigend. Denn nichts bedeutet der Kreis, der Ring, die Schule oder der ausgebreitete Erfolg um den und jenen, der eine anerkannte geistige Beschäftigung ausübt, vergleicht man es mit der Unzahl von Sekten, welche die Läuterung des Geistes vom Einfluss des Kirschenessens, vom Theater der Freilandsiedlung, von der musikalischen Gymnastik, von der Eubiotik oder einer von tausend anderen Sonderlichkeiten erwarten. Es ist gar nicht zu sagen, wie viele solche Rom es gibt, von denen jedes einen Papst hat, dessen Namen Uneingeweihte nie gehört haben, von dem sich aber Eingeweihte die Erlösung der Welt versprechen. Ganz Deutschland ist voll von solchen geistigen Landsmannschaften: und aus dem grossen Deutschland, wo berühmte Forscher nur von einer Lehrtätigkeit leben können und auserlesene Dichter gar nur vom Hausierhandel mit Feuilletons, aus diesem Deutschland strömen ungezählten Halbnarren Mittel und Teilnahme zur Entfaltung ihrer Schrullen, zum Druck von Büchern und zur Gründung von Zeitschriften zu. Darum sind zuletzt in Deutschland, vor seiner Verarmung, jährlich mehr als tausend neue Zeitschriften entstanden und über dreissigtausend Bücher erschienen, und es ist für ein weithin ragendes Zeichen geistiger Bedeutung gehalten worden.
Es ist leider mit weitaus grösserer Sicherheit anzunehmen, dass es ein nicht rechtzeitig beachtetes Zeichen eines sich ausbreitenden Beziehungswahns gewesen ist; von dem betroffen, tausende Grüppchen jedes für sich das Leben an einer fixen Idee befestigten, so dass es bald nicht mehr wundernehmen kann, wenn sich ein echter Paranoiker kaum noch des Wettbewerbs der Amateure wird erwehren können.
„Es ist leichter vorauszusagen, was die Welt in hundert Jahren tun wird, als wie sie in hundert Jahren schreiben wird. Warum? Die ganze Antwort eignet sich nicht für eine Tischrede.” (Aus einem unfertigen Buch, das die Frage ernster beantworten wird.)
Wenn einer, wie es zuweilen vorkommt, ein Theaterstück oder einen Roman wiedersieht, die vor zwanzig Jahren seine Seele im Verein mit anderen Seelen hingerissen haben, so erlebt er etwas, das eigentlich noch nie erklärt worden ist, weil es scheinbar jeder für natürlich hält: der Glanz ist weg, die Wichtigkeit ist weg, Staub und Motten fliegen bei der Berührung auf. Aber warum dieses Altern sein muss und was sich dabei eigentlich verändert, weiss man nicht. Die Komik aller Kunstjubiläen besteht darin, dass die alten Bewunderer so feierlich beunruhigte Gesichter machen, als ob ihnen der Kragenknopf hinter die Hemdbrust gerutscht wäre.
Es ist nicht das gleiche, wie einer alten Jugendgeliebten wieder zu begegnen, die mit den Jahren nicht schöner geworden ist. Denn dann begreift man zwar auch nicht mehr, was man einstens gestammelt hat, aber das hängt doch wenigstens mit der rührenden Vergänglichkeit alles Irdischen und dem bekannt unbeständigen Charakter der Liebe zusammen. Aber eine Dichtung, die man wiedersieht, ist wie eine Jugendgeliebte, die zwanzig Jahre in Spiritus gelegen hat: Nicht ein Härchen ist anders, und nicht ein Schüppchen der rosigen Epidermis hat sich verändert. Ein Schauer fasst dich an! Nun sollst du wieder sein, der du warst, der Schein besteht auf seinem Schein: das ist eine Streckfolter, bei der die Sohlen an ihrem Platz geblieben sind, aber der übrige Körper tausendmal um die sich drehende Erde gewickelt worden ist!
Gewesenes Kunsterlebnis wieder zu erleben ist auch anders, als anderen Gespenstern alter Erregungen und Begeisterungen zu begegnen: Feinden, Freunden, durchlärmten Nächten, überstandenen Leidenschaften. Alles dies ist samt seinen Bedingungen versunken, wenn es vorbei ist; es hat irgend einen Zweck erfüllt und ist von der Erfüllung aufgesogen worden; es war eine Strecke des Lebens oder eine Stufe der Person. Aber die gewesene Kunst diente zu nichts, ihr Einst hat sich unmerklich verloren und verlaufen, sie ist niemandes Stufe. Denn fühlt man sich wirklich höher stehen, wenn man auf das einst Bewunderte herabsieht? Man steht nicht höher, sondern bloss anderswo! Ja, ehrlich gesagt, wenn man auch vor einem älteren Bild mit wohligem, kaum unterdrückten Gähnen zur Kenntnis nimmt, dass man nicht mehr begeistert zu sein braucht, so ist man doch noch lange nicht begeistert davon, dass man nun die neuen bewundern soll. Man fühlt sich bloss von einem zeitlichen Zwang in den nächsten geraten, was keineswegs ausschliesst, dass man sich höchst freiwillig und aktiv gebart; Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit sind ja nicht durchaus Gegensätze, sie mischen sich auch halb und halb, so dass man schliesslich das Freiwillige unfreiwillig übertreibt oder das Unfreiwillige freiwillig, wie es im Leben oft vorkommt.
Dennoch steckt ein merkwürdiges Darüberhinaussein in diesem Anderswo. Es ist, wenn nicht alles trügt, als verwandt mit der Mode zu erkennen. Diese hat ja nicht nur die Eigenschaft, dass man sie nachträglich lächerlich findet, sondern auch die andere, dass man sich während ihrer Dauer schwer vorstellen kann, ein Mann, der nicht Zug um Zug ebenso lächerlich gekleidet sei wie man selbst, sei in seinen Ansichten ohne Vorbehalt ernst zu nehmen. Ich wüsste nicht, was bei unserer Bewunderung für die Antike einen angehenden Philosophen vor dem Selbstmord schützen könnte, wenn nicht der Umstand, dass Platon und Aristoteles keine Hosen trugen; die Hosen haben mehr, als man denkt, zum geistigen Aufbau Europas beigetragen, das ohne sie seinen klassisch-humanistischen Minderwertigkeitskomplex in Ansehen der Antike wahrscheinlich niemals losgeworden wäre. So ist es unser tiefstes Zeitgefühl, dass wir mit niemand tauschen möchten, der nicht in zeitgenössischen Kleidern lebt. Und auch in der Kunst haben wir wohl nur deshalb mit jedem neuen Jahr das Gefühl des Fortschritts; obgleich es vielleicht bloss Zufall ist, dass die Bilderausstellungen gemeinsam mit den neuen Moden auf das Frühjahr und den Herbst entfallen. Dieses Fortschrittsgefühl ist nicht angenehm. Es erinnert aufs äusserste an einen Traum, wo man auf einem Pferd sitzt und nicht herunter kann, weil es keinen Augenblick stillsteht. Man möchte sich gern über den Fortschritt freuen, wenn er bloss ein Ende hätte. Man möchte gern einen Augenblick anhalten und vom hohen Ross zur Vergangenheit sprechen: Sieh, wo ich bin! Aber schon geht die unheimliche Entwicklung weiter, und wenn man das einigemal mitgemacht hat, so beginnt man sich jämmerlich zu fühlen, mit vier fremden Beinen unter dem Bauch, die unentwegt fortschreiten.
Welche Schlüsse wären nun aber daraus zu ziehen, dass es ebenso lächerlich-unangenehm ist, ältere Moden anzusehn, solange sie noch nicht Kostüm geworden sind, wie es lächerlich-unangenehm ist, ältere Bilder anzusehn, oder Hausfassaden, und Bücher von gestern zu lesen? Offenbar kein anderer als der, dass wir uns selbst unangenehm werden, sobald wir einen gewissen Abstand von uns haben. Diese Strecke des Schreckens vor uns selbst beginnt einige Jahre vor Jetzt und endet ungefähr bei den Grosseltern, also dort, wo wir anfangen, ganz unbeteiligt zu sein. Erst was dort beginnt, ist nicht mehr veraltet, sondern alt, es ist unsere Vergangenheit, und nicht mehr das, was von uns vergangen ist. Was wir aber selbst getan haben und gewesen sind, liegt fast zur Gänze in der Strecke des Schreckens. Es wäre wahrhaft unerträglich, an alles erinnert zu werden, was man einmal für das Wichtigste gehalten hat, und die meisten Menschen, wenn man ihnen in vorgerückterem Alter tonfilmisch noch einmal ihre grössten Gebärden und Auftritte vorführte, fänden sich erstaunlich wenig ansprechend. Wie ist das zu erklären? Offenbar liegt im Wesen des Irdischen eine Uebertreibung, ein Superplus und Ueberschwang. Selbst zu einer Ohrfeige braucht man ja mehr, als man verantworten kann. Dieser Enthusiasmus des Jetzt verbrennt, und sobald er unnötig geworden ist, löscht ihn das Vergessen aus, das eine sehr schöpferische und inhaltsreiche Tätigkeit ist, durch die wir recht eigentlich erst, und fortlaufend immer von neuem, als jene unbefangene, angenehme und folgerichtige Person erstehen, um deretwillen wir alles in der Welt gerechtfertigt finden.
Darin stört uns die Kunst. Von ihr geht nichts aus, was ohne Enthusiasmus bestehen bleiben könnte. Sie ist sozusagen nur Enthusiasmus ohne Knochen und Asche, reiner Enthusiasmus, der zu nichts verbrennt, und doch im Rahmen oder zwischen Buchdeckeln hängen bleibt, als wäre nichts geschehen. Sie wird niemals unsere Vergangenheit, sondern bleibt immer unser Vergangenes. Begreiflicherweise blicken wir sie alle zehn oder fünfundzwanzig Jahre beklommen an!
Eine Ausnahme davon macht die grosse Kunst, freilich das, was streng genommen, allein Kunst heissen sollte. Aber das hat überhaupt nie so recht in die Gesellschaft der Lebenden gehört.
Zeitlupenaufnahmen tauchen unter die bewegte Oberfläche, und es ist ihr Zauber, dass sich der Zuschauer zwischen den Dingen des Lebens gleichsam mit offenen Augen unter Wasser umherschwimmen sieht. Das hat der Film volkstümlich gemacht; aber es ist schon lange vor ihm auf eine Weise zu erleben gewesen, die sich noch heutigentags durch ihre Bequemlichkeit empfiehlt: indem man nämlich durch ein Fernrohr etwas betrachtet, das man sonst nicht durch ein Fernrohr ansieht. In der Folge ist ein solcher Versuch beschrieben.
Als Gegenstand diente zu Beginn ein Anschlag am Tor eines schönen alten Hauses, das dem Beobachtungsort gegenüber lag und ein bekanntes staatliches Institut beherbergte; dieser Anschlag verkündete, bei Gebrauch des Triëders, dass das staatliche Institut von neun bis sechzehn Uhr Amtsstunden habe. Schon da erstaunte der Beobachter; denn es war fünfzehn Uhr, und nicht nur war weit und breit kein Beamter mehr zu erblicken, sondern er entsann sich auch nicht, jemals um diese Stunde mit unbewaffnetem Auge einen gesehen zu haben. Endlich entdeckte er hinter einem entlegenen Fenster zwei winzige, dicht nebeneinander stehende Herren, die mit den Fingern an die Scheiben trommelten und auf die Strasse hinabsahen. Aber er entdeckte sie nicht nur, sondern wie sie nun, in dem kleinen Kreis seines Instruments gefangen, dastanden, verstand er sie auch herzlich und bemerkte mit Stolz, wie wichtig das Triedern für Beamte noch werden könne, und überhaupt für Männer, die eine geheiligte Zahl von Bürostunden abzusitzen haben.
Als zweites kam dann das Haus daran, worin sich das beobachtete Amt befand. Es war ein altes Palais, mit Fruchtgewinden am Kapitäl der Steinpfeiler und schöner Gliederung nach der Höhe und Breite, und während der Späher noch die Beamten gesucht hatte, war ihm schon aufgefallen, wie deutlich sich dieses Pfeilerwerk, diese Fenster und Gesimse ins Fernglas hineinstellten; nun, da er sie mit einem gesammelten Blick erfasste, erschrak er beinahe vor der steinernen perspektivischen Korrektheit, mit der sie zu ihm herüberblickten. Er wurde plötzlich inne, dass er bisher diese zu einem Punkt im Hintergrund zusammenlaufenden Wagrechten, diese, je weiter seitlich, umso trapezförmiger, zusammengezogenen Fenster, ja diesen ganzen Absturz vernünftiger, gewohnter Begrenzungen in einen irgendwo seitlich und hinten gelegenen Trichter der Verkürzung nur für einen Alp der Renaissance gehalten hatte: eigentlich für eine grauenvolle Malersage vom Verschwinden der Linien, die gerüchtweise übertrieben werde, wenn auch etwas Richtiges an ihr sein möge. Nun sah er sie aber überlebensgross, und weit schlimmer als das unwahrscheinlichste Gerücht, vor seinen eigenen Augen.
Wer es nicht glaubt, dass die Welt so ist, der triedere die Strassenbahn. Vor dem Palais machte sie einen S-förmigen Doppelbogen. Ungezähltemal hatte sie unser Beobachter von seinem zweiten Stockwerk aus daherkommen, eben diesen S-förmigen Doppelbogen machen und wieder davonfahren gesehen; sie, die Strassenbahn: in jedem Augenblick dieser Entwicklung der gleiche längliche rote Wagen. Als er sie nun durch das Trieder betrachtete, bemerkte er aber etwas völlig Anderes: Eine unerklärliche Gewalt drückte plötzlich diesen Kasten zusammen wie eine Pappschachtel, seine Wände stiessen immer schräger aneinander, gleich sollte er platt sein; da liess die Kraft nach, er fing hinten an breit zu werden, durch alle seine Flächen lief wieder eine Bewegung, und während der verdutzte Augenzeuge noch den angehaltenen Atem aus der Brust lässt, ist die alte, vertraute rote Schachtel wieder in Ordnung. Das geschah nun, als er mit dem Glas zusah, alles so deutlich an dem öffentlichen Ding, und nicht etwa persönlich bloss in seinem Auge, dass er darauf hätte schwören mögen, es sei nicht minder wirklich, als wenn ein Fächer geöffnet und geschlossen wird. Und wer es nicht glauben will, der kann es nachprüfen. Er bedarf nur einer Wohnung dazu, auf die eine Strassenbahn in S-förmiger Schleife zukommt.
Sobald diese Entdeckung gemacht war, sah sich der Entdecker natürlich die Frauen an; und da enthüllte sich ihm die ganze unverwüstliche Bedeutung menschlichen Kuppelbaus. Was rund ist an der Frau, und damals nach dem Willen der Mode noch sorgfältiger verheimlicht wurde als heute, so dass es bloss als kleine rhythmische Unebenheit im knabenhaften Fluss der Bewegung erschien, wölbte sich unter dem unbestechlichen Blick des Trieders wieder zu den ureinfachen Hügeln, aus denen die ewige Landschaft der Liebe besteht. Rings darum öffneten und schlossen sich, aufgeregt von jedem Schritt, unerwartet viel wispernde Falten im Kleid. Sie verkündeten dem gewöhnlichen Auge das unantastbare Ansehen der Trägerin oder das Lob des Schneiders und verrieten heimlich, was nicht gezeigt wird; denn in Vergrösserung gesehn, werden Impulse zur Ausführung, und durch ein Glas beobachtet, wird jede Frau eine psychologisch belauschte Susanna im Bade des Kleides. Es war aber überraschend, wie bald sich solche kennerhafte Neugierde unter der unverrückbaren und offenbar etwas boshaften Ruhe des Triederblicks verflüchtigte und bloss noch als ein Gefackel und Geflacker zwischen den ewigen, sich gleichbleibenden Werten ausnahm, die keine Psychologie brauchen.
Genug davon! Das beste Mittel gegen einen anzüglichen Missbrauch dieses weltanschaulichen Werkzeugs ist es, an seine Theorie zu denken. Sie heisst Isolierung. Man sieht Dinge immer mitsamt ihrer Umgebung an und hält sie gewohnheitsmässig für das, was sie darin bedeuten. Treten sie aber einmal heraus, so sind sie unverständlich und schrecklich, wie es der erste Tag nach der Weltschöpfung gewesen sein mag, ehe sich die Erscheinungen aneinander und an uns gewöhnt hatten. So wird auch in der glashellen Einsamkeit alles deutlicher und grösser, aber vor allem wird es ursprünglicher und dämonischer. Ein Hut, der eine männliche Gestalt nach schöner Sitte krönt, eins mit dem Ganzen des Mannes von Welt und Macht, durchaus ein nervöses Gebilde, ein Körper-, ja sogar ein Seelenteil, entartet augenblicklich zu etwas Wahnsinnähnlichem, wenn das Trieder seine romantischen Beziehungen zur Umwelt unterbindet und die richtigen optischen herstellt. Die Anmut einer Frau ist tödlich durchschnitten, sobald sie das Glas vom Rocksaum aufwärts als einen sackartigen Raum erfasst, aus dem zwei geknickte kurze Stelzchen hervorkommen. Und wie beängstigend wird das Zähnefletschen der Liebenswürdigkeit und wie säuglingshaft komisch der Zorn, wenn sie sich, von ihrer Wirkung getrennt, hinter der Sperre des Glases befinden! Zwischen unseren Kleidern und uns und auch zwischen unseren Bräuchen und uns besteht ein verwickeltes moralisches Kreditverhältnis, worin wir ihnen erst alles leihen, was sie bedeuten, und es uns dann mit Zinseszins wieder von ihnen ausborgen; darum nähern wir uns auch augenblicklich dem Bankerott, wenn wir ihnen den Kredit kündigen.
Natürlich hängen damit die vielbelächelten Torheiten der Mode zusammen, die den Menschen ein Jahr lang verlängern und in einem andern Jahr verkürzen, die ihn dick machen und dünn, die ihn bald oben breit und unten schmal, bald oben schmal und unten breit machen, die in einem Jahr alles an ihm empor und im nächsten alles wieder bergab kämmen, die seine Haare nach vorn und hinten, rechts und links streichen. Sie stellen, wenn man sie ohne alles Mitfühlen betrachtet, eine überraschend geringe Anzahl von geometrischen Möglichkeiten dar, zwischen denen auf das leidenschaftlichste abgewechselt wird, ohne die Ueberlieferung jemals ganz zu durchbrechen. Werden auch noch die Moden des Denkens, Fühlens und Handelns einbezogen, von denen ähnliches gilt, so erscheint unsere Geschichte dem empfindlich gewordenen Auge kaum anders als ein Pferch, zwischen dessen wenigen Wänden die Menschenherde besinnungslos hin und her stürzt. Und doch, wie willig folgen wir dabei den Führern, die eigentlich selbst nur entsetzt voranfliehen, und welches Glück grinst uns aus dem Spiegel entgegen, wenn wir Anschluss haben, aussehen wie alle, und alle anders aussehen als gestern! Warum das alles?! Vielleicht befürchten wir mit Recht, dass unser Charakter wie ein Pulver auseinanderfallen könnte, wenn wir ihn nicht in eine öffentlich zugelassene Tüte stecken.
Der Beobachter endete schliesslich bei den Füssen, das heisst an der Stelle, wo sich der Mensch aus dem Tierreich erhebt. Und wie unheimlich ist sie bei Mann und Frau! Man weiss ja auch davon einiges schon aus dem Kino, wo berühmte Helden und Heldinnen eilig aus dem Hintergrund hervorwatscheln wie Enten. Aber das Kino dient der Liebe zum Dasein und bemüht sich, dessen Schwächen zu beschönigen, was ihm denn auch mit fortschreitender Technik gelingt. Ganz anders das Trieder! Unerbittlich hält es darauf zu zeigen, wie lächerlich sich die Beine oben von den Hüften abstossen und wie täppisch sie unten auf Absatz und Sohle landen; das schwankt nicht nur unmenschlich und kommt mit dem dicken Ende zuerst an, sondern vollführt auch dazwischen meistens noch die aufschlussreichsten persönlichen Grimassen. Der Mann hinter dem Instrument hatte binnen fünf Minuten zwei solche Fälle beobachten können. Kaum hatte er einen jungen Kavalier mit Sportkappe aufs Korn genommen, dessen Socken wie der Hals einer Ringeltaube gestreift waren, als er auch schon gewahrte, wie dieser gelassen neben seinem Mädchen als Gebieter Schlendernde bei jedem seiner langsamen Schritte das Bein mit einem angestrengten winzigen Ruck aus dem Stand schleudern musste. Kein Arzt, kein Mädchen, auch nicht er ahnte noch das Grauen, das ihm bevorstand; bloss das Trieder löste die kleine Gebärde der Hilflosigkeit aus der allseitigen Harmonie der Brutalität und liess die heranwachsende Zukunft im Bild erscheinen! Etwas Harmloseres geschah an dem freundlichen, rundlichen Mann in den besten Jahren, der rasch daherkam und der Welt eine wohlwollende, zutuliche Art des Gehens darbot: Nach einem Schnitt durch die Mitte, der die Beine auspräparierte, kam augenblicklich hervor, dass der Fuss ganz scheusslich einwärts aufgekantet wurde; und nun, da an dieser Stelle der Schein durchbrochen war, pendelten auch die Arme eigensinnig in den Schulterpfannen, die Schultern zogen am Genick, und statt eines Ganzen des Wohlwollens war mit einem Male ein menschliches System zu sehen, das nur darauf bedacht war, sich selbst zu behaupten, und gar nichts für andere übrighatte!
Auf solche Weise trägt also das Fernglas sowohl zum Verständnis des einzelnen Menschen bei als auch zu einer sich vertiefenden Verständnislosigkeit für das Menschsein. Indem es die gewohnten Zusammenhänge auflöst und die wirklichen entdeckt, ersetzt es eigentlich das Genie oder ist wenigstens eine Vorübung dazu. Vielleicht empfiehlt man es aber gerade darum vergeblich. Benutzen doch die Menschen das Glas sogar im Theater dazu, die Illusion zu erhöhen, oder im Zwischenakt um nachzusehen, wer da ist, wobei sie nicht das Unbekannte suchen, sondern die Bekannten.
Es gibt viele Menschen, die sich von ihren Vergnügungsreisen an berühmte Orte führen lassen. Sie trinken in ihrem Hotelgarten Bier, und wenn sie dazu angenehme Bekanntschaften machen, freuen sie sich schon auf die Erinnerung. Am letzten Tag gehen sie bis zum nächsten Papierladen; dort kaufen sie Ansichtskarten, und dann kaufen sie noch beim Kellner Ansichtskarten. Die Ansichtspostkarten, welche diese Menschen kaufen, sehen in der ganzen Welt einander ähnlich. Sie sind koloriert; die Bäume und Wiesen giftgrün, der Himmel pfaublau, die Felsen sind grau und rot, die Häuser haben ein geradezu schmerzendes Relief, als könnten sie jeden Augenblick aus der Fassade fahren; und so eifrig ist die Farbe, dass sie gewöhnlich auch noch auf der anderen Seite ihrer Kontur als schmaler Streif mitläuft. Wenn die Welt so aussähe, könnte man wirklich nichts Besseres tun, als ihr eine Marke aufzukleben und sie in den nächsten Kasten zu werfen. Auf diese Ansichtskarten schreiben diese Menschen: „Hier ist es unbeschreiblich schön” oder: „Hier ist es herrlich” oder: „Schade, dass Du diese Pracht nicht mit mir sehen kannst”. Manchmal schreiben sie auch: „Du kannst Dir keine Vorstellung machen, wie schön es hier ist” oder: „wie wir hier schwelgen!”
Man muss diese Leute aber nur richtig verstehen! Sie freuen sich sehr, dass sie auf der Reise sind und so viele schöne Dinge sehn, die andre nicht sehen können; aber es bereitet ihnen Pein und Verlegenheit, diese Dinge anzuschaun. Wenn ein Turm höher ist als andere Türme, ein Abgrund tiefer als die gewöhnlichen Abgründe oder ein berühmtes Bild besonders gross oder klein ist, so geht es ja an, denn dieser Unterschied lässt sich festhalten und erzählen; sie versuchen darum auch, einen berühmten Palast immer besonders weitläufig zu finden oder besonders alt, und unter den Landschaften bevorzugen sie die wilden. Könnte man sie bloss über Fahrpläne, Hotelpreise und Uniformen täuschen (aber gerade das kann man nie!) und sie unversehens auf einen Felsen in der Sächsischen Schweiz setzen, so vermöchte man ihnen einen echten Matterhornschauer einzureden, denn schwindlig genug ist es auch in Sachsen. Wenn aber etwas nicht hoch, tief, gross, klein oder auffallend angestrichen, kurzum wenn etwas nicht etwas ist, sondern bloss schön, dann würgen sie wie an einem grossen, glatten Bissen, der nicht hinauf- und nicht hinabgeht, der zu nachgiebig ist, an ihm zu ersticken, und zu unnachgiebig, als dass man ein Wort hervorbringen könnte. So entstehen eben jene Och! und Ach!, die peinliche Erstickungslaute sind. Man kann sich nicht gut mit den Fingern in den Hals greifen; und eine bessere Art, die nötigen Worte aus dem Mund zu bringen, hat man nicht gelernt. Es ist unrecht, sich darüber lustig zu machen. Diese Ausrufe drücken eine sehr schmerzliche Beklemmung aus.
Geschulte Kunstbetrachter haben natürlich ganz besondere Handgriffe dafür, und über diese wäre nun freilich auch mancherlei zu sagen; aber das könnte wohl zu weit führen. Trotz aller Beklemmung fühlen übrigens auch die unverdorbenen Menschen eine ehrliche Freude, wenn sie etwas anerkannt Schönes betrachten dürfen. Diese Freude hat merkwürdige Abstufungen. Sie enthält zum Beispiel den gleichen Stolz, wie wenn man erzählen kann, man sei an einem Bankgebäude gerade zu der Stunde vorbeigekommen, wo der berühmte Defraudant X. daraus entflohen sein müsse; andere Leute beseligt es schon, die Stadt zu betreten, wo Goethe acht Tage geweilt hat, oder den angeheirateten Vetter der Dame zu kennen, die als erste den Aermelkanal durchschwommen hat; ja, es gibt Menschen, die es bereits als etwas Besonderes empfinden, überhaupt in einer so grossen Zeit zu leben. Es scheint sich immer um irgendein Dabeigewesensein zu handeln; aber zu leicht darf es im allgemeinen nicht sein, es muss einen Hauch von persönlicher Erlesenheit besitzen. Denn so sehr die Menschen es leugnen, indem sie behaupten, ganz von ihren Tätigkeiten ausgefüllt zu sein, haben sie eine kindische Freude an persönlichen Erlebnissen und jener nicht zu beschreibenden Bedeutung, die man durch sie erhält. Ihr „persönliches Schicksal” berührt sie dann, was eine ganz sonderbare Sache ist. „Eben hatte er noch mit mir gesprochen, und dann glitt er aus und brach sich das Bein ...!”: wenn sie so etwas sagen können, fühlen sie, dass hinter dem grossen blauen Fenster mit den Wolkengardinen jemand lange gestanden ist und sie angeschaut hat.
Und man wird es vielleicht nicht glauben, aber wirklich meistens nur aus diesem Grund geschieht es, dass man selbst in die Orte reist, von denen man Ansichtskarten kauft, was ja an und für sich ganz unverständig wäre, da es doch viel einfacher ist, sich die Karten kommen zu lassen. Und darum müssen diese Karten auch unabweislich- und überlebensschön sein; wenn sie einmal natürlich werden sollten, wird die Menschheit etwas verloren haben. „So sieht es offenbar hier aus” — sagt man und betrachtet sie misstrauisch; dann schreibt man darunter: Du machst dir keine Vorstellung, wie schön das ist ..! Es ist die gleiche Wendung, mit der ein Mann einem anderen anvertraut: Du kannst dir keine Vorstellung machen, wie sehr sie mich liebt ...
Wenn es sehr heiss ist und man einen Wald sieht, so singt man: „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?” Das geschieht mit automatischer Sicherheit und gehört zu den Reflexbewegungen des deutschen Volkskörpers. Je ohnmächtiger die von Hitze aufgequollene Zunge schon überall im Munde anstösst und je ähnlicher einer Haifischhaut die Kehle bereits geworden ist, desto empfindungsvoller reissen sie die letzte Kraft zu einem musikalischen Finish zusammen und beteuern, dass sie den Meister loben wollen, solang’ noch die Stimm’ erschallt. — Dieses Lied wird mit der ganzen Unbeugsamkeit jenes Idealismus gesungen, den am Ende aller Leiden ein Getränk erwartet.
Man braucht sich aber nur, wer immer es sei, einmal durch längere Zeit in der Gegend jenes hitzeschwangeren vierzigsten Fiebergrads befunden zu haben, wo der Grenzverkehr zwischen Tod und Leben beginnt, um allen Spott über dieses Lied fahren zu lassen. Man liegt dann — angenommen: nach einem schweren Unglücksfall, operiert und doch wieder ganz geworden — als Genesender in dem schönen Sanatorium eines Kurorts, in weisse Tücher und Decken gehüllt, auf einem luftüberströmten Balkon, und die Welt ist ein nur fernes Summen; jede Wette, wenn das Sanatorium diese Möglichkeit hat, wird man auch so gebettet, dass man wochenlang nichts vor Augen sieht als das steile, grüne Waldzelt eines Berges. Man wird so geduldig wie ein Kiesel in einem Bach, um den das Wasser spült. Das Gedächtnis ist noch voll Fieber und der überstandenen süssen Trockenheit nach der Narkose. Und man erinnert sich bescheiden, dass man in den Tagen und Nächten, wo Tod und Leben miteinander stritten und die tiefsten oder doch letzten Gedanken am Platz gewesen wären, rein nichts gedacht hat, als immer das gleiche: wie man auf einer Hochsommerwanderung sich dem kühlen Saum eines Waldes nähert. Immer von neuem taucht die Einbildung aus der galligen Glut der Sonne in das feuchte Dunkel, um sogleich wieder zwischen prallen Feldern von neuem heranwandern zu müssen. Wie wenig bedeuten Gemälde, Romane, Philosophien in solchen Augenblicken! In diesem Zustand der Schwäche schliesst sich das, was einem an Körper geblieben ist, wie eine fiebernde Hand, und die geistigen Wünsche schmelzen darin weg, wie Körnchen Eis, die nicht zu kühlen vermögen. Man nimmt sich vor, fortab ein Leben zu führen, das so alltäglich wie nur möglich sein werde, von ernsten Bemühungen um Wohlhabenheit und ihre Genüsse erfüllt, die so einfach und unveränderlich sind wie der Geschmack der Kühle, des Behagens und der friedlichen Tätigkeit. Oh, man verabscheut alles Ungewöhnliche, Anstrengende und Geniale, solange man krank ist, und sehnt sich nach den ewigen, von Mensch zu Mensch gleichen, gesunden Mittelwerten. Steckt darin ein Problem? Mag es warten! Einstweilen ist es die wichtigere Frage, ob in einer Stunde Hühnerbouillon oder schon etwas Erquicklicheres auf den Tisch kommt, und man summt vor sich hin: „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben ...” Das Leben erscheint so sonderbar gerade gebogen; denn, nebenbei bemerkt, auch musikalisch ist man vordem nie gewesen.
Aber allmählich schritt die Genesung fort, und mit ihr kehrte der böse Geist wieder. Man stellt Beobachtungen an. Gegenüber dem Balkon steht noch immer das grüne Waldzelt eines Berges, man brummt ihm noch immer das dankbare Lied zu, das nun einmal nicht abzuschütteln ist; aber eines Tages nimmt man Kenntnis davon, dass der Wald nicht bloss aus einer Notenfolge, sondern aus Bäumen besteht, die man vor Wald nicht bemerkt hat. Wenn man scharf hinsieht, kann man sogar erkennen, dass diese freundlichen Riesen sich Licht und Boden mit dem Futterneid von Pferden streitig machen. Still stehen sie beisammen, hier vielleicht eine Gruppe Fichten, dort eine Gruppe Buchen; es sieht so natürlich dunkel und hell aus wie gemalt und so moralisch erbaulich wie der schöne Zusammenhalt von Familien, aber in Wahrheit ist es der Abend einer tausendjährigen Schlacht. Gibt es denn nicht gelehrte Kenner der Natur, von denen wir erfahren können, dass die reckenhafte Eiche, heute fast schon ein Sinnbild der Einsamkeit, einst in unabsehbaren Heeren ganz Deutschland überzogen hat? Dass die Fichte, die jetzt alles andere verdrängt, ein später Eindringling ist? Dass irgendwann eine Zeit des Buchenreiches aufgerichtet worden ist, und ein anderes Mal ein Imperialismus der Erlen? Es gibt eine Baumwanderung, wie es eine Völkerwanderung gibt, und wo du einen einheitlichen urwüchsigen Wald siehst, ist es ein Heerhaufen, der sich auf dem erkämpften Schlachthügel befestigt hat; und wo dir gemischter Baumschlag das Bild friedlichen Beisammenseins vorzaubert, sind es versprengte Streiter, zusammengedrängte Reste feindlicher Scharen, die einander vor Erschöpfung nicht mehr vernichten können!
Immerhin ist das noch Poesie, wenn es auch gerade nicht die des Friedens ist, den wir im Walde suchen; die wahre Natur ist auch darüber schon hinaus. Genese an ihrem Herzen, und du wirst — sofern man dir alle Vorzüge moderner Natur bietet — mit zunehmender Kräftigung eines Tages auch noch die zweite Beobachtung machen, dass ein Wald meistens aus Bretterreihen besteht, die oben mit Grün verputzt sind. Das ist keine Entdeckung, sondern nur ein Eingeständnis; ich vermute, man könnte den Blick gar nicht ins Grün tauchen, wenn es nicht schon mit schnurgeraden Spalten dafür angelegt wäre. Die schlauen Förster sorgen bloss für ein wenig Unregelmässigkeit, für irgendeinen Baum, der hinten etwas aus der Reihe tritt, um den Blick abzufangen, einen querlaufenden Schlag oder einen gestürzten Stamm, den man sommersüber liegen lässt. Denn sie haben ein feines Gefühl für die Natur und wissen, dass man ihnen mehr nicht glauben möchte. Urwälder haben etwas höchst Unnatürliches und Entartetes. Die Unnatur, die der Natur zur zweiten Natur geworden ist, fällt in ihnen in Natur zurück. Ein deutscher Wald macht so etwas nicht.
Ein deutscher Wald ist seiner Pflicht bewusst, dass man von ihm singen könne: Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, solang’ noch meine Stimm’ erschallt! Der Meister ist ein Forstmeister, Oberforstmeister oder Forstrat, und hat den Wald so aufgebaut, dass er mit Recht sehr böse wäre, wenn man darin seine sachkundige Hand nicht sofort bemerken wollte. Er hat für Licht, Luft, Auswahl der Bäume, für Zufahrtswege, Lage der Schlagplätze und Entfernung des Unterholzes gesorgt und hat den Bäumen jene schöne, reihenförmige, gekämmte Anordnung gegeben, die uns so entzückt, wenn wir aus der wilden Unregelmässigkeit der Grossstädte kommen. Hinter diesem Forstmissionar, der einfältigen Herzens den Bäumen das Evangelium des Holzhandels predigt, steht eine Güterdirektion, Domänenverwaltung oder fürstliche Kammer und schreibt es vor. Nach ihren Anordnungen entstehen soundso viel tausend Holzmeter freier Aussicht oder jungen Grüns alljährlich, sie verteilt die herrlichen Blicke und den kühlen Schatten. Aber nicht in ihrer Hand ruht das letzte Geschick. Noch höher als sie thronen in der Reihe der Waldgötter der Holzhändler und seine Abnehmer, die Sägewerke, Holzstoffabriken, Bauunternehmer, Schiffswerften, Pappwaren- und Papiererzeuger ... Hier verliert sich der Zusammenhang in jenes namenlose Geschling, jenen gespenstischen Güter- und Geldkreislauf, welcher selbst einem Menschen, der vor Armut aus dem Fenster springt, die Gewissheit gibt, dass er durch die Folgen einen wirtschaftlichen Einfluss ausübt, und der auch dich, wenn du im verzweifelten Sommer der Grossstadt deine Hose auf einer Holzbank und eine Holzbank an deiner Hose abwetzt, zum Geburtenregler von Wollschafen und Wäldern macht, die alle der Teufel holen möge.
Soll man nun singen: Wer hat dich, du schönes Magazin der Technik und des Handels, aufgebaut so hoch da droben? Wohl die Ameisensäuregewinnung (aus der Holzfaser; aber je nach den Umständen auch andre Verwertungsarten) will ich loben, solang’ noch meine Stimm’ erschallt! — ? Die Frage wird allgemein verneint werden. Noch ist der Ozon des Waldes da, noch seine sanfte grüne Masse, seine Kühle, seine Stille, seine Tiefe und Einsamkeit. Es sind unausgenutzte Nebenprodukte der Forsttechnik und so herrlich überflüssig, wie es der Mensch auf Urlaub ist, wenn er nichts ist als er selbst. Darin besteht noch immer eine tiefe Verwandtschaft. Der Busen der Natur ist zwar künstlich, aber auch der Mensch auf Urlaub ist ein künstlicher Mensch. Er hat sich vorgenommen, nicht an Geschäfte zu denken; das bedeutet nahezu ein inneres Schweigegebot, nach kurzer Zeit wird alles unsäglich still und öd vor Glück in ihm. Wie dankbar ist er dann für die kleinen Zeichen, leisen Worte, welche die Natur für ihn bereit hat! Wie schön sind Wegmarkierungen, Inschriften, die verraten, dass es noch eine Viertelstunde bis zum Wirtshaus Waldruhe dauert, Bänke und verwitterte Tafeln, welche die zehn Verbote der Forstverwaltung verkünden; die Natur wird beredt! Wie glücklich ist er, wenn er Teilnehmer findet, um auf einer Landpartie gemeinsam der Natur entgegenzutreten; Genossen für ein Kartenspiel im Grünen oder eine Bowle bei Sonnenuntergang! Durch solche kleinen Hilfen gewinnt die Natur die Vorzüge eines Oeldrucks, und es gibt dann gleich nicht mehr so viel des Verwirrenden. Ein Berg ist dann ein Berg, ein Bach ein Bach, Grün und Blau stehen mit grosser Deutlichkeit nebeneinander, und keinerlei Schwierigkeiten des Verstehens hindern den Betrachter, auf dem kürzesten Weg zu der Ueberzeugung zu gelangen, dass es etwas Schönes ist, was er besitzt. Sobald man aber so weit gelangt ist, stellen sich auch die sogenannten ewigen Empfindungen mit Leichtigkeit ein. Frage einen Menschen von heute, der noch durch keinerlei Gerede verwirrt ist, was ihm besser gefalle, eine Landschaftsmalerei oder ein Oeldruck, so wird er ohne Zögern antworten müssen, dass er einen guten Oeldruck vorziehe. Denn der unverdorbene Mensch liebt die Deutlichkeit und den Idealismus, und zu beiden ist die Industrie weitaus geschickter als die Kunst.
In solchen Fragen deutete sich die fortschreitende Besserung unseres Kranken an. Der Arzt sagte zu ihm: „Kritisieren Sie so viel Sie wollen; üble Laune ist ein Zeichen der Genesung.” — „Das kann man wohl verstehen!” erwiderte der ins Leben Zurückkehrende bekümmert.
Obwohl boshaft und einseitig, erhebt diese Kritik keinen Anspruch auf wissenschaftliche Objektivität.
Hatte der antike Mensch seine Szylla und seine Charybdis, so hat der moderne Mensch den Wassermann und den Oedipus; denn wenn es ihm gelungen ist, ersteren zu vermeiden und mit Erfolg einen Nachkommen auf die Beine zu stellen, kann er desto sicherer damit rechnen, dass diesen der zweite holt. Man darf wohl sagen, dass ohne Oedipus heute so gut wie nichts möglich ist, nicht das Familienleben und nicht die Baukunst.
Da ich selbst noch ohne Oedipus aufgewachsen bin, kann ich mich natürlich nur mit grosser Vorsicht über diese Fragen äussern, aber ich bewundere die Methoden der Psychoanalyse. Ich erinnere mich aus meiner Jugendzeit an das Folgende: Wenn einer von uns Knaben von einem anderen mit Beschimpfungen so überhäuft wurde, dass ihm beim besten Willen nichts einfiel, den Angriff mit gleicher Kraft zu erwidern, so gebrauchte er einfach das Wörtchen „selbst”, das, in die Atempausen des anderen eingeschaltet, auf kurzem Wege alle Beleidigungen umkehrte und zurückschickte. Und ich habe mich sehr gefreut, als ich beim Studium der psychoanalytischen Literatur wahrnehmen konnte, dass man allen Personen, die vorgeben, dass sie nicht an die Unfehlbarkeit der Psychoanalyse glauben, sofort nachweist, dass sie ihre Ursachen dazu hätten, die natürlich wieder nur psychoanalytischer Natur seien. Es ist das ein schöner Beweis dafür, dass auch die wissenschaftlichen Methoden schon vor der Pubertät erworben werden.
Erinnert die Heilkunde aber durch diesen Gebrauch der „Retourkutsche” an die herrliche alte Zeit der Postreisen, so tut sie das zwar unbewusst, doch beileibe nicht ohne tiefenpsychologischen Zusammenhang. Denn es ist eine ihrer grössten Leistungen, dass sie inmitten des Zeitmangels der Gegenwart zu einer gemächlichen Verwendung der Zeit erzieht, geradezu einer sanften Verschwendung dieses flüchtigen Naturprodukts. Man weiss, sobald man sich in die Hände des Seelenverbesserers begeben hat, bloss, dass die Behandlung sicher einmal ein Ende haben wird, begnügt sich aber ganz und gar mit den Fortschritten. Ungeduldige Patienten lassen sich zwar schnell von ihrer Neurose befreien und beginnen dann sofort mit einer neuen, doch wer auf den rechten Genuss der Psychoanalyse gekommen ist, der hat es nicht so eilig. Aus der Hast des Tages tritt er in das Zimmer seines Freundes, und möge aussen die Welt an ihren mechanischen Energien zerplatzen, hier gibt es noch gute alte Zeit. Teilnahmsvoll wird man gefragt, wie man geschlafen und was man geträumt habe. Dem Familiensinn, den das heutige Leben sonst schon arg vernachlässigt, wird seine natürliche Bedeutung wieder zurückgegeben, und man erfährt, dass es gar nicht lächerlich erscheint, was Tante Guste gesagt hat, als das Dienstmädchen den Teller zerbrach, sondern, richtig betrachtet, aufschlussreicher ist als ein Ausspruch von Goethe. Und wir können ganz davon absehn, dass es auch nicht unangenehm sein soll, von dem Vogel, den man im Kopf hat, zu sprechen, namentlich wenn dieser ein Vogel Storch ist. Denn wichtiger als alles einzelne und schlechthin das Wichtigste ist es, dass sich der Mensch, sanft magnetisch gestreichelt, bei solcher Behandlung wieder als das Mass aller Dinge fühlen lernt. Man hat ihm durch Jahrhunderte erzählt, dass er sein Verhalten einer Kultur schuldig sei, die viel mehr bedeute als er selbst; und als wir die Kultur im letzten Menschenalter zum grössten Teil doch endlich losgeworden sind, war es wieder das Ueberhandnehmen der Neuerungen und Erfindungen, neben dem sich der Einzelne als ein Nichts vorkam: Nun aber fasst die Psychoanalyse diesen verkümmerten Einzelnen bei der Hand und beweist ihm, dass er nur Mut haben müsse und Keimdrüsen. Möge sie nie ein Ende finden! Das ist mein Wunsch als Laie; aber ich glaube, er deckt sich mit dem der Sachverständigen.
Ich werde darum von einer Vermutung beunruhigt, die ja möglicherweise nur meiner Laienhaftigkeit entspringt, vielleicht aber doch richtig ist. Denn soviel ich weiss, steht heute der vorhin erwähnte Oedipuskomplex mehr denn je im Mittelpunkt der Theorie; fast alle Erscheinungen werden auf ihn zurückgeführt, und ich befürchte, dass es nach ein bis zwei Menschenfolgen keinen Oedipus mehr geben wird! Man mache sich klar, dass er der Natur des kleinen Menschen entspringt, der im Schoss der Mutter sein Vergnügen finden und auf den Vater, der ihn von dort verdrängt, eifersüchtig sein soll. Was nun, wenn die Mutter keinen Schoss mehr hat?! Schon versteht man, wohin das zielt: Schoss ist ja nicht nur jene Körpergegend, für die das Wort im engsten Sinne geschaffen ist; sondern dieses bedeutet psychologisch das ganze brütend Mütterliche der Frau, den Busen, das wärmende Fett, die beruhigende und hegende Weichheit, ja es bedeutet nicht mit Unrecht sogar auch den Rock, dessen breite Falten ein geheimnisvolles Nest bilden. In diesem Sinn stammen die grundlegenden Erlebnisse der Psychoanalyse bestimmt von der Kleidung der siebziger und achtziger Jahre ab, und nicht vom Skikostüm. Und nun gar bei Betrachtung im Badetrikot: wo ist heute der Schoss? Wenn ich mir die psychoanalytische Sehnsucht, embryonal zu ihm zurückzufinden, an den laufenden und crawlenden Mädchen- und Frauenkörpern vorzustellen versuche, die heute an der Reihe sind, so sehe ich, bei aller Anerkennung ihrer eigenartigen Schönheit, nicht ein, warum die nächste Generation nicht ebensogern in den Schoss des Vaters wird zurückwollen.
Was aber dann?
Werden wir statt des Oedipus einen Orestes bekommen? Oder wird die Psychoanalyse ihre segensreiche Wirkung aufgeben müssen?
Wenn der Held dieser kleinen Erzählung — und wahrhaftig, er war einer! — die Aermel aufstreifte, kamen zwei Arme zum Vorschein, die so dünn waren wie der Ton einer Spieluhr. Und die Frauen lobten freundlich seine Intelligenz, aber sie „gingen” mit anderen, von denen sie nicht so gleichmässig freundlich sprachen. Nur eine einzige ansehnliche Schöne hatte ihn einmal, und zu aller Ueberraschung, tieferer Teilnahme gewürdigt; aber sie liebte es, ihn mit zärtlichen Augen anzuschaun und dabei die Achseln zu zucken. Und nachdem sich das kurze Schwanken in der Wahl von Koseworten gelegt hatte, das gewöhnlich zu Beginn einer Liebe statt hat, nannte sie ihn: „Mein Eichhörnchen!”
Darum las er in den Zeitungen nur den Sportteil, im Sportteil am eifrigsten die Boxnachrichten und von den Boxnachrichten am liebsten die über Schwergewichte.
Sein Leben war nicht glücklich; aber er liess nicht ab, den Aufstieg zur Kraft zu suchen. Und weil er nicht genug Geld hatte, in einen Kraftverein einzutreten, und weil Sport ohnedies nach neuer Auffassung nicht mehr das verächtliche Talent eines Leibes, sondern ein Triumph der Moral und des Geistes ist, suchte er diesen Aufstieg allein. Es gab keinen freien Nachmittag, den er nicht dazu benutzte, auf den Zehenspitzen spazieren zu gehen. Wenn er sich in einem Zimmer unbeobachtet wusste, griff er mit der rechten Hand hinter den Schultern vorbei nach den Dingen, die links von ihm lagen, oder umgekehrt. Das An- und Auskleiden beschäftigte seinen Geist als die Aufgabe, es auf die weitaus anstrengendste Weise zu tun. Und weil der menschliche Körper zu jedem Muskel einen Gegenmuskel hat, so dass der eine streckt, wenn der andere beugt, oder beugt, wenn jener streckt, gelang es ihm, sich bei jeder Bewegung die unsagbarsten Schwierigkeiten zu schaffen. Man kann wohl behaupten, dass er an guten Tagen aus zwei völlig fremden Menschen bestand, die einander unaufhörlich bekämpften. Wenn er aber nach solchem aufs beste ausgenutzten Tag ans Einschlafen ging, so spreizte er alle Muskeln, deren er überhaupt habhaft werden konnte, noch einmal gleichzeitig auseinander; und dann lag er in seinen eigenen Muskeln wie ein Stückchen fremdes Fleisch in den Fängen eines Raubvogels, bis ihn Müdigkeit überkam, der Griff sich löste und ihn senkrecht in den Schlaf fallen liess. Es durfte nicht ausbleiben, dass er bei dieser Lebensweise unüberwindlich stark werde. Aber ehe das geschah, bekam er Streit auf der Strasse und wurde von einem dicken Schwamm von Menschen verprügelt.
Bei diesem schimpflichen Kampf nahm seine Seele Schaden, er wurde niemals ganz so wie früher, und es war lange fraglich, ob er ein Leben ohne alle Hoffnung werde ertragen können. Da rettete ihn ein grosser Omnibus. Er wurde zufällig Zeuge, wie ein riesenhafter Omnibus einen athletisch gebauten jungen Mann überfuhr, und dieser Unfall, so tragisch für das Opfer, gestaltete sich für ihn zum Ausgangspunkt eines neuen Lebens. Der Athlet wurde sozusagen vom Dasein abgeschält wie ein Span oder eine Apfelschale, wogegen der Omnibus bloss peinlich berührt zur Seite wich, stehen blieb und aus vielen Augen zurückglotzte. Es war ein trauriger Anblick, aber unser Mann nahm rasch seine Chance wahr und kletterte in den Sieger hinein.
Das war nun so, und von Stund an blieb es auch so: Für fünfzehn Pfennige durfte er, wann immer er wollte, in den Leib eines Riesen kriechen, vor dem alle Sportsleute zur Seite springen mussten. Der Riese hiess Agoag. Das bedeutete vielleicht Allgemein-geschätzte-Omnibus-Athleten-Gesellschaft; denn wer heute noch Märchen erleben will, darf mit der Klugheit nicht ängstlich umgehn. Unser Held sass also auf dem Verdeck und war so gross, dass er alles Gefühl für die Zwerge verlor, die auf der Strasse wimmelten. Unvorstellbar wurde, was sie miteinander zu besprechen hatten. Er freute sich, wenn sie aufgeschreckt hopsten. Er schoss, wenn sie die Fahrbahn überquerten, auf sie los wie ein grosser Köter auf Spatzen. Er sah auf die Dächer der schmucken Privatwagen, die ihn früher immer durch ihre Vornehmheit eingeschüchtert hatten, jetzt, im Bewusstsein der eigenen Zerstörungskraft, ungefähr so herab, wie ein Mensch, mit einem Messer in der Hand, auf die lieben Hühner in einem Geflügelhof blickt. Es brauchte aber durchaus nicht viel Einbildung dazu, sondern bloss logisches Denken. Denn wenn es richtig ist, was man sagt, dass Kleider Leute machen, weshalb sollte das nicht auch ein Omnibus können? Man hat seine ungeheuerliche Kraft an oder um, wie ein anderer einen Panzer anlegt oder ein Gewehr umhängt; und wenn sich die ritterliche Heldenschaft mit einem schützenden Panzer vereinen lässt, weshalb dann nicht auch mit einem Omnibus? Und gar die grossen Kraftnaturen der Weltgeschichte: war denn ihr schwacher, von den Bequemlichkeiten der Macht verwöhnter Leib das Furchtbare an ihnen, oder waren sie unüberwindlich durch den Apparat der Macht, mit dem sie ihn zu umgeben wussten? Und was ist es, dachte unser Mann, in seinem neuen Gedankenkreis thronend, mit allen den Edelleuten des Sports, welche die Könige des Boxens, Laufens und Schwimmens als Höflinge umgeben, vom Manager und Trainer bis zum Mann, der die blutigen Eimer wegträgt oder den Bademantel um die Schultern legt; verdanken diese zeitgenössischen Nachfolger der alten Truchsessen und Mundschenken ihre persönliche Würde ihrer eigenen oder den Strahlen einer fremden Kraft? Man sieht, er hatte sich durch einen Unfall vergeistigt.
Er benutzte nun jede freie Stunde nicht mehr zum Sport, sondern zum Omnibusfahren. Sein Traum war ein umfassendes Streckenabonnement. Und wenn er es erreicht hat, und nicht gestorben, erdrückt, überfahren worden, abgestürzt oder in einem Irrenhaus ist, so fährt er damit noch heute. Allerdings, einmal ging er zu weit und nahm auf seine Fahrten eine Freundin mit, in der Erwartung, dass sie geistige Männerschönheit zu würdigen wisse. Und da war in dem Riesenleib ein winziger Parasit mit dicken Schnurrbartspitzen, der lächelte die Freundin einigemal frech an, und sie lächelte kaum merklich zurück; ja, als er ausstieg, streifte er sogar versehentlich an sie und schien ihr dabei etwas zuzuflüstern, während er sich vor allen ritterlich entschuldigte. Unser Held kochte vor Wut; er hätte sich gerne auf den Nebenbuhler gestürzt, aber so klein dieser neben dem Riesen Agoag ausgesehen hätte, so gross und breit erschien er darin. Da blieb unser Held sitzen und überhäufte nur später seine Freundin mit Vorwürfen. Aber, siehe, obgleich er sie in seine Anschauungen eingeweiht hatte, erwiderte sie nicht: Ich mache mir nichts aus starken Männern, ich bewundere Kraftomnibusse! sondern sie leugnete einfach.
Seit diesem geistigen Verrat, der auf die geringere Verstandeskühnheit der Frau zurückzuführen ist, schränkte unser Held seine Fahrten etwas ein, und wenn er sie antrat, so geschah es ohne weibliche Begleitung. Ihm ahnte ein wenig von der männlichen Schicksalswahrheit, die in dem Ausspruch liegt: Der Starke ist am mächtigsten allein!
Man muss heute Charaktere wohl mit der Laterne suchen gehn; und wahrscheinlich macht man sich noch dazu lächerlich, wenn man bei Tag mit einem brennenden Licht umhergeht. Ich will also die Geschichte eines Mannes erzählen, der immer Schwierigkeiten mit seinem Charakter gehabt hat, ja, einfach gesagt, der überhaupt nie einen Charakter hatte; doch bin ich in Sorge, dass ich vielleicht bloss seine Bedeutung nicht rechtzeitig erfasst habe und ob er nicht am Ende so etwas wie ein Pionier oder Vorläufer ist.
Wir waren Nachbarskinder. Wenn er irgendeine der Kleinigkeiten angestellt hatte, die so schön sind, dass man sie nicht gern erzählt, pflegte seine Mutter zu seufzen, denn die Prügel, die sie ihm gab, strengten sie an. „Junge”, jammerte sie, „du hast nicht die Spur von Charakter; was mag aus dir noch werden!?” In schwereren Fällen wurde aber der Herr Vater zu Rate gezogen, und dann hatten die Prügel eine gewisse Feierlichkeit und eine ernste Würde, ungefähr wie ein Schulfest. Vor Beginn musste mein Freund dem Herrn Oberrechnungsrat eigenhändig einen Rohrstab holen, der im Hauptberuf dem Ausklopfen der Kleider diente und von der Köchin verwahrt wurde; während nach Schluss der Sohn die Vaterhand zu küssen und, mit Dank für die Zurechtweisung, um Verzeihung für die Sorgen zu bitten hatte, die er seinen lieben Eltern verursachte. Mein Freund machte es umgekehrt. Er bettelte und heulte vor Beginn um Verzeihung, und setzte das von einem Schlag zum andern fort; wenn alles aber einmal vorbei war, brachte er kein Wort mehr hervor, war blaurot im Gesicht, schluckte Tränen und Speichel und suchte durch emsiges Reiben die Spuren seiner Empfindungen zu beseitigen. „Ich weiss nicht”, — pflegte dann sein Vater zu sagen — „was aus dem Jungen noch werden soll; der Bengel hat absolut keinen Charakter!”
So war in unserer Jugend Charakter das, wofür man Prügel bekommt, obgleich man es nicht hat. Es schien eine gewisse Ungerechtigkeit darin zu stecken. Die Eltern meines Freundes behaupteten, wenn sie von ihm Charakter verlangten und ausnahmsweise einmal zu Erklärungen griffen, Charakter sei das begriffliche Gegenteil von schlechten Zeugnissen, geschwänzten Schulstunden, an Hundeschwänze gebundenen Blechtöpfen, Geschwätz und heimlichen Spielen während des Unterrichts, verstockten Ausreden, zerstreutem Gedächtnis und unschuldigen Vögeln, die ein gemeiner Schütze mit der Schleuder geschossen hat. Aber das natürliche Gegenteil von alledem waren doch schon die Schrecknisse der Strafe, die Angst vor Entdeckung und die Qualen des Gewissens, welche die Seele mit jener Reue peinigen, die man empfinden könnte, wenn die Sache schief ginge. Das war komplett; für einen Charakter liess es keinen Platz und keine Tätigkeit übrig, er war vollkommen überflüssig. Dennoch verlangte man ihn von uns.
Vielleicht hätte es uns einen Anhaltspunkt bieten sollen, was zuweilen während der Strafen erläuternd zu meinem Freunde gesprochen wurde, wie: „Hast du denn gar keinen Stolz, Bube?!” — oder: „Wie kann man bloss so niederträchtig lügen?!” — Aber ich muss sagen, dass es mir auch heute noch schwer fällt, mir vorzustellen, dass einer stolz sein soll, wenn er eine Ohrfeige bekommt, oder wie er seinen Stolz zeigen soll, während er übers Knie gelegt wird. Wut könnte ich mir vorstellen; aber die sollten wir ja gerade nicht haben! Und ebenso verhält es sich mit dem Lügen; wie soll man denn lügen, wenn nicht niederträchtig? Etwa ungeschickt? Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir selbst heute noch so vor, als ob man damals am liebsten von uns Buben gefordert hätte, wir sollten aufrichtig lügen. Das war aber eine Art doppelter Anrechnung: erstens, du sollst nicht lügen; zweitens, wenn du jedoch schon lügst, dann lüge wenigstens nicht verlogen. Vielleicht müssen erwachsene Verbrecher so unterscheiden können, da man es ihnen in den Gerichtssälen immer als besondere Bosheit ankreidet, wenn sie ihre Verbrechen kaltblütig, vorsichtig und mit Ueberlegung begehen; aber von Buben war das entschieden zu viel verlangt. Ich fürchte, ich habe bloss deshalb keine so auffallenden Charaktermängel gezeigt wie mein Freund, weil ich nicht so sorgfältig erzogen wurde.
Am einleuchtendsten von allen elterlichen Aussprüchen, die sich mit unserem Charakter befassten, waren noch die, welche sein bedauerliches Fehlen mit der Warnung in Zusammenhang brachten, dass wir ihn einst als Männer vonnöten haben werden. „Und ein solcher Junge will ein Mann werden!?” hiess es ungefähr. Sah man davon ab, dass die Sache mit dem Wollen nicht ganz klar war, so bewies das übrige wenigstens, dass Charakter etwas sei, das wir erst später brauchen sollten; wozu also dann jetzt schon die überhasteten Vorbereitungen? Dies wäre ganz das gewesen, was auch wir meinten.
* * *
Obzwar mein Freund also damals keinen Charakter besass, so vermisste er ihn doch nicht. Das kam erst später und begann zwischen unserem sechzehnten und siebzehnten Jahr. Da fingen wir an, ins Theater zu gehen und Romane zu lesen. Von dem Gehirn meines Freundes, das die irreführenden Verlockungen der Kunst lebhafter als das meine aufnahm, ergriffen der Intrigant der städtischen Theater, der zärtliche Vater, der heldische Liebhaber, die komische Person, ja sogar die teuflische Salonschlange und die bezaubernde Naive Besitz. Er redete nur noch in falschen Tönen, hatte aber plötzlich alles an Charakter in sich, was es auf der deutschen Bühne gibt. Wenn er etwas versprach, konnte man nie wissen, ob man sein Ehrenwort als Held oder als Intrigant besass; es geschah, dass er heimtückisch begann und aufrichtig endete, wie auch umgekehrt; er empfing uns Freunde polternd, um uns plötzlich mit dem eleganten Lächeln des Bonvivants Platz und Schokoladebonbons anzubieten, oder umarmte uns väterlich und stahl dabei die Zigaretten aus unserer Tasche.
Doch war das harmlos und offen im Vergleich mit den Wirkungen des Romanelesens. In den Romanen finden sich die wundervollsten Verhaltungsweisen für unzählige Lebenslagen beschrieben. Der grosse Nachteil ist aber der, dass sich die Lebenslagen, in die man gerät, niemals ganz mit denen decken, für die in den Romanen vorgesehen ist, was man zu tun und zu sagen hat. Die Weltliteratur ist ein ungeheures Magazin, wo Millionen Seelen mit Edelmut, Zorn, Stolz, Liebe, Hohn, Eifersucht, Adel und Gemeinheit bekleidet werden. Wenn eine angebetete Frau unsere Gefühle mit Füssen tritt, so wissen wir, dass wir ihr einen strafend seelenvollen Blick zuzuwerfen haben; wenn ein Schurke eine Waise misshandelt, so wissen wir, dass wir ihn mit einem Schlag zu Boden schmettern müssen. Aber was sollen wir tun, wenn die angebetete Frau unmittelbar, nachdem sie unsere Gefühle mit Füssen getreten hat, die Tür ihres Zimmers zuschlägt, so dass sie unser seelenvoller Blick nicht erreicht? Oder wenn zwischen dem Schurken, der die Waisen misshandelt, und uns ein Tisch mit kostbaren Gläsern steht? Sollen wir die Tür einschlagen, um dann durch das Loch einen sanften Blick zu werfen; und sollen wir sorgfältig die teuren Gläser abräumen, ehe wir zum empörten Schlag ausholen? In solchen wirklich wichtigen Fällen lässt einen die Literatur immer im Stich; vielleicht wird es erst in einigen hundert Jahren, wenn noch mehr beschrieben ist, besser sein.
Einstweilen entsteht daraus aber jedesmal eine geradezu besonders unangenehme Lage für einen belesenen Charakter, wenn er sich in einer sogenannten Lebenslage befindet. Ein gutes Dutzend angefangener Sätze, halb erhobener Augenbrauen oder geballter Fäuste, zugekehrter Rücken und pochender Brüste, die alle nicht ganz zu dem Anlass passen, und doch auch nicht unpassend wären, kochen in ihm; die Mundwinkel werden gleichzeitig hinauf- und hinabgezerrt, die Stirn finster gerunzelt und hell beglänzt, der Blick will sich zur gleichen Zeit strafend hervorstürzen und beschämt zurückziehen: und das ist sehr unangenehm, denn man tut sich sozusagen selbst gegenseitig weh. Als Ergebnis entsteht dann oft jenes bekannte Zucken und Schlucken, das sich über Lippen, Augen, Hände und Kehle ausdehnt, ja mitunter den ganzen Körper so heftig erfasst, dass er sich wie eine Schraube windet, die ihre Mutter verloren hat.
Damals entdeckte mein Freund, wie viel bequemer es wäre, als einzigen Charakter seinen eigenen zu besitzen, und begann diesen zu suchen.
* * *
Aber er geriet in neue Abenteuer. Ich traf ihn nach Jahren wieder, als er den Beruf eines Rechtsanwalts ergriffen hatte. Er trug Brillen, rasierte sich den Bart und sprach mit leiser Stimme. — „Du siehst mich an?” — bemerkte er. Ich konnte es nicht leugnen, irgend etwas hiess mich, in seiner Erscheinung eine Antwort suchen. — „Sehe ich aus wie ein Rechtsanwalt?” fragte er. Ich wollte es nicht bestreiten. Er erklärte mir: „Rechtsanwälte haben eine ganz bestimmte Art, durch ihre Kneifergläser zu blicken, die anders ist als zum Beispiel die der Aerzte. Es lässt sich auch sagen, dass alle ihre Bewegungen und Worte spitzer oder zackiger sind als die rundlichen und knorrigen der Theologen. Sie unterscheiden sich von ihnen wie ein Feuilleton von einer Predigt, mit einem Wort, so wenig ein Fisch von Baum zu Baum fliegt, so sehr sind Rechtsanwälte in ein Medium eingetaucht, das sie niemals verlassen.”
„Berufscharakter!” sagte ich. Mein Freund war mit mir zufrieden. „Es ist nicht so einfach gewesen”, bemerkte er. „Als ich anfing, habe ich einen Christusbart getragen; aber mein Chef hat es mir verboten, weil es nicht zum Charakter eines Rechtsanwaltes passt. Darauf habe ich mich wie ein Maler getragen, und als es mir verwehrt wurde, wie ein Seefahrer auf Urlaub.” — „Um Gottes willen, warum?” fragte ich. „Weil ich mich natürlich dagegen wehren wollte, einen Berufscharakter anzunehmen”, gab er zur Antwort. „Das Schlimme ist, dass man ihm nicht entgehen kann. Es gibt natürlich Rechtsanwälte, die wie Dichter aussehen, und ebenso Dichter, die wie Gemüseverkäufer aussehen, und Gemüseverkäufer, die Denkerköpfe besitzen. Sie alle haben aber etwas von einem Glasauge oder einem angeklebten Bart an sich oder von einer schlecht zugeheilten Wunde. Ich verstehe nicht warum, aber es ist doch so?” Er lächelte in seiner Art und fügte ergeben hinzu: „Wie du weisst, habe ich doch nicht einmal einen persönlichen Charakter ...”
Ich erinnerte ihn an die vielen Schauspielercharaktere. „Das war erst die Jugend!” ergänzte er es seufzend. „Wenn man ein Mann wird, bekommt man noch einen Geschlechts-, einen National-, einen Staats-, einen Klassen-, einen geographischen Charakter dazu, man hat einen Charakter der Handschrift, der Handlinien, der Schädelform und womöglich noch einen, der aus der Konstellation der Gestirne im Augenblick der Geburt folgt. Mir ist das zu viel. Ich weiss nie, welchem meiner Charaktere ich recht geben soll.” — Wieder kam sein stilles Lächeln zum Vorschein. „Zum Glück habe ich eine Braut, die von mir behauptet, dass ich überhaupt keinen Charakter besitze, weil ich mein Versprechen, sie zu heiraten, noch nicht eingehalten habe. Ich werde sie gerade deshalb heiraten, denn ihr gesundes Urteil ist mir unentbehrlich.”
„Wer ist deine Braut?”
„Welchem Charakter nach? Aber, weisst du”, unterbrach er das, „sie weiss trotzdem immer, was sie will! Sie ist ursprünglich ein reizend hilfloses kleines Mädchen gewesen — ich kenne sie schon lange — aber sie hat viel von mir gelernt. Wenn ich lüge, findet sie es entsetzlich; wenn ich morgens nicht rechtzeitig ins Bureau gehe, so behauptet sie, ich werde niemals eine Familie erhalten können; wenn ich mich nicht entschliessen kann, eine Zusage einzuhalten, die ich gegeben habe, so weiss sie, dass das nur ein Schuft tut.”
Mein Freund lächelte noch einmal. Er war damals ein liebenswürdiger Mensch, und jeder Mensch sah freundlich lächelnd auf ihn herab. Niemand nahm ernstlich an, dass er es zu etwas bringen werde. Schon an seiner äusseren Erscheinung fiel auf, dass, sobald er zu sprechen anfing, jedes Glied seines Körpers eine andere Lage einnahm; die Augen wichen zur Seite aus, Achsel, Arm und Hand bewegten sich nach entgegengesetzten Richtungen, und mindestens ein Bein federte im Kniewinkel wie eine Briefwaage. Wie gesagt, er war damals ein liebenswürdiger Mensch, bescheiden, schüchtern, ehrfürchtig; und manchmal war er auch das Gegenteil von all dem, aber man blieb ihm schon aus Neugierde gewogen.
* * *
Als ich ihn wiedersah, besass er ein Auto, jene Frau, die nun sein Schatten war, und eine angesehene, einflussreiche Stellung. Wie er das angefangen hatte, weiss ich nicht; aber was ich vermute, ist, dass das ganze Geheimnis darin lag, dass er dick wurde. Sein eingeschüchtertes, bewegliches Gesicht war fort. Genauer gesehen, es war noch da, aber es lag unter einer dicken Hülle von Fleisch. Seine Augen, die einst, wenn er etwas angestellt hatte, so rührend sein konnten wie die eines traurigen Aeffchens, hatten eigentlich ihren aus dem Innern kommenden Glanz nicht verloren; aber zwischen den hoch gepolsterten Wangen hatten sie jedesmal Mühe, wenn sie sich nach der Seite drehen wollten, und stierten darum mit einem hochmütig gequälten Ausdruck. Seine Bewegungen fuhren innerlich immer noch umher, aber aussen, an den Beugen und Gelenken der Glieder, wurden sie von stossdämpfenden Fettpolstern aufgefangen, und was herauskam, sah wie Kurzangebundenheit und entschlossene Sprache aus. So war nun auch der Mensch geworden. Sein irrlichternder Geist hatte feste Wände und dicke Ueberzeugungen bekommen. Manchmal blitzte noch etwas in ihm auf; aber es verbreitete keine Helligkeit mehr in dem Menschen, sondern war ein Schuss, den er abgab, um zu imponieren oder ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Er hatte eigentlich viel gegen früher verloren. Von allem, was er äusserte, ging jetzt zwölf auf ein Dutzend, wenn das auch ein Dutzend guter, verlässlicher Ware war. Und seine Vergangenheit behandelte er so, wie man sich an eine Jugendtorheit erinnert.
Einmal gelang es mir, ihn auf unseren alten Gesprächsgegenstand, den Charakter, zurückzubringen. „Ich bin überzeugt, dass die Entwicklung des Charakters mit der Kriegsführung zusammenhängt”, legte er mir in atemknapper Sprache dar, „und dass er darum heute auf der ganzen Welt nur noch unter Halbwilden zu finden ist. Denn wer mit Messer und Speer kämpft, muss ihn haben, um nicht den kürzeren zu ziehen. Welcher noch so entschlossene Charakter hält aber gegen Panzerwagen, Flammenwerfer und Giftwolken stand!? Was wir darum heute brauchen, sind nicht Charaktere, sondern Disziplin!”
Ich hatte ihm nicht widersprochen. Aber das Sonderbare war, — und darum erlaube ich mir auch, diese Erinnerung niederzuschreiben — dass ich, während er so sprach und ich ihn ansah, immerdar das Empfinden hatte, der alte Mensch sei noch in ihm. Er stand in ihm, von der fleischigen grösseren Wiederholung der ursprünglichen Gestalt eingeschlossen. Sein Blick stach im Blick des andern, sein Wort im Wort. Es war fast unheimlich. Ich habe ihn inzwischen noch einigemal wiedergesehen, und dieser Eindruck hat sich jedesmal wiederholt. Es war deutlich zu sehen, dass er, wenn ich so sagen darf, gerne einmal wieder ganz ans Fenster gekommen wäre; aber irgendetwas verhinderte ihn daran.
Als der Marquis von Epatant den Raubtieren vorgeworfen wurde — eine Geschichte, die leider in keiner einzigen Chronik des achtzehnten Jahrhunderts erwähnt wird — sah er sich plötzlich in eine so peinliche Lage versetzt, wie es ihm noch nie widerfahren war. Er hatte mit dem Leben abgeschlossen und ging lächelnd, mit einem Blick, der aus zwei matt geschliffenen Edelsteinen zu kommen schien, aber nichts mehr sah, dem Nichts entgegen. Doch es löste ihn dieses Nichts nicht ins Ewige auf, zog sich vielmehr sehr gegenwärtig zusammen; mit einem Wort, nicht das Nichts, sondern nichts ereignete sich, und als er sich seiner Augen wieder zum Sehen zu bedienen begann, gewahrte er ein grosses Raubtier, das ihn unschlüssig betrachtete. Dies wäre dem Marquis, wie man annimmt, weiter nicht peinlich gewesen — er hatte Angst, wusste aber, wie man sie zu tragen habe — wenn er nicht im gleichen Augenblick inne geworden wäre, dass es ein weibliches Raubtier sei, das er vor sich habe. Strindberganschauungen gab es damals noch nicht; man lebte und starb in denen des achtzehnten Jahrhunderts, und Epatants natürlichste Regung war es, mit Anmut den Hut zu lüften und eine galante Verbeugung zu machen. Dabei sah er aber, dass die Handgelenke der ihn betrachtenden Dame beinahe so breit waren wie sein Oberschenkel, und die Zähne, die in dem lüstern und neugierig geöffneten Mund sichtbar geworden, gaben ihm ein Bild des Massakers, das ihm bevorstand. Diese Person vor ihm war furchteinflössend, schön, stark, aber in Blick und Gestalt durchaus weiblich. Er fühlte sich durch die in allen Gliedern spielende Zärtlichkeit der Raubkatze unwillkürlich an die entzückende, stumme Beredsamkeit der Liebe erinnert. Er musste sich nicht nur fürchten, sondern hatte zugleich auch den beschämenden Kampf zu ertragen, den diese Furcht mit dem Bedürfnis des Mannes führte, einem weiblichen Wesen unter allen Umständen Eindruck zu machen, die Frau in ihm einzuschüchtern und zu besiegen. Er sah sich statt dessen von seinem Gegner verwirrt und unterliegen. Die weibliche Bestie schüchterte ihn als Bestie ein, und das vollendet Weibliche, das jede ihrer Bewegungen ausatmete, mengte in die Preisgabe jedes Widerstandes das Wunder der Ohnmacht. Er, Marquis d’Epatant, war in den Zustand und die Rolle eines Weibchens gebracht worden, und dies in der letzten Minute seines Lebens! Er sah keine Möglichkeit, diesem boshaften ihm angetanen Schimpf zu entrinnen, verlor die Herrschaft über seine Sinne und wusste zu seinem Glück länger nicht mehr, was mit ihm geschah.
Es soll nicht behauptet werden, dass die Jahreszahl richtig ist, aber wenn es den Staat der Amazonen wirklich gegeben hat, so müssen äusserst ernst zu nehmende Damen darin gewohnt haben. Denn hätten sie etwa nur einen etwas gewalttätigen Frauenrechtsverein dargestellt, so wären sie in der Geschichte höchstens zur Reputation der Abderiten oder Sancho Pansas gekommen und bis zum heutigen Tag ein Beispiel unweiblicher Komik geblieben. Statt dessen leben sie in heldenhaftem Andenken, und man darf daraus schliessen, dass sie zu ihrer Zeit in einer überaus beachtenswerten Weise gebrannt, gemordet und geraubt haben. Mehr als ein indogermanischer Mann muss vor ihnen Angst gehabt haben, ehe sie es zu ihrem Ruf brachten. Mehr als ein Held wird vor ihnen davongelaufen sein. Mit einem Wort, sie müssen dem prähistorischen Mannesstolz nicht wenig zugesetzt haben, bis er endlich zur Entschuldigung von so viel Feigheit sagenhafte Geschöpfe aus ihnen gemacht hat: einem Gesetz folgend, wonach auch ein Sommerfrischler, der vor einer Kuh flüchtet, immer behaupten wird, dass es zumindest ein Ochse gewesen sei.
Wie aber, wenn es diesen Jungfrauenstaat niemals gegeben hat? Und das ist wohl schon darum wahrscheinlich, weil sich kaum denken lässt, dass es darin Divisions- und Regimentsstörche gab, die den männermordenden Jungfrauen die Rekruten brachten. Wovor haben sich dann die antiken Helden gefürchtet? War das Ganze nur ein wunderlich Gewalt antuender Traum? Unwillkürlich erinnert man sich daran, dass sie auch Göttinnen verehrt haben, von denen sie im Rausch der Anbetung zerrissen worden sind, und die Sphinx besuchten die kundigen Thebaner wie der Fliegerich die Spinne. Man muss sich schandenhalber wohl ein wenig darüber wundern, was für Spinnen- und Insektenträume diese Urväter unserer Gymnasialbildung kannten! Vorbildliche Sportsleute, die sich nicht viel aus Frauen machten, träumten sie von Frauen, vor denen sie sich fürchten konnten. Sollte am Ende Herr von Sacher-Masoch eine so lange Vorfahrenreihe gehabt haben? Es ist keineswegs anzunehmen. Denn wir mögen uns wohl gerne vorstellen, dass es früher dunkel gewesen ist, weil es dadurch jetzt umso heller ausschaut; aber dass an den Grundlagen des humanistischen Unterrichts etwas dermassen in Unordnung sein sollte, vermögen wir nicht zu glauben. Sind sie scherzhaft gewesen, die alten Griechen? Oder haben sie in der Art aller Levantiner ungeheuerlich übertrieben? Oder liegt ihrer Ur-Perversität eine Ur-Harmlosigkeit zugrunde, die erst viel später die kranken Reiser getrieben hat?
Dunkel sind die Anfänge der Zivilisation.
Was haben zwei Jahrhunderte „moderner Zeit” aus dieser Geschichte gemacht?
Ein Mann besiegt in offener Feldschlacht das Amazonenheer, und die Amazone verliebt sich in ihren Bezwinger. So ist es nun in Ordnung! Die Widerspenstigkeit wird gezähmt, sie lässt Schild und Speer fallen, und die Männer kichern geschmeichelt in der Runde. Das ist von der alten Sage übrig geblieben. Das Zeitalter des gebildeten Bürgers bewahrte von der wilden jungen Raubfrau, die darauf brennt, ihre Pfeilspitze hinter Mannesrippen zu landen, bloss das moralische Beispiel, wie sich unnatürliche Triebe wieder in natürliche verkehren; und ausserdem höchstens noch kümmerliche Reste in den Theatern, Kinos und den Köpfen sechzehnjähriger Lebemänner, wo das dämonische Weib, die Salonschlange und der Vamp von fern an ihre männermordenden Vorgängerinnen erinnern.
Aber die Zeiten bleiben in Fluss. Es soll nicht von weiblichen Bureauvorstehern gesprochen werden, um die sich der männliche Untergebene rankt wie der bescheidene Efeu um die starke Eiche; es gibt Geschichten, die dem Mittelpunkt der männlichen Eitelkeit näher liegen, und eine solche ereignete sich, als vor einiger Zeit der berühmte Forscher Quantus Negatus einer Versammlung beiwohnte, wo die Opposition unter weiblicher Führung stand. Es war nicht gerade eine politische Versammlung, aber immerhin eine von jenen, wo der neue geistige Weltzug seinen Zusammenstoss mit dem alten hat. Quantus, als verdienstreicher Mann, sass bequem in den Polstern des alten. Er war nicht im geringsten gesonnen, sich um Weltanschauungen zu streiten, und begrüsste das Auftreten der Damen zunächst nur als eine Abwechslung. Während sie oben redeten, sah er unten ihre Füsse in den Halbschuhen an. Aber plötzlich fesselte ihn eine Einzelheit: er hörte sie sagen, die Herren von der Mehrheit seien Esel. Sie sagten es in einer reizenderen Weise, und nicht gerade mit diesem Wort, immerhin aber ungefähr mit diesem Grad von Achtung. Und wenn die eine sich niedersetzte, stand ausgeruht die andere auf und wiederholte die Anklage in einer nur wenig anderen Weise. Auf ihren Stirnen bildeten sich vor Aerger und Anstrengung kleine lotrechte Falten; ihre Handbewegungen waren pädagogisch, wie wenn man Kindern auseinandersetzen muss, wie denkfaul sie seien; und die Sätze wurden sorgfältig vom Mund gegliedert, wie von einem geschulten Koch, der Fasanen zerlegt.
Der berühmte Forscher Negatus lächelte; er war kein Esel, er stand über der Situation, er durfte sich ihrem Reiz vorurteilslos hingeben; bei der Abstimmung würde sich schon zeigen, was er für richtig halte. Zufällig warf er aber einen Blick zur Unzeit auf die anderen Herren der Mehrheit. Und es kam ihm mit einemmal vor, sie sässen alle bocksteif da wie die Weibchen, denen ein Mann den überwältigenden Zauber der Logik beibringen will, wogegen sie keine andere Waffe haben, als nach jedem neuen Schluss zu erwidern: ich will aber nicht! Da bemerkte er erst, dass es ihm auch nicht anders ergehe. Tändelnden Sinnes betrachtete er Beine und Fingerspitzen, Mundfalten und Körperwendungen, obzwar er währenddessen anhören musste, dass sein Wille eingeschlafen und seine Intelligenz die eines dicken Bürgers sei, der sie nicht gern bewege. Und nun geschah das, was allerdings nicht immer geschieht, Quantus fühlte sich halb überzeugt. Wenn er an seinen Forscherruhm dachte, so kam er sich wie eine brave Hausfrau vor, die daheim mit Fläschchen und Töpfchen am Herd hantiert, während diese Damen auf schäumendem Ross durch die offene Welt sprengten. Gewiss, es gab eine Menge besonderer Dinge, über die wenig Menschen so gut Bescheid wussten wie er; aber was nützte ihm das in solchen allgemeinen Fragen, deren Unsicherheit einen — beinahe hätte er gesagt, einen ganzen Mann brauchte?! Schon fand er, dass die Einwände, die sein Verstand gegen den Unfug dieser jungen Frauen erhob, eigentlich ängstlich wären, und seine Gedanken folgten mit einer fast käthchenhaften Begeisterung den wilden Taten ihres Geistes.
Was ihn noch im Gleichgewicht hielt, war der Umstand, dass auf der Gegenseite auch Männer aufstanden, die zusammenhangloses Zeug redeten. Die Versammlung wurde dadurch manchmal recht bewegt, und keiner liess den anderen ausreden. Quantus Negatus beobachtete, was seine Rednerinnen täten. In diesem wirren Männergeschrei schwiegen sie lächelnd, und es schien ihm, dass sie ein bittendes Zeichen gäben. Dann erhob sich jedesmal ein fett-kräftiger junger Mann mit grossem Gesicht und dichtem Haarwuchs und entfaltete ein wahres Phänomen von Stimme, deren Zwischenrufe wenig Vernunft hatten, aber mit einem Satz zwanzig feindliche Stimmen über den Haufen fegten, so dass man in der zurückbleibenden Stille die unterbrochenen Rednerinnen auf einmal wieder hörte. — „Ah, ein Mann!” dachte Negatus zuerst geschmeichelt. Aber wie er sich das, in der Stimmung, worin er sich nun einmal befand, genauer überlegte, fand er, dass eine starke Stimme doch auch nur etwas Sinnliches sei, wie in seiner Jugendzeit ein langer Zopf oder eine üppige Brust. Er fühlte sich von diesen Gedanken, die auf einem ihm recht fremden Gebiet lagen, ermüdet. Er hatte nicht übel Lust, seine Partei im Stich zu lassen und sich aus der Versammlung zu schleichen. Dunkle Gymnasialerinnerungen bewegten ihn: die Amazonen? — „Verkehrte Welt!” dachte er. Aber dann dachte er auch: „Ganz eigentümlich ist es, sich einmal eine verkehrte Welt vorzustellen. Es bereitet eine gewisse Abwechslung.” Er richtete an diesen Gedanken gleichsam seine Stacheln wieder auf; eine gewisse Kühnheit lag in ihnen, eine freimütige, männliche Neugierde. „Wie dunkel ist die Zukunft der Zivilisation!” dachte er. „Ich bin ein Mann, aber am Ende wird das nur noch etwas sehr Weibliches bedeuten, wenn nicht bald eine Zeit echter Männer wiederkommt!” Aber als die Abstimmung kam, stimmte er trotzdem für die Reaktion.
Die Opposition unterlag; die Versammlung war zu Ende. Quantus erwachte, und mit ritterlich beschwertem, schlechtem Gewissen suchte sein Blick den seiner ausdauernden Gegnerinnen. Aber diese legten soeben frischen Puder auf und hatten ihre kleinen silbernen Spiegel hervorgezogen. Mit der gleichen unbeirrbaren Sachlichkeit, wie sie vorhin mörderische Worte gesprochen hatten, taten sie nun das. Quantus staunte. Und seine letzte, doch noch recht befangene Ueberlegung im Hinausgehen war diese: „Warum machen sich bloss niedliche Männerköpfe ganz unnütze Gedanken?!”
Herr Piff, Herr Paff und Herr Puff sind miteinander auf die Jagd gegangen. Und weil es Herbst war, wuchs nichts auf den Aeckern; ausser Erde, die der Pflug so aufgelockert hatte, dass die Stiefel hoch über die Schäfte davon braun wurden. Es war sehr viel Erde da, und so weit das Auge reichte, sah man stille braune Wellen; manchmal trug eine davon ein Steinkreuz auf ihrem Rücken oder einen Heiligen oder einen leeren Weg; es war sehr einsam.
Da gewahrten die Herren, als sie wieder in eine Mulde hinabstiegen, vor sich einen Hasen, und weil es das erste Tier war, das sie an diesem Tag antrafen, rissen alle drei ihre Schiessrohre rasch an die Backe und drückten ab. Herr Piff zielte über seine rechte Stiefelspitze, Herr Puff über seine linke, und Herr Paff zwischen beiden Stiefeln geradeaus, denn der Hase sass ungefähr gleichweit von jedem und sah ihnen entgegen. Nun erhob sich ein fürchterlicher Donner von den drei Schüssen, die Schrotkörner prasselten in der Luft wie drei Hagelwolken gegeneinander, und der Boden staubte wild getroffen auf; aber als sich die Natur von diesem Schrecken erholt hatte, lag auch der Hase im Pfeffer und rührte sich nicht mehr. Bloss wusste jetzt keiner, wem er gehöre, weil alle drei geschossen hatten. Herr Piff hatte schon von weitem ausgerufen, wenn der Hase rechts getroffen sei, so gehöre er ihm, denn er habe von links geschossen; das Gleiche behauptete Herr Puff über die andere Hand; aber Herr Paff meinte, dass der Hase sich doch auch im letzten Augenblick umgedreht haben könne, was nur zu entscheiden wäre, wenn er den Schuss in der Brust oder im Rücken habe: dann aber, und somit unter allen Umständen, gehöre er ihm! Als sie nun hinkamen, zeigte sich jedoch, dass sie durchaus nicht herausfinden konnten, wo der Hase getroffen sei, und natürlich stritten sie jetzt erst recht um die Frage, wem er zukomme.
Da erhob sich der Hase höflich und sagte: „Meine Herren, wenn Sie sich nicht einigen können, will ich so frei sein und noch leben! Ich bin, wie ich sehe, bloss vor Schreck umgefallen.”
Da waren Herr Piff und Herr Puff, wie man zu sagen pflegt, einen Augenblick ganz paff, und bei Herrn Paff versteht sich das eigentlich immer von selbst. Aber der Hase fuhr unbeirrt fort. Er machte grosse, hysterische Augen — wahrscheinlich doch, weil ihn der Tod gestreift hatte — und begann, den Jägern ihre Zukunft vorauszusagen. „Ich kann Ihnen Ihr Ende prophezeien, meine Herren”, sagte er „wenn Sie mich am Leben lassen! Sie, Herr Piff, werden schon in sieben Jahren und drei Monaten von der Sense des Todes in Gestalt der Hörner eines Stiers hingemäht werden; und der Herr Paff werden zwar sehr alt werden, aber ich sehe etwas äusserst Unangenehmes am Ende — etwas — ja, das lässt sich nicht so leicht sagen —”; er stockte und blickte Paff teilnahmsvoll an, dann brach er ab und sagte rasch: „Aber der Herr Puff wird an einem Pfirsichkern ersticken, das ist einfach.”
Da wurden die Jäger bleich, und der Wind pfiff durch die Einöde.
Aber indes die Röhrenstiefel an ihren Beinen noch im Winde klapperten, luden ihre Finger schon von neuem das Gewehr, und sie sprachen: „Wie kannst Du wissen, was noch nicht geschehen ist, Du Lügner!”
„Der Stier, der mich in sieben Jahren aufspiessen soll”, sagte Herr Piff, „ist heute doch noch gar nicht geboren; wie kann er spiessen, wenn er vielleicht überhaupt nicht geboren wird!?”
Und Herr Puff tröstete sich damit, dass er sagte: „Ich brauche bloss keine Pfirsiche mehr zu essen, so bist Du schon ein Betrüger!”
Herr Paff aber sagte nur: „Na, na!”
Der Hase erwiderte: „Das können die Herren halten, wie sie wollen; es wird Ihnen nichts nützen.”
Da machten die Jäger Miene, den Hasen mit ihren Stiefelabsätzen tot zu treten, und schrien: „Du wirst uns nicht abergläubisch machen!!” — Aber in diesem Augenblick kam ein hässliches altes Weib vorbei, das einen Haufen Reisig am Rücken schleppte, und die Jäger mussten rasch dreimal ausspucken, damit ihnen der Anblick nicht schade.
Da wurde das Weib, das es bemerkt hatte, böse und schrie zurück: „Bin a amol schön gwen!” Niemand hätte zu sagen vermocht, welche Mundart das sei; es klang aber geradezu wie der Dialekt der Hölle.
Diesen Augenblick benutzte der Hase, um zu entwischen.
Die Jäger donnerten aus ihren Büchsen hinter ihm drein, aber der Hase war nicht mehr zu sehen, und auch das alte Weib war verschwunden; man glaubte nur während der drei Schüsse ein unbändiges Hohngelächter gehört zu haben.
Da wischte sich Herr Paff den Schweiss von der Stirn und ihn fror.
Herr Piff sagte: „Gehen wir nach Hause!”
Und Herr Puff kletterte schon den Abhang empor.
Als sie oben bei dem steinernen Kreuz angelangt waren, fühlten sie sich aber in seinem Schutze sicher und blieben wieder stehen.
„Wir haben uns selbst zum besten gehalten”, sagte Herr Puff, „ — es war ein ganz gewöhnlicher Hase.”
„Aber er hat gesprochen —” sagte Herr Paff.
„Das kann nur der Wind gewesen sein, oder das Blut war uns in der Kälte zu Ohren gestiegen” — belehrten ihn Herr Piff und Herr Puff.
Da flüsterte der liebe Gott am Steinkreuz: „Du sollst nicht töten ..!”
Die drei schraken von neuem ordentlich zusammen und gingen mindestens zwanzig Schritte dem steinernen Kreuz aus der Nähe; es ist aber auch zu arg, wenn man sich nicht einmal dort sicher fühlen kann! Und ehe sie noch etwas erwidern konnten, sahen sie sich mit grossen Schritten nach Hause eilen. Erst als der Rauch ihrer Dächer sich über den Büschen kräuselte, die Dorfhunde bellten und Kinderstimmen durch die Luft zu schiessen begannen wie die Schwalben, hatten sie ihre Beine wieder eingeholt, blieben auf ihnen stehn, und es wurde ihnen wohl und warm. „An irgendetwas muss schliesslich jeder sterben” — meinte Herr Paff gelassen, der es bis dahin nach der Prophezeiung des Hasen am weitesten hatte; er wusste noch verdammt gut, weshalb er das sagte, doch plagte ihn jetzt mit einemmal ein Zweifel, ob wohl auch seine Gefährten davon wüssten, und er schämte sich, sie zu fragen.
Aber Herr Piff antwortete genau so: „Wenn ich nicht töten dürfte, dann dürfte ich doch auch nicht getötet werden? Ergo sage ich, da hat es einen grundsätzlichen Widerspruch!” Das mochte nun jeder beziehen, worauf er wollte; eine vernünftige Antwort war es nicht, und Herr Piff schmunzelte philosophisch, um zu verbergen, dass er brennend gern erfahren wollte, ob ihn die anderen trotzdem verstünden oder ob in seinem Kopf etwas nicht in Ordnung gewesen sei.
Herr Puff, der dritte, zertrat nachdenklich einen Wurm unter der Stiefelsohle und erwiderte: „Wir töten ja nicht nur die Tiere, sondern wir hegen sie auch und halten auf Ordnung im Feld.”
Da wusste jeder, dass auch die andern wussten; und indes sich jeder heimlich noch daran erinnerte, begann das Erlebte schon zu zerrinnen wie ein Traum nach dem Erwachen, denn was drei gehört und gesehen haben, kann kein Geheimnis sein und also auch kein Wunder, sondern höchstens eine Täuschung. Und alle drei seufzten plötzlich: Gott sei Dank! Herr Piff seufzte es über seiner linken Stiefelspitze, Herr Puff über seiner rechten, denn beide schielten nach dem Gott im Feld zurück, dem sie heimlich dafür dankten, dass er ihnen nicht wirklich erschienen sei; Herr Paff aber, weil die beiden anderen wegsahen, konnte sich ganz zum Kreuz umdrehen, kniff sich in die Ohren und sagte: „Wir haben heute auf nüchternen Magen Branntwein getrunken; das sollte ein Jäger nie tun.”
„So ist es!” sagten alle drei, sangen ein fröhliches Jägerlied, worinnen viel von Grün die Rede war, und warfen mit Steinen nach einer Katze, die verbotenerweise auf die Felder schlich, um Haseneier zu fangen; denn nun fürchteten sich die Jäger ja auch nicht mehr vor dem Hasen. Aber dieser letzte Teil der Geschichte ist nicht ganz so verbürgt wie das übrige, denn es gibt Leute, welche behaupten, dass die Hasen nur zu Ostern Eier legen.
Die beiden Männer, deren ich erwähnen muss — um drei kleine Geschichten zu erzählen, bei denen es darauf ankommt, wer sie berichtet — waren Jugendfreunde; nennen wir sie Aeins und Azwei. Denn im Grunde ist Jugendfreundschaft um so sonderbarer, je älter man wird. Man ändert sich im Laufe solcher Jahre vom Scheitel bis zur Sohle und von den Härchen der Haut bis ins Herz, aber das Verhältnis zu einander bleibt merkwürdigerweise das gleiche und ändert sich sowenig wie die Beziehungen, die jeder einzelne Mensch zu den verschiedenen Herren pflegt, die er der Reihe nach mit Ich anspricht. Es kommt ja nicht darauf an, ob man so empfindet wie der kleine Knabe mit dickem Kopf und blondem Haar, der einst photographiert worden ist; nein, man kann im Grunde nicht einmal sagen, dass man dieses kleine, alberne, ichige Scheusal gern hat. Und so ist man auch mit seinen besten Freunden weder einverstanden noch zufrieden; ja, viele Freunde mögen sich nicht einmal leiden. In gewissem Sinn sind das sogar die tiefsten und besten Freundschaften und enthalten das unbegreifliche Element ohne alle Beimengungen.
Die Jugend, welche die beiden Freunde Aeins und Azwei verband, war nichts weniger als eine religiöse gewesen. Sie waren zwar beide in einem Institut erzogen worden, wo man sich schmeichelte, den religiösen Grundsätzen gebührenden Nachdruck zu geben; aber seine Zöglinge setzten ihren ganzen Ehrgeiz darein, nichts davon zu halten. Die Kirche dieses Instituts zum Beispiel war eine schöne, richtige, grosse Kirche, mit einem steinernen Turm, und nur für den Gebrauch der Schule bestimmt. So konnten, da niemals ein Fremder eintrat, immer einzelne Gruppen der Schüler, indes der Rest, je nachdem es die heilige Sitte forderte, vorn in den Bänken bald kniete, bald aufstand, hinten bei den Beichtstühlen Karten spielen, auf der Orgeltreppe Zigaretten rauchen oder sich auf den Turm verziehen, der unter dem spitzen Dach wie einen Kerzenteller einen steinernen Balkon trug, auf dessen Geländer in schwindelnder Höhe Kunststücke ausgeführt wurden, die selbst weniger sündenbeladene Knaben den Hals kosten konnten.
Eine dieser Herausforderungen Gottes bestand darin, sich auf dem Turmgeländer, mit dem Blick nach unten, durch langsamen Druck der Muskeln in die Höhe zu heben und schwankend auf den Händen stehenzubleiben; jeder, der dieses Akrobatenkunststück zu ebener Erde ausgeführt hat, wird wissen, wieviel Selbstvertrauen, Kühnheit und Glück dazu gehören, es auf einem fussbreiten Steinstreifen in Turmhöhe zu wiederholen. Es muss auch gesagt werden, dass viele wilde und geschickte Burschen sich dessen nicht unterfingen, obgleich sie zu ebener Erde auf ihren Händen geradezu lustwandeln konnten. Zum Beispiel Aeins tat es nicht. Dagegen war Azwei, und das mag gut zu seiner Einführung als Erzähler dienen, in seiner Knabenzeit der Erfinder dieser Gesinnungsprobe gewesen. Es war schwer, einen Körper zu finden wie den seinen. Er trug nicht die Muskeln des Sports wie die Körper vieler, sondern schien einfach und mühelos von Natur aus Muskeln geflochten zu sein. Ein schmaler, ziemlich kleiner Kopf sass darauf, mit Augen, die in Samt gewickelte Blitze waren, und mit Zähnen, die es eher zuliessen, an die Blankheit eines jagenden Tiers zu denken, als die Sanftmut der Mystik zu erwarten.
Später, in ihrer Studentenzeit, schwärmten die beiden Freunde für eine materialistische Lebenserklärung, die ohne Seele und Gott den Menschen als physiologische oder wirtschaftliche Maschine ansieht, was er ja vielleicht auch wirklich ist, worauf es ihnen aber gar nicht ankam, weil der Reiz solcher Philosophie nicht in ihrer Wahrheit liegt, sondern in ihrem dämonischen, pessimistischen, schaurig-intellektuellen Charakter. Damals war ihr Verhältnis zueinander bereits eine Jugendfreundschaft. Denn Azwei studierte Waldwirtschaft und sprach davon, als Forstingenieur weit fortzugehen, nach Russland oder Asien, sobald seine Studien vollendet wären; während sein Freund, statt solcher jungenhaften, schon eine solidere Schwärmerei gewählt hatte und sich zu dieser Zeit eifrig in der aufstrebenden Arbeiterbewegung umtat. Als sie dann kurz vor dem grossen Krieg wieder zusammentrafen, hatte Azwei seine russischen Unternehmungen bereits hinter sich; er erzählte wenig von ihnen, war in den Bureaus irgendeiner grossen Gesellschaft angestellt und schien beträchtliche Fehlschläge erlitten zu haben, wenn es ihm auch bürgerlich auskömmlich ging. Sein Jugendfreund aber war inzwischen aus einem Klassenkämpfer der Herausgeber einer Zeitung geworden, die viel vom sozialen Frieden schrieb und einem Börsenmann gehörte. Sie verachteten sich seither gegenseitig und untrennbar, verloren einander aber wieder aus den Augen; und als sie endlich für kurze Zeit abermals zusammengeführt wurden, erzählte Azwei das nun Folgende in der Art, wie man vor einem Freund einen Sack mit Erinnerungen ausschüttet, um mit der leeren Leinwand weiterzugehen. Es kam unter diesen Umständen wenig darauf an, was dieser erwiderte, und es kann ihre Unterredung fast wie ein Selbstgespräch erzählt werden. Wichtiger wäre es, wenn man genau zu beschreiben vermöchte, wie Azwei damals aussah, weil dieser unmittelbare Eindruck für die Bedeutung seiner Worte nicht ganz zu entbehren ist. Aber das ist schwer. Am ehesten könnte man sagen, er erinnerte an eine scharfe, nervige, schlanke Reitgerte, die, auf ihre weiche Spitze gestellt, an einer Wand lehnt; in so einer halb aufgerichteten und halb zusammengesunkenen Lage schien er sich wohl zu fühlen.
* * *
Zu den sonderbarsten Orten der Welt — sagte Azwei — gehören jene Berliner Höfe, wo zwei, drei, oder vier Häuser einander den Hintern zeigen, Köchinnen sitzen mitten in den Wänden, in viereckigen Löchern, und singen. Man sieht es dem roten Kupfergeschirr auf den Borden an, wie laut es klappert. Tief unten grölt eine Männerstimme Scheltworte zu einem der Mädchen empor, oder es gehen schwere Holzschuhe auf dem klinkernden Pflaster hin und her. Langsam. Hart. Ruhelos. Sinnlos. Immer. Ist es so oder nicht?
Da hinaus und hinab sehen nun die Küchen und die Schlafzimmer; nahe beieinander liegen sie, wie Liebe und Verdauung am menschlichen Körper. Etagenweise sind die Ehebetten übereinander geschichtet; denn alle Schlafzimmer haben im Haus die gleiche Lage, und Fensterwand, Badezimmerwand, Schrankwand bestimmen den Platz des Bettes fast auf den halben Meter genau. Ebenso etagenweise türmen sich die Speisezimmer übereinander, das Bad mit den weissen Kacheln und der Balkon mit dem roten Lampenschirm. Liebe, Schlaf, Geburt, Verdauung, unerwartete Wiedersehen, sorgenvolle und gesellige Nächte liegen in diesen Häusern übereinander wie die Säulen der Brötchen in einem Automatenbüfett. Das persönliche Schicksal ist in solchen Mittelstandswohnungen schon vorgerichtet, wenn man einzieht. Du wirst zugeben, dass die menschliche Freiheit hauptsächlich darin liegt, wo und wann man etwas tut, denn was die Menschen tun, ist fast immer das gleiche: da hat es eine verdammte Bedeutung, wenn man auch noch den Grundriss von allem gleich macht. Ich bin einmal auf einen Schrank geklettert, nur um die Vertikale auszunutzen, und kann sagen, dass das unangenehme Gespräch, das ich zu führen hatte, von da ganz anders aussah.
Azwei lachte über seine Erinnerung und schenkte sich ein; Aeins dachte daran, dass sie auf einem Balkon mit einem roten Lampenschirm sässen, der zu seiner Wohnung gehörte, aber er schwieg, denn er wusste zu genau, was er hätte einwenden können.
Ich gebe übrigens noch heute zu, dass etwas Gewaltiges in dieser Regelmässigkeit liegt — räumte Azwei von selbst ein —, und damals glaubte ich, in diesem Geist der Massenhaftigkeit und Oede etwas wie eine Wüste oder ein Meer zu sehen; ein Schlachthaus in Chikago, obgleich mir die Vorstellung den Magen umdreht, ist doch eine ganz andere Sache als ein Blumentöpfchen! Das Merkwürdige war aber, dass ich gerade in der Zeit, wo ich diese Wohnung besass, ungewöhnlich oft an meine Eltern dachte. Du erinnerst dich, dass ich so gut wie jede Beziehung zu ihnen verloren hatte; aber da gab es nun mit einem Male in meinem Kopf den Satz: Sie haben dir das Leben geschenkt; und dieser komische Satz kehrte von Zeit zu Zeit wieder wie eine Fliege, die sich nicht verscheuchen lässt. Es ist über diese scheinheilige Redensart, die man uns in der Kindheit einprägt, weiter nichts zu bemerken. Aber wenn ich meine Wohnung betrachtete, sagte ich nun ebenso: Siehst du, jetzt hast du dein Leben gekauft; für soundsoviel Mark jährlicher Miete. Vielleicht sagte ich auch manchmal: Nun hast du ein Leben aus eigener Kraft geschaffen. Es lag so in der Mitte zwischen Warenhaus, Versicherung auf Ableben und Stolz. Und da erschien es mir doch überaus merkwürdig, ja geradezu als ein Geheimnis, dass es etwas gab, das mir geschenkt worden war, ob ich wollte oder nicht, und noch dazu das Grundlegende von allem übrigen. Ich glaube, dieser Satz barg einen Schatz von Unregelmässigkeit und Unberechenbarkeit, den ich vergraben hatte. Und dann kam eben die Geschichte mit der Nachtigall.
Sie begann mit einem Abend wie viele andere. Ich war zu Hause geblieben und hatte mich, nachdem meine Frau zu Bett gegangen war, ins Herrenzimmer gesetzt; der einzige Unterschied von ähnlichen Abenden bestand vielleicht darin, dass ich kein Buch und nichts anrührte; aber auch das war schon vorgekommen. Nach ein Uhr fängt die Strasse an ruhiger zu werden; Gespräche beginnen als Seltenheit zu wirken; es ist hübsch, mit dem Ohr dem Vorschreiten der Nacht zu folgen. Um zwei Uhr ist Lärmen und Lachen unten schon deutlich Trunkenheit und Späte. Mir wurde bewusst, dass ich auf etwas wartete, aber ich ahnte nicht, worauf. Gegen drei Uhr, es war im Mai, fing der Himmel an, lichter zu werden; ich tastete mich durch die dunkle Wohnung bis ans Schlafzimmer und legte mich geräuschlos nieder. Ich erwartete nun nichts mehr als den Schlaf und am nächsten Morgen einen Tag wie den abgelaufenen. Ich wusste bald nicht mehr, ob ich wachte oder schlief. Zwischen den Vorhängen und den Spalten der Rolläden quoll dunkles Grün auf, dünne Bänder weissen Morgenschaums schlangen sich hindurch. Es kann mein letzter wacher Eindruck gewesen sein oder ein ruhendes Traumgesicht. Da wurde ich durch etwas Näherkommendes erweckt; Töne kamen näher. Ein-, zweimal stellte ich das schlaftrunken fest. Dann sassen sie auf dem First des Nachbarhauses und sprangen dort in die Luft wie Delphine. Ich hätte auch sagen können, wie Leuchtkugeln beim Feuerwerk; denn der Eindruck von Leuchtkugeln blieb; im Herabfallen zerplatzten sie sanft an den Fensterscheiben und sanken wie grosse Silbersterne in die Tiefe. Ich empfand jetzt einen zauberhaften Zustand; ich lag in meinem Bett wie eine Figur auf ihrer Grabplatte und wachte, aber ich wachte anders als bei Tage. Es ist sehr schwer zu beschreiben, aber wenn ich daran denke, ist mir, als ob mich etwas umgestülpt hätte; ich war keine Plastik mehr, sondern etwas Eingesenktes. Und das Zimmer war nicht hohl, sondern bestand aus einem Stoff, den es unter den Stoffen des Tages nicht gibt, einem schwarz durchsichtigen und schwarz zu durchfühlenden Stoff, aus dem auch ich bestand. Die Zeit rann in fieberkleinen schnellen Pulsschlägen. Weshalb sollte nicht jetzt geschehen, was sonst nie geschieht? — Es ist eine Nachtigall, was da singt! — sagte ich mir halblaut vor.
Nun gibt es ja in Berlin vielleicht mehr Nachtigallen, — fuhr Azwei fort — als ich dachte. Ich glaubte damals, es gäbe in diesem steinernen Gebirge keine, und diese sei weither zu mir geflogen. Zu mir!! — fühlte ich und richtete mich lächelnd auf. — Ein Himmelsvogel! Das gibt es also wirklich! — In einem solchen Augenblick, siehst du, ist man auf die natürlichste Weise bereit, an das Uebernatürliche zu glauben; es ist, als ob man seine Kindheit in einer Zauberwelt verbracht hätte. Ich dachte unverzüglich: Ich werde der Nachtigall folgen. Leb wohl, Geliebte! — dachte ich — Lebt wohl, Geliebte, Haus, Stadt ..! Aber ehe ich noch von meinem Lager gestiegen war, und ehe ich mir klar gemacht hatte, ob ich denn zu der Nachtigall auf die Dächer steigen oder ob ich ihr unten in den Strassen folgen wolle, war der Vogel verstummt und offenbar weitergeflogen.
Nun sang er auf einem andern Dach für einen andern Schlafenden. — Azwei dachte nach. — Du wirst annehmen, dass die Geschichte damit zu Ende ist? — Erst jetzt fing sie an, und ich weiss nicht, welches Ende sie finden soll!
Ich war verwaist und von schwerem Missmut bedrückt zurückgeblieben. Es war gar keine Nachtigall, es war eine Amsel, sagte ich mir, genau so, wie du es sagen möchtest. Solche Amseln machen, das weiss man, andere Vögel nach. Ich war nun völlig wach, und die Stille langweilte mich. Ich zündete eine Kerze an und betrachtete die Frau, die neben mir lag. Ihr Körper sah blass ziegelfarben aus. Ueber der Haut lag der weisse Rand der Bettdecke wie ein Schneestreifen. Breite Schattenlinien krümmten sich um den Körper, deren Herkunft nicht recht zu begreifen war, obgleich sie natürlich mit der Kerze und der Haltung meines Arms zusammenhängen mussten. — Was tut es, — dachte ich dabei — wenn es wirklich nur eine Amsel war! Oh, im Gegenteil; gerade dass es bloss eine ganz gewöhnliche Amsel gewesen ist, was mich so verrückt machen konnte: das bedeutet noch viel mehr! Du weisst doch, man weint nur bei einer einfachen Enttäuschung, bei einer doppelten bringt man schon wieder ein Lächeln zuwege. Und ich sah dazwischen immer wieder meine Frau an. Das alles hing ganz von selbst zusammen, aber ich weiss nicht wie. Seit Jahren habe ich dich geliebt — dachte ich — wie nichts auf dieser Welt, und nun liegst du da wie eine ausgebrannte Hülse der Liebe. Nun bist du mir ganz fremd geworden, nun bin ich herausgekommen am anderen Ende der Liebe. War das Ueberdruss? Ich erinnere mich nicht, je Ueberdruss empfunden zu haben. Und ich schildere es dir so, als ob ein Gefühl ein Herz durchbohren könnte wie einen Berg, auf dessen anderer Seite eine andere Welt mit dem gleichen Tal, den gleichen Häusern und kleinen Brücken liegt. Aber ich wusste ganz einfach nicht, was es war. Ich weiss das auch heute nicht. Vielleicht habe ich unrecht, dir diese Geschichte im Zusammenhang mit zwei anderen zu erzählen, die darauf gefolgt sind. Ich kann dir nur sagen, wofür ich es hielt, als ich es erlebte: Es hatte mich von irgendwo ein Signal getroffen — das war mein Eindruck davon.
Ich legte meinen Kopf neben ihren Körper, die ahnungslos und ohne Teilnahme schlief. Da schien sich ihre Brust in Uebermassen zu heben und zu senken, und die Wände des Zimmers tauchten an diesem schlafenden Leib auf und ab wie hohe See um ein Schiff, das schon weit im Fahren ist. Ich hätte es wahrscheinlich nie über mich gebracht, Abschied zu nehmen; aber wenn ich mich jetzt fortstehle, kam mir vor, bleibe ich das kleine verlassene Boot in der Einsamkeit, und ein grosses, sicheres Schiff ist achtlos über mich hinausgefahren. Ich küsste die Schlafende, sie fühlte es nicht. Ich flüsterte ihr etwas ins Ohr, und vielleicht tat ich es so vorsichtig, dass sie es nicht hörte. Da machte ich mich über mich lustig und spottete über die Nachtigall; aber ich zog mich heimlich an. Ich glaube, dass ich geschluchzt habe, aber ich ging wirklich fort. Mir war taumelnd leicht, obgleich ich mir zu sagen versuchte, dass kein anständiger Mensch so handeln dürfe; ich erinnere mich, ich war wie ein Betrunkener, der mit der Strasse schilt, auf der er geht, um sich seiner Nüchternheit zu versichern.
Ich habe natürlich oft daran gedacht zurückzukehren; manchmal hätte ich durch die halbe Welt zurückkehren mögen; aber ich habe es nicht getan. Sie war unberührbar für mich geworden; kurz gesagt; ich weiss nicht, ob du mich verstehst: Wer ein Unrecht sehr tief empfindet, der ändert es nicht mehr. Ich will übrigens nicht deine Lossprechung. Ich will dir meine Geschichten erzählen, um zu erfahren, ob sie wahr sind; ich habe mich jahrelang mit keinem Menschen aussprechen können, und wenn ich mich darüber laut mit mir selbst sprechen hörte, wäre ich mir, offen gestanden, unheimlich.
Halte also daran fest, dass meine Vernunft deiner Aufgeklärtheit nichts nachgeben will.
Aber zwei Jahre später befand ich mich in einem Sack, dem toten Winkel einer Kampflinie in Südtirol, die sich von den blutigen Gräben der Cima di Vezzena an den Caldonazzo-See zurückbog. Dort lief sie tief im Tal wie eine sonnige Welle über zwei Hügel mit schönen Namen und stieg auf der andern Seite des Tals wieder empor, um sich in einem stillen Gebirge zu verlieren. Es war im Oktober; die schwach besetzten Kampfgräben versanken in Laub, der See brannte lautlos in Blau, die Hügel lagen wie grosse welke Kränze da; wie Grabkränze, dachte ich oft, ohne mich vor ihnen zu fürchten. Zögernd und verteilt floss das Tal um sie; aber jenseits des Striches, den wir besetzt hielten, entfloh es solcher süssen Zerstreutheit und fuhr wie ein Posaunenstoss, braun, breit und heroisch, in die feindliche Weite.
In der Nacht bezogen wir mitten darin eine vorgeschobene Stellung. Sie lag so offen im Tal, dass man uns von oben mit Steinwürfen erschlagen konnte; aber man röstete uns bloss an langsamem Artilleriefeuer. Immerhin, am Morgen nach so einer Nacht hatten alle einen sonderbaren Ausdruck, der sich erst nach einigen Stunden verlor: die Augen waren vergrössert, und die Köpfe auf den vielen Schultern richteten sich unregelmässig auf wie ein niedergetretener Rasen. Trotzdem habe ich in jeder solchen Nacht oftmals den Kopf über den Grabenrand gehoben und ihn vorsichtig über die Schulter zurückgedreht wie ein Verliebter: da sah ich dann die Brentagruppe hell himmelblau, wie aus Glas steif gefältelt, in der Nacht stehen. Und gerade in diesen Nächten waren die Sterne gross und wie aus Goldpapier gestanzt und flimmerten fett wie aus Teig gebacken, und der Himmel war noch in der Nacht blau, und die dünne, mädchenhafte Mondsichel, ganz silbern oder ganz golden, lag auf dem Rücken mitten darin und schwamm in Entzücken. Du musst trachten, dir vorzustellen, wie schön das war; so schön ist nichts im gesicherten Leben. Dann hielt ich es manchmal nicht aus und kroch vor Glück und Sehnsucht in der Nacht spazieren; bis zu den goldgrünen schwarzen Bäumen, zwischen denen ich mich aufrichtete wie eine kleine braungrüne Feder im Gefieder des ruhig sitzenden, scharfschnäbeligen Vogels Tod, der so zauberisch bunt und schwarz ist, wie du es nicht gesehen hast.
Tagsüber, in der Hauptstellung, konnte man dagegen geradezu spazierenreiten. Auf solchen Plätzen, wo man Zeit zum Nachdenken wie zum Erschrecken hat, lernt man die Gefahr erst kennen. Jeden Tag holt sie sich ihre Opfer, einen festen Wochendurchschnitt, soundsoviel vom Hundert, und schon die Generalstabsoffiziere der Division rechnen so unpersönlich damit wie eine Versicherungsgesellschaft. Uebrigens man selbst auch. Man kennt instinktiv seine Chance und fühlt sich versichert, wenn auch nicht gerade unter günstigen Bedingungen. Das ist jene merkwürdige Ruhe, die man empfindet, wenn man dauernd im Feuerbereich lebt. Das muss ich vorausschicken, damit du dir nicht falsche Vorstellungen von meinem Zustand machst. Freilich kommt es vor, dass man sich plötzlich getrieben fühlt, nach einem bestimmten bekannten Gesicht zu suchen, das man noch vor einigen Tagen gesehen hat; aber es ist nicht mehr da. So ein Gesicht kann dann mehr erschüttern, als vernünftig ist, und lang in der Luft hängen wie ein Kerzenschimmer. Man hat also weniger Todesfurcht als sonst, aber ist allerhand Erregungen zugänglicher. Es ist so, als ob die Angst vor dem Ende, die offenbar immer wie ein Stein auf dem Menschen liegt, weggewälzt worden wäre, und nun blüht in der unbestimmten Nähe des Todes eine sonderbare innere Freiheit.
Ueber unsere ruhige Stellung kam einmal mitten in der Zeit ein feindlicher Flieger. Das geschah nicht oft, weil das Gebirge mit seinen schmalen Luftrinnen zwischen befestigten Kuppen hoch überflogen werden musste. Wir standen gerade auf einem der Grabkränze, und im Nu war der Himmel mit den weissen Schrapnellwölkchen der Batterien betupft wie von einer behenden Puderquaste. Das sah lustig aus und fast lieblich. Dazu schien die Sonne durch die dreifarbigen Tragflächen des Flugzeugs, gerade als es hoch über unseren Köpfen fuhr, wie durch ein Kirchenfenster oder buntes Seidenpapier, und es hätte zu diesem Augenblick nur noch einer Musik von Mozart bedurft. Mir ging zwar der Gedanke durch den Kopf, dass wir wie eine Gruppe von Rennbesuchern beisammenstanden und ein gutes Ziel abgaben. Auch sagte einer von uns: Ihr solltet euch lieber decken! Aber es hatte offenbar keiner Lust, wie eine Feldmaus in ein Erdloch zu fahren. In diesem Augenblick hörte ich ein leises Klingen, das sich meinem hingerissen emporstarrenden Gesicht näherte. Natürlich kann es auch umgekehrt zugegangen sein, so dass ich zuerst das Klingen hörte und dann erst das Nahen einer Gefahr begriff; aber im gleichen Augenblick wusste ich auch schon: es ist ein Fliegerpfeil! Das waren spitze Eisenstäbe, nicht dicker als ein Zimmermannsblei, welche damals die Flugzeuge aus der Höhe abwarfen; und trafen sie den Schädel, so kamen sie wohl erst bei den Fusssohlen wieder heraus, aber sie trafen eben nicht oft, und man hat sie bald wieder aufgegeben. Darum war das mein erster Fliegerpfeil; aber Bomben und Maschinengewehrschüsse hört man ganz anders, und ich wusste sofort, womit ich es zu tun hätte. Ich war gespannt, und im nächsten Augenblick hatte ich auch schon das sonderbare, nicht im Wahrscheinlichen begründete Empfinden: er trifft!
Und weisst du, wie das war? Nicht wie eine schreckende Ahnung, sondern wie ein noch nie erwartetes Glück! Ich wunderte mich zuerst darüber, dass bloss ich das Klingen hören sollte. Dann dachte ich, dass der Laut wieder verschwinden werde. Aber er verschwand nicht. Er näherte sich mir, wenn auch sehr fern, und wurde perspektivisch grösser. Ich sah vorsichtig die Gesichter an, aber niemand nahm ihn wahr. Und in diesem Augenblick, wo ich inne wurde, dass ich allein diesen feinen Gesang hörte, stieg ihm etwas aus mir entgegen: ein Lebensstrahl; ebenso unendlich wie der von oben kommende des Todes. Ich erfinde das nicht, ich suche es so einfach wie möglich zu beschreiben; ich habe die Ueberzeugung, dass ich mich physikalisch nüchtern ausgedrückt habe; freilich weiss ich, dass das bis zu einem Grad wie im Traum ist, wo man ganz klar zu sprechen wähnt, während die Worte aussen wirr sind.
Das dauerte eine lange Zeit, während derer nur ich das Geschehen näher kommen hörte. Es war ein dünner, singender, einfacher hoher Laut, wie wenn der Rand eines Glases zum Tönen gebracht wird; aber es war etwas Unwirkliches daran; das hast du noch nie gehört, sagte ich mir. Und dieser Laut war auf mich gerichtet; ich war in Verbindung mit diesem Laut und zweifelte nicht im geringsten daran, dass etwas Entscheidendes mit mir vor sich gehen wolle. Kein einziger Gedanke in mir war von der Art, die sich in den Augenblicken des Lebensabschiedes einstellen soll, sondern alles, was ich empfand, war in die Zukunft gerichtet; und ich muss einfach sagen, ich war sicher, in der nächsten Minute Gottes Nähe in der Nähe meines Körpers zu fühlen. Das ist immerhin nicht wenig bei einem Menschen, der seit seinem achten Jahr nicht an Gott geglaubt hat.
Inzwischen war der Laut von oben körperlicher geworden, er schwoll an und drohte. Ich hatte mich einigemal gefragt, ob ich warnen solle; aber mochte ich oder ein anderer getroffen werden, ich wollte es nicht tun! Vielleicht steckte eine verdammte Eitelkeit in dieser Einbildung, dass da, hoch oben über einem Kampffeld, eine Stimme für mich singe. Vielleicht ist Gott überhaupt nichts, als dass wir armen Schnorrer in der Enge unseres Daseins uns eitel brüsten, einen reichen Verwandten im Himmel zu haben. Ich weiss es nicht. Aber ohne Zweifel hatte nun die Luft auch für die anderen zu klingen begonnen; ich bemerkte, dass Flecken von Unruhe über ihre Gesichter huschten, und siehst du — auch keiner von ihnen liess sich ein Wort entschlüpfen! Ich sah noch einmal diese Gesichter an: Burschen, denen nichts ferner lag als solche Gedanken, standen, ohne es zu wissen, wie eine Gruppe von Jüngern da, die eine Botschaft erwarten. Und plötzlich war das Singen zu einem irdischen Ton geworden, zehn Fuss, hundert Fuss über uns, und erstarb. Er, es war da. Mitten zwischen uns, aber mir zunächst, war etwas verstummt und von der Erde verschluckt worden, war zu einer unwirklichen Lautlosigkeit zerplatzt. Mein Herz schlug breit und ruhig; ich kann auch nicht den Bruchteil einer Sekunde erschrocken gewesen sein; es fehlte nicht das kleinste Zeitteilchen in meinem Leben. Aber das erste, was ich wieder wahrnahm, war, dass mich alle ansahen. Ich stand am gleichen Fleck, mein Leib aber war wild zur Seite gerissen worden und hatte eine tiefe, halbkreisförmige Verbeugung ausgeführt. Ich fühlte, dass ich aus einem Rausch erwache, und wusste nicht, wie lange ich fort gewesen war. Niemand sprach mich an; endlich sagte einer: ein Fliegerpfeil! und alle wollten ihn suchen, aber er stak metertief in der Erde. In diesem Augenblick überströmte mich ein heisses Dankgefühl, und ich glaube, dass ich am ganzen Körper errötete. Wenn einer da gesagt hätte, Gott sei in meinen Leib gefahren, ich hätte nicht gelacht. Ich hätte es aber auch nicht geglaubt. Nicht einmal, dass ich einen Splitter von ihm davontrug, hätte ich geglaubt. Und trotzdem, jedesmal, wenn ich mich daran erinnere, möchte ich etwas von dieser Art noch einmal deutlicher erleben!
* * *
Ich habe es übrigens noch einmal erlebt, aber nicht deutlicher — begann Azwei seine letzte Geschichte. Er schien unsicherer geworden zu sein, aber man konnte ihm anmerken, dass er gerade deshalb darauf brannte, sich diese Geschichte erzählen zu hören.
Sie handelte von seiner Mutter, die nicht viel von Azweis Liebe besessen hatte; aber er behauptete, das sei nicht so gewesen. — Wir haben oberflächlich schlecht zu einander gepasst, — sagte er — und das ist schliesslich nur natürlich, wenn eine alte Frau seit Jahrzehnten in der gleichen Kleinstadt lebt, und ein Sohn es nach ihren Begriffen in der weiten Welt zu nichts gebracht hat. Sie machte mich so unruhig wie das Beisammensein mit einem Spiegel, der das Bild unmerklich in die Breite zieht; und ich kränkte sie, indem ich jahrelang nicht nach Hause kam. Aber sie schrieb mir alle Monate einen besorgten Brief mit vielen Fragen, und wenn ich den auch gewöhnlich nicht beantwortete, so war doch etwas sehr Sonderbares dabei, und ich hing trotz allem tief mit ihr zusammen, wie sich schliesslich gezeigt hat.
Vielleicht hatte sich ihr vor Jahrzehnten das Bild eines kleinen Knaben leidenschaftlich eingeprägt, in den sie weiss Gott welche Hoffnungen gesetzt haben mochte, die durch nichts ausgelöscht werden konnten; und da ich dieser längst verschwundene Knabe war, hing ihre Liebe an mir, wie wenn alle seither untergegangenen Sonnen noch irgendwo zwischen Licht und Finsternis schwebten. Da hättest du wieder diese geheimnisvolle Eitelkeit, die keine ist. Denn ich kann wohl sagen, ich verweile nicht gern bei mir, und was so viele Menschen tun, dass sie sich behaglich Photographien ansehen, die sie in früheren Zeiten darstellen, oder sich gern erinnern, was sie da und dann getan haben, dieses Ich-Sparkassen-System ist mir völlig unbegreiflich. Ich bin weder besonders launenhaft, noch lebe ich nur für den Augenblick; aber wenn etwas vorbei ist, dann bin ich auch an mir vorbei, und wenn ich mich in einer Strasse erinnere, ehemals oft diesen Weg gegangen zu sein, oder wenn ich mein früheres Haus sehe, so empfinde ich ohne alle Gedanken einfach wie einen Schmerz eine heftige Abneigung gegen mich, als ob ich an eine Schändlichkeit erinnert würde. Das Gewesene entfliesst, wenn man sich ändert; und mir scheint, wie immer man sich ändere, man täte es ja nicht, wenn der, den man verlässt, gar so einwandfrei wäre. Aber gerade weil ich gewöhnlich so fühle, war es wunderbar, als ich bemerkte, dass da ein Mensch, solang ich lebe, ein Bild von mir festgehalten hat; wahrscheinlich ein Bild, dem ich nie entsprach, das jedoch in gewissem Sinn mein Schöpfungsbefehl und meine Urkunde war. Verstehst du mich, wenn ich sage, dass meine Mutter in diesem bildlichen Sinn eine Löwennatur war, in das wirkliche Dasein einer mannigfach beschränkten Frau gebannt? Sie war nicht klug nach unseren Begriffen, sie konnte von nichts absehen und nichts weit herholen; sie war, wenn ich mich an meine Kindheit erinnere, auch nicht gut zu nennen, denn sie war heftig und von ihren Nerven abhängig; und du magst dir vorstellen, was aus der Verbindung von Leidenschaft mit engen Gesichtsgrenzen manchmal hervorgeht: Aber ich möchte behaupten, dass es eine Grösse, einen Charakter gibt, die sich mit der Verkörperung, in der sich ein Mensch für unsere gewöhnliche Erfahrung darstellt, heute noch so unbegreiflich vereinen, wie in den Märchenzeiten Götter die Gestalt von Schlangen und Fischen angenommen haben.
Ich bin sehr bald nach der Geschichte mit dem Fliegerpfeil bei einem Gefecht in Russland in Gefangenschaft geraten, machte später dort die grosse Umwandlung mit und kehrte nicht so rasch zurück, denn das neue Leben hat mir lange Zeit gefallen. Ich bewundere es heute noch; aber eines Tags entdeckte ich, dass ich einige für unentbehrlich geltende Glaubenssätze nicht mehr aussprechen konnte, ohne zu gähnen, und entzog mich der damit verbundenen Lebensgefahr, indem ich mich nach Deutschland rettete, wo der Individualismus gerade in der Inflationsblüte stand. Ich machte allerhand zweifelhafte Geschäfte, teils aus Not, teils nur aus Freude darüber, wieder in einem alten Land zu sein, wo man Unrecht tun kann, ohne sich schämen zu müssen. Es ist mir dabei nicht sehr gut gegangen, und manchmal war ich sogar ungemein übel daran. Auch meinen Eltern ging es nicht gerade gut. Da schrieb mir meine Mutter einigemal: Wir können dir nicht helfen; aber wenn ich dir mit dem wenigen helfen könnte, was du einst erben wirst, möchte ich mir zu sterben wünschen. Das schrieb sie, obgleich ich sie seit Jahren nicht besucht, noch ihr irgendein Zeichen der Neigung gegeben hatte. Ich muss gestehen, dass ich es nur für eine etwas übertriebene Redensart gehalten habe, der ich keine Bedeutung beimass, wenn ich auch an der Echtheit des Gefühls, das sich sentimental ausdrückte, nicht zweifelte. Aber nun geschah eben das durchaus Sonderbare: meine Mutter erkrankte wirklich, und man könnte glauben, dass sie dann auch meinen Vater, der ihr sehr ergeben war, mitgenommen hat.
Azwei überlegte. — Sie starb an einer Krankheit, die sie in sich getragen haben musste, ohne dass ein Mensch es ahnte. Man könnte dem Zusammentreffen vielerlei natürliche Erklärungen geben, und ich fürchte, du wirst es mir verübeln, wenn ich es nicht tue. Aber das Merkwürdige waren wieder die Nebenumstände. Sie wollte keineswegs sterben; ich weiss, dass sie sich gegen den frühen Tod gewehrt und heftig geklagt hat. Ihr Lebenswille, ihre Entschlüsse und Wünsche waren gegen das Ereignis gerichtet. Man kann auch nicht sagen, dass sich gegen ihren Augenblickswillen eine Charakterentscheidung vollzog; denn sonst hätte sie ja schon früher an Selbstmord oder freiwillige Armut denken können, was sie nicht im geringsten getan hat. Sie war selbst ganz und gar ein Opfer. Aber hast du nie bemerkt, dass dein Körper auch noch einen anderen Willen hat als den deinen? Ich glaube, dass alles, was uns als Wille oder als unsere Gefühle, Empfindungen und Gedanken vorkommt und scheinbar die Herrschaft über uns hat, das nur im Namen einer begrenzten Vollmacht darf, und dass es in schweren Krankheiten und Genesungen, in unsicheren Kämpfen und an allen Wendepunkten des Schicksals eine Art Urentscheidung des ganzen Körpers gibt, bei der die letzte Macht und Wahrheit ist. Aber möge dem sein wie immer; sicher war es, dass ich von der Erkrankung meiner Mutter sofort den Eindruck von etwas ganz und gar Freiwilligem hatte; und wenn du alles für Einbildung hieltest, so bliebe es bestehen, dass ich in dem Augenblick, wo ich die Nachricht von der Erkrankung meiner Mutter erhielt, obgleich gar kein Grund zur Besorgnis darin lag, in einer auffallenden Weise und völlig verändert worden bin: eine Härte, die mich umgeben hatte, schmolz augenblicklich weg, und ich kann nicht mehr sagen, als dass der Zustand, in dem ich mich von da an befand, viel Aehnlichkeit mit dem Erwachen in jener Nacht hatte, wo ich mein Haus verliess, und mit der Erwartung des singenden Pfeils aus der Höhe. Ich wollte gleich zu meiner Mutter reisen, aber sie hielt mich mit allerhand Vorwänden fern. Zuerst hiess es, sie freue sich, mich zu sehen, aber ich möge die bedeutungslose Erkrankung abwarten, damit sie mich gesund empfange; später liess sie mir mitteilen, mein Besuch könnte sie im Augenblick zu sehr aufregen; zuletzt, als ich drängte: die entscheidende Wendung zum Guten stünde bevor, und ich möge mich nur noch etwas gedulden. Es sieht so aus, als ob sie gefürchtet hätte, durch ein Wiedersehen unsicher gemacht zu werden; und dann entschied sich alles so rasch, dass ich gerade noch zum Begräbnis zurecht kam.
Ich fand auch meinen Vater krank vor, und wie ich dir sagte, ich konnte ihm bald nur noch sterben helfen. Er war früher ein guter Mann gewesen, aber in diesen Wochen war er wunderlich eigensinnig und voll Launen, als ob er mir vieles nachtrüge und sich durch meine Anwesenheit geärgert fühlte. Nach seinem Begräbnis musste ich den Haushalt auflösen, und das dauerte auch einige Wochen; ich hatte keine Eile. Die Leute aus der kleinen Stadt kamen hie und da zu mir aus alter Gewohnheit und erzählten mir, auf welchem Platz im Wohnzimmer mein Vater gesessen habe und wo meine Mutter und wo sie. Sie sahen sich alles genau an und erboten sich, mir dieses oder jenes Stück abzukaufen. Sie sind so gründlich, diese Menschen in der Provinz, und einmal sagte einer zu mir, nachdem er alles eingehend untersucht hatte: Es ist doch schrecklich, wenn binnen wenigen Wochen eine ganze Familie ausgerottet wird! — mich selbst rechnete keiner hinzu. Wenn ich allein war, sass ich still und las Kinderbücher; ich hatte auf dem Dachboden eine grosse Kiste voll von ihnen gefunden. Sie waren verstaubt, verrusst, teils vertrocknet, teils von Feuchtigkeit beschlagen, und wenn man sie klopfte, schieden sie immerzu Wolken von sanfter Schwärze aus; von den Pappbänden war das gemaserte Papier geschwunden und hatte nur Gruppen von zackigen Inseln zurückgelassen. Aber wenn ich in die Seiten eindrang, eroberte ich den Inhalt wie ein Seefahrer zwischen diesen Fährnissen, und einmal machte ich eine seltsame Entdeckung. Ich bemerkte, dass die Schwärze oben, wo man die Blätter wendet, und unten am Rand in einer leise deutlichen Weise doch anders war, als der Moder sie verleiht, und dann fand ich allerhand unbezeichenbare Flecken und schliesslich wilde, verblasste Bleistiftspuren auf den Titelblättern; und mit einemmal überwältigte es mich, dass ich erkannte, diese leidenschaftliche Abgegriffenheit, diese Bleistiftritzer und eilig hinterlassenen Flecken seien die Spuren von Kinderfingern, meiner Kinderfinger, dreissig und mehr Jahre in einer Kiste unter dem Dach aufgehoben und wohl von aller Welt vergessen! — Nun, ich sagte dir, für andere Menschen mag es nichts Besonderes sein, wenn sie sich an sich selbst erinnern, aber für mich war es, als ob das Unterste zu oberst gekehrt würde. Ich hatte auch ein Zimmer wiedergefunden, das vor dreissig und mehr Jahren mein Kinderzimmer war; es diente später für Wäscheschränke und dergleichen, aber im Grunde hatte man es gelassen, wie es gewesen war, als ich dort am Fichtentisch unter der Petroleumlampe sass, deren Ketten drei Delphine im Maul trugen. Dort sass ich nun wieder viele Stunden des Tags und las wie ein Kind, das mit den Beinen nicht bis zur Erde reicht. Denn siehst du, dass unser Kopf haltlos ist oder in nichts ragt, daran sind wir gewöhnt, denn wir haben unter den Füssen etwas Festes; aber Kindheit, das heisst, an beiden Enden nicht ganz gesichert sein und statt der Greifzangen von später noch die weichen Flanellhände haben und vor einem Buch sitzen, als ob man auf einem kleinen Blatt über Abstürzen durch den Raum segelte. Ich sage dir, ich reichte wirklich nicht mehr unter dem Tisch zur Erde.
Ich hatte mir auch ein Bett in dieses Zimmer gestellt und schlief dort. Und da kam dann die Amsel wieder. Einmal nach Mitternacht weckte mich ein wunderbarer, herrlicher Gesang. Ich wachte nicht gleich auf, sondern hörte erst lange im Schlaf zu. Es war der Gesang einer Nachtigall; aber sie sass nicht in den Büschen des Gartens, sondern auf dem Dach eines Nebenhauses. Ich begann mit offenen Augen zu schlafen. Hier gibt es keine Nachtigallen — dachte ich dabei — es ist eine Amsel.
Du brauchst aber nicht zu glauben, dass ich das heute schon einmal erzählt habe! Sondern wie ich dachte: Hier gibt es keine Nachtigallen, es ist eine Amsel, erwachte ich; es war vier Uhr morgens, der Tag kehrte in meine Augen ein, der Schlaf versank so rasch, wie die Spur einer Welle in trockenem Ufersand aufgesaugt wird, und da sass vor dem Licht, das wie ein zartes weisses Wolltuch war, ein schwarzer Vogel im offenen Fenster! Er sass dort, so wahr ich hier sitze.
Ich bin deine Amsel, — sagte er — kennst du mich nicht?
Ich habe mich wirklich nicht gleich erinnert, aber ich fühlte mich überaus glücklich, wenn der Vogel zu mir sprach.
Auf diesem Fensterbrett bin ich schon einmal gesessen, erinnerst du dich nicht? — fuhr er fort, und nun erwiderte ich: Ja, eines Tags bist du dort gesessen, wo du jetzt sitzt, und ich habe rasch das Fenster geschlossen.
Ich bin deine Mutter — sagte sie.
Siehst du, das mag ich ja geträumt haben. Aber den Vogel habe ich nicht geträumt; er sass da, flog ins Zimmer herein, und ich schloss rasch das Fenster. Ich ging auf den Dachboden und suchte einen grossen Holzkäfig, an den ich mich erinnerte, weil die Amsel schon einmal bei mir gewesen war; in meiner Kindheit, genau so, wie ich es eben sagte. Sie war im Fenster gesessen und dann ins Zimmer geflogen, und ich hatte einen Käfig gebraucht, aber sie wurde bald zahm, und ich habe sie nicht gefangengehalten, sie lebte frei in meinem Zimmer und flog aus und ein. Und eines Tags war sie nicht mehr wiedergekommen, und jetzt war sie also wieder da. Ich hatte keine Lust, mir Schwierigkeiten zu machen und nachzudenken, ob es die gleiche Amsel sei; ich fand den Käfig und eine neue Kiste Bücher dazu, und ich kann dir nur sagen: ich bin nie im Leben ein so guter Mensch gewesen wie von dem Tag an, wo ich die Amsel besass; aber ich kann dir wahrscheinlich nicht beschreiben, was ein guter Mensch ist.
Hat sie noch oft gesprochen? — fragte Aeins listig.
Nein, — erwiderte Azwei — gesprochen hat sie nicht. Aber ich habe ihr Amselfutter beschaffen müssen und Würmer. Sieh wohl, das ist schon eine kleine Schwierigkeit, dass sie Würmer frass, und ich sollte sie wie meine Mutter halten —; aber es geht, sage ich dir, das ist nur Gewohnheit, und woran muss man sich nicht auch bei alltäglicheren Dingen gewöhnen! Ich habe sie seither nicht mehr von mir gelassen, und mehr kann ich dir nicht sagen; das ist die dritte Geschichte, wie sie enden wird, weiss ich nicht.
Aber du deutest doch an, — suchte sich Aeins vorsichtig zu vergewissern — dass dies alles einen Sinn gemeinsam hat?
Du lieber Himmel, — widersprach Azwei — es hat sich eben alles so ereignet; und wenn ich den Sinn wüsste, so brauchte ich dir wohl nicht erst zu erzählen. Aber es ist, wie wenn du flüstern hörst oder bloss rauschen, ohne das unterscheiden zu können!
INHALTSVERZEICHNIS | ||
I. BILDER | ||
Vorbemerkung | 7 | |
Das Fliegenpapier | 15 | |
Die Affeninsel | 19 | |
Fischer an der Ostsee | 24 | |
Inflation | 26 | |
Kann ein Pferd lachen? | 28 | |
Der Erweckte | 31 | |
Schafe, anders gesehen | 34 | |
Sarkophagdeckel | 37 | |
Hasenkatastrophe | 39 | |
Die Maus | 44 | |
Hellhörigkeit | 47 | |
Slowenisches Dorfbegräbnis | 49 | |
Mädchen und Helden | 54 | |
Pension Nimmermehr | 57 | |
II. UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN | ||
Schwarze Magie | 75 | |
Türen und Tore | 81 | |
Denkmale | 87 | |
Der Malsteller | 94 | |
Eine Kulturfrage | 99 | |
Unter lauter Dichtern und Denkern | 105 | |
Kunstjubiläum | 110 | |
Triëdere | 116 | |
Hier ist es schön | 125 | |
Wer hat dich, du schöner Wald..? | 130 | |
Der bedrohte Oedipus | 139 | |
III. GESCHICHTEN, DIE KEINE SIND | ||
Der Riese Agoag | 147 | |
Ein Mensch ohne Charakter | 153 | |
Eine Geschichte aus drei Jahrhunderten | 166 | |
Kindergeschichte | 176 | |
IV. | DIE AMSEL | 185 |
TRANSCRIBER NOTES
Falsch geschriebene Wörter und Druckerfehler wurden korrigiert.
Die Zeichensetzung wurde beibehalten, es sei denn, die Originalkopie dieser Schweizer Ausgabe enthält offensichtliche Tippfehler.
Für dieses eBook wurde ein Cover erstellt, das nun gemeinfrei ist.
[The end of Nachlass zu Lebzeiten by Robert Mathias Musil]